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Orange Koalition mit hauchdünner Mehrheit. | Eiertanz der Ex-Gasprinzessin bis zu den Wahlen 2009. | Kiew/Wien. Beim dritten Anlauf hat es Julia Timoschenko doch noch geschafft. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von gerade einmal einer Stimme ist die Prinzessin der orangen Revolution gestern zur ukrainischen Regierungschefin gewählt worden. Damit ist die 47-Jährige in jenes Amt zurückgekehrt, das sie 2005 neun Monate lang innehatte, aber nach Streitigkeiten mit Präsident Wiktor Juschtschenko verlassen musste.
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Gelöst ist die politische Krise in der Ukraine mit der Wahl Timoschenkos allerdings nicht. Denn zum einen ist die orange Koalition mit einer Stimme Überhang so schwach abgesichert, dass sie jederzeit zerfallen kann. Zum anderen haben die Tumulte, die das ukrainische Parlament in den letzten Tagen erlebt hat, gezeigt, dass ein Dialog zwischen dem Regierungslager und der russlandfreundlichen Opposition um Ex-Premier Wiktor Janukowitsch unmöglich ist. Barrikaden aus Stühlen, damit die Gegner nicht zum Rednerpult kommen, Raufereien, bei denen man sich gegenseitig die elektronischen Stimmkarten entriss, und Schreiduelle beherrschten in der Vorwoche die beiden misslungenen Versuche, Timoschenko zu wählen. Dass es beim gestrigen erfolgreichen Versuch ruhiger zuging, liegt nur daran, dass die Opposition die Wahl geschlossen schwänzte. "Es ist eine absurde Situation", kommentiert Wladimir Fesenko vom Meinungsforschungsinstitut Penta die Lage. "Die Wirtschaftsdaten im Land sind gut wie noch nie, die wirtschaftliche Stabilität nimmt zu. Gleichzeitig aber wird die politische Lage immer instabiler."
Korruptionsbekämpferin selbst unter Verdacht
Die neue Regierungschefin ist nicht unbedingt eine Person, die daran etwas ändern könnte. Als selbsternannte Kämpferin gegen jede Form der Korruption hat sie mindestens so viele erbitterte Feinde wie Unterstützer. Vor allem aber ist die in den neunziger Jahren zu einem Milliarden-Vermögen gekommene hübsche Julia selbst nicht über jeden Verdacht der Korruption erhaben. Der Verbleib von mehr als einer Milliarde Dollar, die sie damals am Fiskus vorbei ins Ausland verschoben haben soll, ist bis heute nicht geklärt. Als sie noch Gasoligarchin und nicht Revolutionsikone war, hat Julia Timoschenko daher auch stets einen kleinen Koffer mit Zahnbürste und anderen persönlichen Utensilien bei sich getragen - für den Fall einer plötzlichen Verhaftung.
Nun fürchten manche Beobachter in Kiew, dass Timoschenko als Regierungschefin von der schönen Julia zur autoritären, eisernen Julia mutieren könnte. Allzu groß scheint die Gefahr aber vor allem aus einem Grund nicht: Nach wie vor ist wahrscheinlich, dass Timoschenko 2009 gegen Wiktor Juschtschenko bei den Präsidentschaftswahlen antritt. Und um 2009 zu siegen, darf sie sich bis dorthin keine Wähler abspenstig machen. Das senkt die Gefahr von autoritären Anwandlungen, stellt aber auch die angekündigten Reformen in Frage.
Leicht dürften diese auch deshalb nicht werden, weil Konflikte mit Präsident Juschtschenko vorprogrammiert sind - auch wenn Juschtschenkos Partei Unsere Ukraine Teil der Regierungskoalition ist. Die Beziehungen zwischen Juschtschenko und Timoschenko sind nämlich nach wie vor mehr als unterkühlt - eine Folge von persönliche Kränkungen und Animositäten aus der Zeit der orangen Revolution.
Streit um möglichen Nato-Beitritt
Auch in politischen Fragen hat man sich in den letzten Jahren zunehmend voneinander entfernt: Während Juschtchenko bedingungslos für einen Nato-Beitritt der Ukraine plädiert und wirtschaftspolitisch einen liberalen Kurs verfolgt, gilt Julia Timoschenko eher als sozialdemokratisch gefärbte Populistin. Den Nato-Beitritt lehnt sie zwar nicht ab, wirbt aber auch nicht offensiv dafür. Laut einer aktuellen Umfrage der Tageszeitung "Den" lehnt jeder vierte Ukrainer den Nato-Beitritt entschieden ab, die Mehrheit der Ukrainer gibt aber an, eher für den Beitritt als gegen ihn zu sein.