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Tierische Beziehungskisten

Von Eva Stanzl

Wissen
Wer Kinder hat, kommt auf die Katz’: Das Interesse an den Tieren ist dem Menschen angeboren.
© Alexandra Grass

Vierbeiner beruhigen, regen auf, schaffen Vertrauen und machen gesund. Seit Jahrtausenden hält der Mensch Haustiere.


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Wien. Rambo knurrte jeden an, der ihm zu nahe kam, und schnurrte nie. Wenn er gerufen wurde, lief er davon. Andere Katzen mied der kleine schwarze Kater konsequenter als der Teufel das Weihwasser. Das ging so weit, dass er den anderen den Futternapf überließ, wenn sie ihn beim Fressen störten. "Der ist schon ein bisserl blöd", befand man in seiner Heimat am Land.

Doch dann geschah die Verwandlung. Die mit einer Übersiedlung begann. Rambo knurrte die ganze Fahrt lang nach Wien und versteckte sich bei seinen neuen Besitzern tagelang unter dem Sofa. Dort machte er seinem Unmut auf der Klaviatur der Oktaven von "Maunz" Luft. Irgendwann schlich er heiser und hungrig hervor. Die neuen Besitzer nahmen den erschöpften Kater vor der Fütterung in die Arme, besangen ihn lieblich und streichelten ihn sanft. Er beruhigte sich. Und begann leise, sehr leise zu schnurren. Heute schnurrt Rambo wie ein kleines Sägewerk und lässt sich stundenlang streicheln. In verschiedenen Tonlagen von "Miau" teilt er mit, wo er gestreichelt werden möchte, um einem dann voller Vertrauen den Bauch entgegenzustrecken. Er weiß, wo er sich ausbreiten darf und wo nicht, und schnurrt zur Begrüßung - an blöd nicht zu denken. Ob seine neuen Besitzer damit etwas zu tun haben oder die Veränderung darauf zurückzuführen ist, dass Rambo sein Revier für sich hat, ist das große Geheimnis.

"Nicht nur Hunde, sondern auch Katzen verändern sich innerhalb von Beziehungen", macht der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal den Katzenbesitzern Mut: "Viele Menschen glauben, eine Katze sei nicht erziehbar, aber das stimmt nicht. Es gibt sogar Trainings, auf die sie sehr gut reagieren, und die auch förderlich sind für die Beziehung zwischen ihnen und ihren Besitzern." Die Annahme, man müsse oder könne mit Katzen nichts tun, weil sie auf sich selbst bezogen seien, sei grundfalsch.

Füchse waren die "Hunde"der Steinzeit

Kotrschal und seine Kollegen von der Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung an der Universität Wien analysieren derzeit das Bindungsverhalten zwischen Mensch und Hund. "Wir sind an dieser Beziehungskiste interessiert", betont der Autor mehrerer Bücher auf diesem Gebiet, von denen demnächst der Titel "Einfach beste Freunde" erscheint. Für den Biologen sind Menschen ohne andere Tiere weder erklärbar noch lebensfähig. "Das Aufwachsen mit Tieren ist für Menschenkinder eine der wichtigsten Zutaten für eine gelingende körperliche, emotionale, kognitive und soziale Entwicklung", sagt der Mitorganisator der 23. internationalen Konferenz der Gesellschaft für Anthrozoologie. Von morgen, Samstag, bis Dienstag tagen 250 führende Experten zu neuen Erkenntnissen im Feld der Mensch-Tier-Beziehungen in Wien.

Schon zu Urzeiten lebten die Menschen mit Tieren. Der älteste bekannte Hinweis auf eine Mensch-Tier-Beziehung ist 17.000 bis 14.000 Jahre alt. Archäologen der Universität Toronto haben im ältesten prähistorischen Grab im Nahen Osten, dem Uyun al-Hammam im heutigen Jordanien, die Überreste eines Fuchses gefunden. Die Bestattungsweise neben dem Verstorbenen legt nahe, dass er ein Haustier war. Laut den Forschern könnten die Menschen der späten Altsteinzeit Füchse so ähnlich gehalten haben wie heutige Generationen Hunde. Das älteste Katzenskelett in einem menschlichen Grab wurde auf Zypern gefunden und stammt aus dem Jahr 9500 vor Christus.

"Die Wirkung von Tieren auf Menschen ist ein Effekt unserer Biophilie (altgriech. für ,Liebe zu Lebendigem‘, Anm.)", erklärt Kotrschal. "Menschen haben als Alleinstellungsmerkmal nicht nur ihr reflektierendes Gehirn und eine hoch entwickelte Symbolsprache, sondern auch eine spezielle Beziehung zu Natur und Tieren. Das äußert sich darin, dass Kleinkinder weltweit kulturunabhängig an Tieren interessiert sind."

US-Psychologen um Judy deLoach von University of Virginia haben die kognitive Entwicklung von Kleinkindern untersucht und dabei die Aufmerksamkeitsspannen von drei Monate alten Babys gemessen. Bei Tier-Bildern verweilte der Blick der Kleinen am längsten. "Als der Homo sapiens vor 40.000 Jahren nach Europa kam, hatte er sofort Kontakt mit Wölfen. Es gibt somit keine Kultur, die sich ohne Hund entwickelte. Das angeborene Interesse an Tieren wiederholt gewissermaßen die Stammesgeschichte", subsumiert Kotrschal.

Und dennoch zeigen manche Menschen kein Interesse an Tieren - oder lehnen sie sogar ab. Der Verhaltensforscher sieht die Ursache im Lebenslauf: "Einerseits ist normal, vor manchen Tieren Angst zu haben. Andererseits haben viele Erwachsene nicht gelernt, die eigenen Emotionen zu lesen, und haben somit eine Schwäche, Empathie zu empfinden - auch für Tiere. Zudem haben viele Leute eine stärkere Veranlagung, Ekel zu empfinden."

In Österreich leben rund 700.000 Hunde und 2 Millionen Katzen bei 4 Millionen Menschen. Somit hat die Hälfte der Österreicher Hunde, Katzen oder beide. Die andere Hälfte hat weder noch. Wer auch sonst kaum Naturerlebnisse hat, der findet weniger Antworten auf seine Biophilie. Die Auswirkungen haben ein verheerendes Potenzial. In seinem Buch "Last Child in the Woods" präsentiert der US-Bestsellerautor Richard Louv Nachweise, dass "Kinder, die naturfern aufwachsen, Naturdefizit-Syndrome entwickeln". Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Planungstalent, Handschlagqualität oder Flexibilität sind weitaus weniger ausgeprägt als bei Kindern, die Zugang zu Grünem oder ein Haustier haben.

Tiere aktivieren das Beruhigungszentrum

Tiere wirken. Die Anwesenheit eines ruhigen Tieres aktiviert das Beruhigungssystem im Gehirn. So nimmt die deutsche Polizei die Dienste von Vernehmungshunden in Anspruch für sexuell missbrauchte Kinder, die (wenig überraschend) beharrlich schweigen. Die Anwesenheit des Tieres erhöht die Auskunftsbereitschaft. Schon Sigmund Freud machte animalische Interventionen, wenn der Analyseprozess stockte, indem er wie zufällig die Praxistür öffnete, damit der Hund hereinschwänzeln konnte.

Heute gibt es in Österreich Richtlinien für den Einsatz von Hunden in Schulklassen. So kann die Anwesenheit eines "Schulpräsenzhundes" Kindern mit geringer Lesekompetenz helfen, das Lesen leichter zu erlernen. Bei hyperaktiven Schülern können Hunde im Klassenzimmer die Konzentrationsfähigkeit erhöhen, bei Prüfungen für Studenten Stress senken. Menschen, die nach Verkehrsunfällen querschnittgelähmt sind, sowie Behinderte mit Einschränkung der Armfunktion könnten um einen Assistenzhund ansuchen. Dieser unterstützt sie nicht nur mit einfachen Diensten, sondern lässt Betroffene auch neuen Lebensmut fassen. Denn mit dem Hund muss man hinaus und dort kann er ein Motor für Kontakt sein. Kritiker führen allerdings ins Treffen, dass ein Assistenzhund die menschliche Hilfe keineswegs ersetzen könne, weil ein Hund eben nicht alle Handreichungen zuführen kann.

Wenn ein Zähnefletschen als Lächeln missverstanden wird

Allerdings kommen nicht alle Menschen gut mit ihrem Haustier aus. "Es gibt genau so viele konfliktträchtige Mensch-Tier- wie Mensch-Mensch-Beziehungen", sagt Kotrschal. Denn auch beim Tier schöpft die Palette der möglichen Missverständnisse aus dem Vollen. So zeigt eine britische Studie, dass Kinder wie Erwachsene Gesichtsausdrücke von Hunden fehlinterpretieren - etwa indem Zähnefletschen für ein Lächeln halten. "Der Großteil der Kinder von 4 bis 7 Jahren dachte beim Betrachten von Bildern, dass ein Hund mit aggressivem Gesichtsausdruck zugänglich sei", berichtet Kerstin Meints von der Universität Lincoln. Sogar ein Prozent der Erwachsenen leite sein Verständnis der Hundemimik von menschlichen Gesichtsausdrücken ab.

Trotz dieses erhöhten Risikos, gebissen zu werden, sind rein statistisch gesehen Hundehalter gesünder als Menschen ohne Hund - ganz ähnlich wie Kinder, die am Bauernhof aufwachsen, ein robusteres Immunsystem und weniger Allergien entwickeln als andere. "Das menschliche Mikrobiom ist ein komplexes Ökosystem aus Tausenden Zellen, die sich von Person zu Person unterscheiden. Wir schleppen mehr fremde Körperzellen mit uns herum als eigene", erklärt der US-Biologe Rob Knight, der im Rahmen des "American Gut Project" Verdauungsmikroben von Mensch und Tier vergleicht. "Interessanterweise gleicht ein Hund die Mikroben von Menschen in einer Partnerschaft stärker an als ein Kind", sagt er: "Vielleicht haben Haustiere unsere metabolischen Fähigkeiten verändert."

Unter dem Titel "Animals and Humans Together: Integration in Society" tauschen sich von morgen bis Dienstag führende Anthrozoologen über neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Mensch-Tier-Beziehungen aus. Zu den Themen der 23. internationalen Konferenz der Gesellschaft für Anthrozoologie (ISAZ) zählen der therapeutische Einsatz von Hunden, die menschliche Interpretation von tierischen Gesichtsausdrücken und der Wert von Tieren für die Gesundheit.