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Die Tiergestützte Therapie bietet Möglichkeiten in der Medizin, Pädagogik und Sozialarbeit.
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Wien. Eines Tages stand Christoph vor der Koppel - ein autistischer Junge, der einen besonderen Hang zu Schläuchen und Kabeln hatte. Er musste immer schauen, wie alles verlegt war. Und so begann er, am Hof des Vereins "Pferde stärken" im niederösterreichischen Moosbrunn die Kabelleitungen abzugehen. Und auch der Weidezaun hatte es ihm angetan. Dies war Motivation genug, um den kontaktscheuen Jungen mit den dortigen Tieren vertraut zu machen. In weiterer Folge absolvierte er regelmäßig Weidezaunkontrollen am Rücken jenes Pferdes, vor dem er zuvor noch einen deutlich Abstand gehalten hatte.
Der nächste Schritt war die Kommunikation. Wie geht es dem Pferd? Wer ist der Chef der Herde und woran erkennt man das? Die deutliche Körpersprache der Tiere und die intensive Arbeit mit ihnen kann es Kindern ermöglichen, schließlich auch in sich selbst hineinzufühlen und sich zu spüren. Bei Christoph war dieses Manko hinderlich für die Kommunikation mit anderen, erzählt Andrea Ackerer, heilpädagogische Voltigiertherapeutin und Obfrau des Vereins. Heute ist Christoph bei der Jugendfeuerwehr.
Sehr häufig berichten Eltern, dass ihre Kinder nach solchen Therapieeinheiten auch im Alltag viel besser mit anderen Menschen zurechtkommen. Denn Pferde, Hunde, Alpakas und Co. besitzen die Fähigkeit, Menschen sowohl in ihren psychischen als auch körperlichen Funktionen positiv zu beeinflussen.
Tiere als Werkzeug
Die sogenannte Tiergestützte Therapie macht sich dies zunutze. Die Tiere selbst fungieren dabei nicht als Therapeuten, sondern als Werkzeug, aber auch als Diagnoseinstrument. Denn Tiere zeigen ein hohes Maß an Empathie, spüren, wenn es dem Gegenüber nicht gut geht, und bringen das über ihre Körpersprache zum Ausdruck. Tiere nehmen den Menschen so an, wie er ist, und zeigen im Allgemeinen keine Scheu vor Krankheit, Alter, Behinderung oder anderen sozialen ausgrenzungsbedingten Eigenschaften. Sie stehen ihnen völlig neutral gegenüber.
Tiergestützte Therapie ist grundsätzlich ein nicht ganz unumstrittener Überbegriff für ein breites Spektrum an Möglichkeiten. "Es gibt keinen isolierten Therapeuten für diesen Bereich", erklärt der Allgemeinmediziner Dieter Schaufler, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Tiergestützte Therapie (ÖGTT). Hingegen gibt es Menschen aus den unterschiedlichsten Quellberufen, wie unter anderem der Medizin, Psychologie, Sozialarbeit oder Pädagogik, die sich den Einsatz der Tiere zunutze machen.
Der Begriff kann grundsätzlich in drei Bereiche aufgegliedert werden: Einer davon stellt die "eigentliche" Tiergestützte Therapie dar, die von dazu berechtigten und ausgebildeten Fachleuten wie etwa Medizinern durchgeführt wird. Des Weiteren gibt es tiergestützte Pädagogik und Fördermaßnahmen, wie etwa das heilpädagogische Voltigieren sowie tiergestützte Aktivitäten ohne therapeutischen Anspruch - zum Beispiel das Lamatrekking als Tourismusattraktion.
Also ein Sammelsurium an Möglichkeiten, das es auseinanderzuklauben gilt. Darauf legt vor allem Wolfgang Schuhmayer großen Wert. Mit seinem Österreichischen Institut für Tiergestützte Therapie und Forschung (AIAATR) bereitet er seit zwei Jahren die schlagkräftigen Erfolge seiner Patienten in Fallstudien auf, um wissenschaftlich relevante, objektive Erfolgsnachweise liefern zu können. Im Rahmen seiner "medizinisch orientierten tiergestützten Therapie" (mTGT) wendet er international standardisierte Messmethoden an, wie sie von der datengestützten Qualitätsmedizin - der Evidence Based Medicine - verlangt werden. Seinen Arbeitsschwerpunkt stellen psychische Erkrankungen dar.
Auf seinem "Brigindohof" bei Krems nützt er Alpakas, Zwergziegen, Katzen und einen Hund als tierische Unterstützung, um mit nicht-medikamentösen Maßnahmen intervenieren zu können. So berichtet er etwa von der 55-jährigen Gerda, die nach nur 15 Therapieeinheiten eine massive Angststörung überwinden konnte. Ein neues Selbstwertgefühl, Fröhlichkeit, eine aktive Zukunftsplanung und das Absetzen der Psychopharmaka waren das Ergebnis des Alpakakontakts.
Platz in der Psychotherapie
"In kritischer Auseinandersetzung mit vielen neuen Strömungen neurobiologisch fundierter Therapiemethoden hat die medizinisch orientierte tiergestützte Therapie einen festen Platz zur Optimierung psychiatrischer Therapien gefunden", urteilt die Wiener Psychiaterin Brigitte Hackenberg, Leiterin der psychosomatischen Ambulanz des AKH Wien.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Gesprächstherapien, bei denen nicht selten jahrelang über Verhaltensänderungen theoretisiert wird, könnten die Betroffenen mit den Tieren "sofort gelebte Problemlösungen" erleben, erklärt Schuhmayer. Das schlichte Einfangen einer Babyziege etwa könne für Menschen mit extrem niedrigem Selbstbewusstsein schon viel bewirken.
Der Bedarf an Therapien wie solchen wird immer größer. Schon jetzt zeigen sich 20 Prozent aller Jugendlichen zwischen 7 und 18 Jahren psychisch auffällig. Bei insgesamt zehn Prozent von ihnen besteht akuter Handlungsbedarf. Im Jahr 2015 werden unipolare depressive Erkrankungen an erster Stelle stehen, legt Schuhmayer entsprechende Prognosen vor.
Die Vorteile der mTGT liegen im raschen Wirkungseintritt, der Nebenwirkungsfreiheit, Alters- und Indikationsunabhängigkeit sowie in der Möglichkeit des maßgeschneiderten Einsatzes.
Enorm wichtig ist in der tiergestützten Therapie die Kenntnis über die Tiere. "Je besser man diese kennt, umso besser kann man auch arbeiten", betont Schuhmayer.
Das wirft auch die Frage der Ausbildungsmöglichkeiten auf. Hierzulande gibt es zwei solcher Stätten. So bietet die ÖGTT etwa in Zusammenarbeit mit dem Wifi Niederösterreich den "Lehrgang Tiergestützte Therapie und Personal Coach im Tiergestützten Setting" an, erklärt Dieter Schaufler. Ziel der Ausbildung ist die Möglichkeit, andere Menschen durch den Einsatz von geeigneten Tieren in ihrer Entwicklung zu fördern und reflektierend zu begleiten. Dabei wird vor allem Augenmerk auf den Selbsterfahrungsprozess der Teilnehmer sowie den Umgang mit Tieren und anderen Menschen gelegt.
Dies sei allerdings kein eigener Beruf, sondern nur eine Zusatzausbildung, erklärt Schaufler. Die Therapiekompetenz kommt daher nur den dafür bestimmten Berufsgruppen zu.
Die Veterinärmedizinische Universität wiederum bietet einen Unilehrgang zur akademisch geprüften Fachkraft für tiergestützte Therapie und tiergestützte Fördermaßnahmen, wie Helga Widder vom Verein "Tiere als Therapie" erklärt. Der Verein beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit diesem Thema.
Dass Tiere sowohl bei Gesundheit als auch bei Krankheit förderlich sind, ist bereits seit Jahrtausenden bekannt. Schon in Babylonien und Assyrien war die Göttin der Heilung in Hundegestalt dargestellt und hochverehrt. Und auch schon im Mittelalter wusste man, dass "Ein tier dem herze wol macht", wie es Walther von der Vogelweide ausdrückte.
Zufallsentdeckung
Als Pionier der Neuzeit gilt der amerikanische Psychologe Boris Levinson. Er entdeckte im Jahr 1961 durch Zufall die positive Wirkung von Tieren auf Menschen mit psychischen Erkrankungen. Er behandelte ein Kind, das kaum Kontakt mit seiner Umwelt wollte. Dieses kam mit seiner Familie zu früh in seine Praxis, wo noch sein Hund Jingles zugegen war. Das Kind suchte Kontakt zum Hund und begann, mit ihm zu sprechen. Mit Hilfe von Jingles war es gelungen, Kommunikationsbarrieren aufzubrechen.
Auch heute geht es vorwiegend darum, Kommunikation zu fördern. Menschen zum Reden zu bringen - etwa über ihre verdrängten Erlebnisse - oder sie zu einem neuen Selbstbewusstsein zu führen. Das Tier kann hier eine besonders wertvolle Arbeit leisten.