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Antrag auf Haftverschonung während des Prozesses abgelehnt. | Demonstrationen zur Unterstützung der Politikerin.
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Kiew. All die Proteste im In- und Ausland nutzten nichts. Während vor dem Gerichtsgebäude in Kiew tausende Anhänger von Julia Timoschenko gegen die Inhaftierung der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin demonstrierten und Berlin etwa vor "politisch motivierter Justiz" warnte, demonstrierte der Richter Härte. Für die von der Verteidigung beantragte Aufhebung der Untersuchungshaft gebe es keinen Grund, befand Rodion Kirejew.
Für Timoschenko gab es auch eine Verwarnung. Die Oppositionspolitikerin hatte sich geweigert, sich vor dem Richter zu erheben, da sie damit "vor der Mafia niederknien" würde. Den Prozess rund um Vorwürfe des Amtsmissbrauchs bezeichnet sie als "Hetzjagd".
Kommentatoren werfen jedenfalls die Frage auf, ob die Ukraine wieder in Richtung eines autoritären Systems driftet. "Wird die Ukraine wie Weißrussland werden, wenn man die Führer der Opposition einsperrt?" titelte etwa die Kiewer Wochenzeitung "Tyschden". Viele Anzeichen sprechen schließlich dafür, dass es sich beim Prozess gegen Timoschenko um einen Rachefeldzug von Präsident Wiktor Janukowitsch handeln könnte, um einen Versuch auch, seine gefährliche Konkurrentin im Vorfeld der wichtigen Parlamentswahlen 2012 politisch abzudrängen. So fordert sogar Moskau - eher Janukowitsch denn Timoschenko wohlgesonnen - schon ein "faires Verfahren".
Die Umstände des Prozesses machen jedenfalls nicht den Eindruck, als würde es sich um ein faires rechtsstaatliches Verfahren handeln. Das beginnt schon beim Gerichtssaal, der für den Andrang viel zu klein und stickig ist und augenscheinlich deshalb gewählt wurde, um die Zahl der Beobachter gering zu halten. Auch der Richter scheint genau ausgesucht zu sein: Der noch junge Rodion Kirejew besitzt nur zwei Jahre Berufserfahrung. Da er noch nicht zum Richter auf Lebenszeit ernannt wurde, kann er seinen Posten auch verlieren, was ihn - besonders bei einem politisch solch heiklen Prozess - erpressbar macht.
Oligarch im Hintergrund
Schließlich die Klage selbst: Timoschenko soll als Premierministerin 2009 - auf dem Höhepunkt der Gaskrise mit Russland - eigenmächtig die Unterzeichnung für die Ukraine unvorteilhafter Gasverträge durchgesetzt haben. Der jetzige Premier Mykola Asarow, der die Verträge gerne ändern würde, bezeichnete diese als Zeuge im Timoschenko-Prozess als "völlig unvorteilhaft" und "verräterisch gegenüber den Menschen und dem Land". Nur: Seit wann ist eine politische Entscheidung Gegenstand eines Strafprozesses? Auch die übrigen gegen Timoschenko vorgebrachten Anklagepunkte wirken wenig überzeugend.
So scheinen andere Motive eher in Frage zu kommen: Der Kiewer Politologe Kyryl Savin weist darauf hin, dass Timoschenko 2009 die Firma RosUkrEnergo, einen Zwischenhändler für russisches und zentralasiatisches Gas, aus dem Gasgeschäft drängte. RosUkrEnergo gehört zur Hälfte einer Centragas AG mit Sitz in Wien, die in Besitz des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch ist. Und Firtasch war der Hauptsponsor des Wahlkampfes von Präsident Janukowitsch. Sein Vermögen verfünffachte sich im letzten Jahr. Savin erwähnt auch, dass der Präsidialverwaltung mit Serhij Ljowotschkin ein Freund und Geschäftspartner Firtaschs vorsteht. In den postsowjetischen Ländern ist das jene Institution, die an der Spitze der Machtvertikale steht: Ljowotschkin hat somit über den Obersten Justizrat und das Innenministerium Einfluss auf die Gerichte.
Die Anhänger der charismatischen Julia Timoschenko wiederum wollen nicht aufgeben: "Heute haben wir ein kriminelles Regime an der Macht", sagte Vasyl Derewjanyj, ein Parlamentsabgeordneter der Timoschenko-Partei Vaterland, der "Wiener Zeitung". Er fürchtet, eine Verurteilung Timoschenkos könnte dazu führen, dass sich niemand mehr traut, den Mund aufzumachen. "Aber wir werden am Ende siegen. Es wird große Proteste geben", zeigt sich Derewjanyj zuversichtlich.