Dass Menschen Tiere ihre Freunde nennen und sie auch so behandeln, kommt heute immer öfter vor. Doch können sich auch Tiere verschiedener Spezies anfreunden?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ein Orang Utan hat einen Hund zu seinem Freund erkoren, eine Löwin adoptiert eine junge Oryx-Antilope, ein Nilpferd folgt einer Riesenschildkröte auf Schritt und Tritt und Schwarzbär und Katze kuscheln friedlich im Heuhaufen. Tierfreundschaften über die Grenzen der eigenen Spezies hinweg sind offensichtlich gar nicht so selten, doch kann man diese Beziehungen tatsächlich Freundschaften nennen?
Faktor Zeit
Den Begriff "Freundschaft" definiert das Internet-Lexikon Wikipedia als "positive Beziehung und Empfindung zwischen Menschen, die sich als Sympathie und Vertrauen zwischen ihnen zeigt". Eine durchaus emotionale Angelegenheit also, das sieht auch der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal so. "Freunde sind einander sympathisch und verbringen Zeit miteinander, das sorgt für einen sozialen Zusammenhalt ohne unmittelbaren Nutzen - was die Freundschaft von einer Allianz unterscheidet", erklärt er im Gespräch mit dem "Wiener Journal". Doch um eine Freundschaft überhaupt erst möglich zu machen, müssen das Umfeld sicher und die elementarsten Bedürfnisse erfüllt sein: "Wenn man übermäßig viel Zeit aufbringen muss, um die Versorgung mit Nahrung und Lebens- oder Wohnraum sicherzustellen, bleibt eben keine übrig, um komplexe soziale Systeme - und ein solches ist Freundschaft - zu schließen beziehungsweise zu pflegen. Das ist im Tierreich nicht anders."
Wachsen Tiere unterschiedlicher Spezies im selben Haushalt auf und werden ihre Grundbedürfnisse befriedigt, können Hund und Katze tatsächlich Freunde werden - und sie lernen auch, ihre unterschiedliche Körpersprache zu verstehen. Doch wieso funktioniert das zwischen Tieren, von denen eines üblicherweise die Beute des anderen ist? Angesprochen auf das berühmte Beispiel des Eisbären, der mit einem angeleinten (!) Schlittenhund spielt und kuschelt, meint Kotrschal, dass der Eisbär offenbar so überrascht über die Spielaufforderung des Hundes war, dass das Beuteschema damit unterbrochen wurde, "denn Spielgefährten isst man nicht." Was im Falle von Katzen und Mäusen aber nicht so ganz zutreffen dürfte: "Na ja, im Grunde kommt eben zuerst das Fressen und dann erst die Moral . . ."
Dieses Prinzip haben jedenfalls auch ein weiblicher Leopard und eine Kuh in einem kleinen indischen Dorf außer Kraft gesetzt: Zwei Monate lang kam das Raubtier Abend für Abend, um mit dem Rind zu kuscheln und eng an seine Seite gedrückt zu schlafen. Erst als die Großkatze älter wurde, wurden ihre Besuche seltener, bis sie gar nicht mehr auftauchte. Diese Beziehung sieht Kotrschal allerdings eher als Zweckgemeinschaft denn als Freundschaft: "Die Leopardin suchte offenbar einen Mutterersatz - dass das ausgerechnet eine Kuh war, ist allerdings höchst ungewöhnlich." Da passt auch das Beispiel der Löwin dazu, die insgesamt fünf Oryx-Antilopen adoptierte: "Solche Adoptionen funktionieren nur in einem entsprechenden Hormonzustand - wahrscheinlich war die Löwin noch sehr jung oder sie hat kürzlich ihren eigenen Nachwuchs verloren", meint Kotrschal.
Hunde sind die besten Freunde
Auch der US-Tierverhaltensforscher, Psychologe und Autor John Wright, der an der Mercer University lehrt, bezeichnet solche "tierischen Verbindungen" eher als ungewöhnliche Beziehung und weniger als Freundschaft. Dass dabei aber Emotionen im Spiel sind, bestreitet er nicht. Die besten Voraussetzungen für harmonische Tierbeziehungen über Speziesgrenzen hinweg sind für ihn ebenso wie für Kotrschal eine möglichst frühe Aneinandergewöhnung und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse wie ausreichend Futter und Raum. Das trifft für Tiere, die nicht in freier Wildbahn leben, natürlich eher zu als für Wildtiere. Und die Tiere sollten grundsätzlich sozialen Spezies angehören: "Waschbären werden, wenn sie älter werden, eher zu Einzelgängern. Das kann schon einmal das Ende einer ungewöhnlichen Freundschaft bedeuten", sagt Wright.
Doch auch wenn Beziehungen zwischen Nilpferd und Ziege, Elefant und Schaf, Katze und Kakadu oder Nashorn, Warzenschwein und Hyäne heute beobachtet und dokumentiert sind, sind doch Hunde diejenigen, die am häufigsten ungewöhnliche "Freundschaften" eingehen. Ob sie nun mit einem Gepard im selben Haushalt leben oder Tigerbabys säugen, sie scheinen am unvoreingenommensten zu sein, wenn es darum geht, über den Tellerrand der eigenen Spezies hinauszuschauen. Das liegt wohl daran, dass sie über Jahrhunderte daraufhin gezüchtet wurden, sich eng an den Menschen zu binden, und deshalb in ihrem Gehirn fast idente neurochemische Vorgänge ablaufen wie in einem menschlichen, weiß die amerikanische Verhaltensbiologin Karen Overall. Außerdem berichtet sie in ihren Studien von einem erhöhten Oxytocinspiegel, wenn Hunde in einer glücklichen Partnerschaft leben - egal ob mit einem Mensch oder einem Tier. Auch der Evolutionsbiologe Marc Bekoff, der sich intensiv mit dem Gefühlsleben von Tieren beschäftigt und bereits einige wirklich lesenswerte Bücher darüber geschrieben hat, ist aufgrund jahrzehntelanger Beobachtung von Hunden, Wölfen und Koyoten überzeugt, dass Tiere Mitgefühl oder Leidenschaft besitzen.
Diese Gefühle und die Fähigkeit der Tiere, die Grenzen ihrer Spezies zu überwinden - wenn auch vielleicht nur für eine bestimmte Zeit - rühren uns Menschen. Sie erinnern uns daran, wie wichtig und schön Freundschaften sind und wie dringend wir sie brauchen. Doch sollten wir der Versuchung widerstehen, tierische Beziehungen mit menschlichen Begriffen wie etwa Liebe zu beschreiben, betont Wright: "Wenn Tiere miteinander spielen oder kuscheln, ist es offensichtlich, dass sie einander sympathisch sind. Doch gleich von Liebe zu sprechen könnte ein wenig zu viel des Guten sein. Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte: Es sind wohl enge Beziehungen zwischen verschiedenen Spezies, aber wahrscheinlich nicht solche wie zwischen liebenden Menschen."
Ungewöhnliche Beispiele
Die Journalistin Jennifer Holland wuchs selbst mit verschiedensten Tieren auf und will auch heute nicht auf ihre Gesellschaft verzichten. Aus ihrer Liebe zu und Interesse an unseren Mitgeschöpfen entstand ein außergewöhnliches Buch über ebensolche tierische Beziehungen. In "Unlikely Friendships" erzählt und zeigt sie 47 bemerkenswerte Geschichten aus dem Königreich der Tiere. Dass sie sich in der Beschreibung der Gefühle auf einem schmalen Grat bewegt, war ihr bewusst: "Natürlich ist es schwierig, über Tiere, Gefühle und Freundschaft zu sprechen. Wir können zwar nicht sagen, wie sie diese Gefühle wahrnehmen, aber aufgrund ihrer Körpersprache und der damit verbundenen Ausdrucksfähigkeit steht außer Zweifel, dass Tiere - und hier natürlich besonders Säugetiere - über das annähernd gleiche Gefühlsrepertoire verfügen wie Menschen."
Hinter all diesen ungewöhnlichen Beziehungen - oder nennen wir sie doch ruhig Freundschaften - stehen jedenfalls nicht nur Gefühle, sondern wohl auch Respekt und Toleranz. Zwei Eigenschaften, die wir Menschen mitunter viel zu wenig zeigen . . .
Buchtipp:
Jennifer S. Holland: "Unlikely Friendships", Workman Publishing New York, 11,99 Euro
Artikel erschienen am 3. Februar 2012in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 10-15