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Tirole zähmt die Konzerne

Von WZ-Korrespondent André Anwar

Wirtschaft

Wirtschaftsnobelpreis geht an den Franzosen Jean Tirole.


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Stockholm. Die weltweite Finanzkrise von 2008 hat die traditionell eher marktliberale Nobelpreisjury beeinflusst. Anscheinend nicht nur in Form reduzierter Preisgelder. Um die "Zähmung mächtiger Unternehmen" gehe es bei dem diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger, verkündete Staffan Normark, ständiger Sekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, am Montag einleitend in Stockholm. Die weltweit höchste Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaftler gehe an den Franzosen Jean Tirole "für seine Analyse von Marktmacht und Regulierung", so Normark.

Der 61-jährige Ökonom von der Universität Toulouse "hat vor allem klar gemacht, wie man Branchen verstehen und regulieren kann, die aus nur wenigen mächtigen Unternehmen bestehen." "Ich bin so berührt", sagte der Industrieökonom Tirole Journalisten bei der Preisträgerbekanntgabe über eine Telefonverbindung aus Frankreich.

Theoretiker mit Praxisbezug

Unternehmen sollen zwar wachsen, um produktiver zu werden und dabei auch weniger produktive Unternehmen durch die Konzentration von Kapital verdrängen. Das habe letztlich durch Konkurrenzeffekte, höhere Wertschöpfung, niedrigere Preise und bessere Warenqualität, Vorteile für die gesamte Gesellschaft, erklärte Preisjurymitglied Tore Ellingsen die Denkwelt des Preisträgers. Aber wenn diese Firmen zu mächtig sind und nicht reguliert werden, können sie "ungewünschte Effekte für die Gesellschaft haben", erklärte er. So können Produkte etwa viel teuerer werden, als es die Produktionskosten rechtfertigen. Auch können mächtige Großunternehmen mit schlechter Produktivität überleben, weil sie neue, für Gesellschaft und Fortschritt bessere, Konkurrenten am Markteintritt hindern können.

Seit der ersten großen Deregulierungswelle Mitte der 80er Jahre hat Tirole das Wissen um diese Mechanismen angereichert und mögliche Lösungsansätze für Behörden und Politiker entwickelt. Der Ökonom ist "einer der einflussreichsten der Gegenwart", so die Jury. Vor Tirole suchten Forscher vor allem nach "allgemeingültigen Prinzipien" für "alle Branchen gleichzeitig", wie etwa gesetzliche Preisobergrenzen. Tirole sorgte für eine Relativierung solcher Weisheiten und für ein nuancierteres Bild von Märkten.

"Tiroles theoretische Grundlagen werden heute etwa zur Regulierung von Banken und der Telekomindustrie genutzt. Dass man mit dem Handy im Ausland nicht mehr so hohe Roaminggebühren zahlen muss, ist ein praktisches Beispiel", erklärte John Hassler, Professor für Nationalökonomie. "Tirole ist auch in einzelne Märkte gegangen und hat gesagt, was dort genau zu tun ist. Er ist also Theoretiker, aber auch sehr praktisch", so Hassler.

Auf die Frage an den diesjährigen Nobelpreisträger von Journalisten, was denn nun genau mit den Banken zu tun sei, um Wirtschaftskrisen zu verhindern, sagte Tirole ausweichend via Telefon, dass gerade im Bereich Banken noch viel mehr geforscht werden müsse.

Der diesjährige Preis sei zwar nicht völlig unpolitisch, aber doch zum allergrößten Teil, sagte Jurymitglied Ellingsen nach der Bekanntgabe. "Sowohl Sozialisten als auch Konservative sind heute an seinen Theorien interessiert", sagte er. Es gehe um wissenschaftliche Erkenntnisse der Wirklichkeit. Tirole liefere den beschlussfassenden Politikern und Beamten lediglich Analysemittel und habe ihnen gezeigt, dass die "beste Regulierungspolitik genauestens an die spezifischen Verhältnisse in jeder einzelnen Branche angepasst werden müssen."

Der Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften "zum Andenken an Alfred Nobel" geht nicht auf Alfred Nobels Testament zurück, sondern wurde 1969 dem Nobelreigen hinzugefügt.