Le Pen wird ausgepfiffen. Macrons Siegesgewissheit könnte sich rächen.
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Wien/Paris. Glaubt Marine Le Pen noch an einen Sieg am Sonntag? Zahlreiche Beobachter verneinen das mit Blick auf die TV-Debatte am Mittwoch. Eigentlich, so argumentieren sie, hätte die rechtsextreme Kandidatin für die französische Präsidentschaft Kreide fressen, moderate Töne anschlagen müssen, um so zu versuchen, bei den Unentschlossenen im Zentrum zu fischen.
Das war nicht der Fall. Le Pen agierte vor dem französischen Fernsehpublikum wie ein angezählter Boxer, der blindwütig um sich schlägt, ohne nachzudenken. Dabei tut Le Pen das, was ihrem erklärten Vorbild Donald Trump zum Sieg verholfen hat. Sie krönt sich selbst zur Kandidatin des Volkes", während Macron der Kandidat der Volksfeinde wäre. Und wer das Volk ist, das bestimmt Le Pen.
Frankreich ist nicht Amerika und alle Meinungsumfragen führen Macron als überlegenen Sieger, der in der Schlussphase des Rennens sogar zulegen konnte. Die letzten Erhebungen vor dem Wahlgang sprechen von 62 Prozent für Macron und 38 Prozent für Le Pen. Diese Erhebung ist relevant, weil sie nach der TV-Debatte durchgeführt wurde.
Nach der Brexit-Entscheidung im Juni des Vorjahres und der Wahl Donald Trumps - zwei Ereignissen, die von den allermeisten Experten nicht vorhergesehen wurden - herrscht trotzdem Ungewissheit. Die Erwägungen gehen in verschiedene Richtungen, wenige Stunden vor der großen Entscheidung spitzt sich alles auf die Frage zu: Was müsste geschehen, damit Le Pen doch noch gewinnt? Unsicherheitsfaktor Nummer eins ist eine - nicht auszuschließende - niedrige Wahlbeteiligung. Diese wurde zuletzt von den Auguren bei 76 Prozent angesetzt - das würde wohl für einen Sieg Macrons reichen. Doch viele, die angeben, zur Wahl gehen zu wollen, tun das gegen einen enormen inneren Widerstand. Wer weiß, wie sie sich am Sonntag tatsächlich entscheiden.
Klar ist: Le Pen könnte das Rennen machen, wenn sie ihre Anhänger mobilisiert und ihre Gegner den Urnen fernbleiben, weil sie das Ergebnis als ohnedies fix ansehen. Diese Möglichkeit gibt es, auch wenn Le Pen übersehen hat, dass ihre wütenden Tiraden am Mittwochabend nicht nur die Kernwähler des Front National stimuliert haben. Gleichzeitig erachten ihre Gegner die Aussicht auf eine derartige Präsidentin als so abstoßend, dass Le Pen auch das liberale Lager mobilisiert. Die Gegner des FN gehen allerdings zur Wahl, ohne zu wissen, ob Macron ein guter Präsident wird. Im Verlauf jener unseligen TV-Debatte hatte er jedenfalls kaum Gelegenheit, auf seine Vorhaben einzugehen.
Die Wahl am Sonntag hat als Richtungsentscheidung zweifelsohne historische Bedeutung. Und es könnte gleichzeitig das Votum mit den meisten Stimmenthaltungen in der Geschichte der Fünften Republik werden. Viele Linke, deren Sympathie dem ausgeschiedenen Jean-Luc Mélenchon gilt, werden zuhause bleiben oder schlicht weiß wählen.
Bei den 20- bis 25-Jährigen ist Mélenchon die Nummer eins, Le Pen führt bei den 25 bis 35-Jährigen. Das ist interessant, zeigt es doch, dass Macron, sollte er am Sonntag die Nummer eins werden, trotz seines agilen Senkrechtstarter-Images nicht der Präsident der französischen Jugend sein wird.
Anzunehmen ist, dass im Falle eines Wahlsieges von Le Pen bei vielen Wahlverweigerern die Reue auf dem Fuß folgen würde. Die Front-National-Chefin, die den Parteivorsitz nur pro forma abgegeben hat, will Frankreich weiterhin aus der Euro-Zone und dann überhaupt aus der Union herausführen. Wenn nicht, soll die EU zumindest ein lockerer Staatenbund werden, in dem nationales Recht Vorrang hat. Außerdem will Le Pen - ähnlich wie ihr Idol Trump - zusätzliche Steuern auf Importe einheben. Wer ausländische Arbeitnehmer beschäftigt, wird ebenfalls zur Kasse gebeten. Das Asylrecht soll massiv eingeschränkt und die Zuwanderung nach Frankreich gestoppt werden. Den "echten Franzosen" verspricht Le Pen eine Erhöhung der Sozialleistungen.
Macron hingegen ist überzeugter Europäer und ein Verfechter des Freihandels. Er will, dass die Eurozone ein eigenes Budget in der Höhe von 100 Milliarden Euro bekommt und von einem eigenen Parlament kontrolliert wird. Macron hält die Aufnahme von Flüchtlingen für eine moralische Pflicht. Er will durchsetzen, dass Asylverfahren beschleunigt und Migranten ohne Bleiberecht zügig abgeschoben werden. Er will den Arbeitsmarkt liberalisieren und tritt für Wettbewerb ein. Mit Details zu seinen Vorhaben hält Macron allerdings hinter dem Berg.
Das ist nicht verwunderlich, schließlich muss der parteilose Liberale mit massivem Widerstand seitens der Gewerkschaften und aus den Reihen der Parlaments-Abgeordneten rechnen, die im Juni gewählt werden.
Wobei es hier zu spannenden Entwicklungen kommen könnte. Bisher war davon ausgegangen, worden, dass Macron mit seiner vor einem Jahr gegründeten Bewegung "En Marche" bei den Wahlen zur Volksversammlung das Nachsehen haben wird. Eine neue Umfrage stellt das massiv in Frage: Demnach könnte "En Marche" sogar zwischen 249 und 286 Sitze erringen, die Konservativen 200 bis 210 und der Front National hätte mit rund 25 Sitzen das Nachsehen. Damit könnte Macron - zumindest auf den ersten Blick - mit komfortablem Rückhalt regieren und sein Programm problemlos durchbringen. Allerdings könnte es bei unpopulären Entscheidungen zu massivem internen Widerstand kommen - der scheidende Präsident Hollande kann ein Lied davon singen.
Über einen Mangel an prominenten Wahlkampf-Unterstützern kann sich Macron jedenfalls nicht beklagen. Zuletzt hat sich sogar Ex-US-Präsident Barack Obama zu Wort gemeldet: "Angesichts der Bedeutung der Wahl möchte ich, dass Sie wissen, dass ich Emmanuel Macron unterstütze", so der pensionierte Demokrat in einer Videobotschaft.
Als gutes Omen kann aus Sicht Macrons auch gelten, dass Marine Le Pen am Freitag überraschend just in Reims ausgepfiffen wurde - jener Stadt, die nach dem Roman Didier Eribons "Rückkehr nach Reims" zum Sinnbild für das von den Eliten frustrierte Frankreich wurde.
Seit der Gründung der Fünften Republik 1958 hatte Frankreich sieben Präsidenten:
Charles de Gaulle (1890-1970), der Kriegsheld und konservative Gründervater der Fünften Republik, wurde am 8. Jänner 1959 von einem Wahlmänner-Kollegium zum ersten Präsidenten bestimmt. Er trat am 28. April 1969 zurück, nachdem er eine Volksabstimmung verloren hatte.
Nachfolger Georges Pompidou (1911-1974), langjähriger Premierminister unter De Gaulle, gewann 1969 in der Stichwahl mit deutlichem Abstand gegen den Senatspräsidenten und Interims-Staatschef Alain Poher.
Dritter Präsident wurde Valery Giscard d’Estaing. Der 1926 in Koblenz geborene Liberale setzte sich gegen Mitterrand nur knapp durch: In der Stichwahl gewann der überzeugte Europäer mit 50,8 Prozent der Stimmen. Mit dem deutschen Kanzler Helmut Schmidt bildete Giscard ein berühmtes Europa-Gespann.
Im dritten Anlauf erfüllte sich François Mitterand (1916-1996) seinen Traum: Als erster Sozialist schaffte er es 1981 an die Spitze der Fünften Republik. Der gewiefte Taktiker wurde 1988 auch als erster französischer Präsident vom Volk wiedergewählt. Er setzte sich in der Stichwahl gegen den Neo-Gaullisten Jacques Chirac durch. Mit 14 Jahren Amtszeit stellte Mitterrand einen Rekord auf, der wohl ungeschlagen bleiben wird. Nach Mitterrands Ausscheiden schlug die Stunde von Jacques Chirac: Der frühere Bürgermeister von Paris gewann in der Stichwahl gegen Sozialistenchef Lionel Jospin und wurde am 17. Mai 1995 Präsident. Am 5. Mai 2002 wurde er im Amt bestätigt.
Im Mai 2007 beerbte Nicolas Sarkozy Chirac im Elysee-Palast. Der Konservative setzte sich gegen die Sozialistin Segolene Royal durch. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 unterlag er seinem sozialistischen Herausforderer François Hollande. Dieser wurde im Laufe seiner Amtszeit noch unbeliebter als Sarkozy. Im Kampf gegen Arbeitslosigkeit etwa blieb er weitgehend erfolglos.
Die Präsidenten der Fünften Republik