Der Streit um das notgelandete US-amerikanische Spionageflugzeug scheint mit der Entschuldigung Washingtons und dem Einlenken Pekings in der Frage der Besatzung des Fliegers vorerst aus der Welt geräumt zu sein. Die Verhandlungen während der letzten Tage verliefen zwar zäh: China beharrte auf einer Entschuldigung der USA, die diese hartnäckig nicht leisten wollte. Dennoch: Das einigende Gespräch zwischen den beiden Großmächten ist jetzt erwiesenermaßen möglich. Das war nicht immer so: Bis zum Jahr 1971 herrschte zwischen Peking und Washington totale Funkstille. Die USA verwehrten der Volksrepublik China die völkerrechtliche Anerkennung und betrachteten Taiwan als rechtmäßige Vertretung. Fast auf den Tag genau vor 30 Jahren begann das Eis zu schmelzen: Damals lud die chinesische Führung die amerikanische Tischtennis-Nationalmannschaft zu einem Besuch ein. Die Ping-Pong-Diplomatie war geboren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai lehnte sich nach vorne, stellte seine Tasse mit dem dampfenden Jasmintee ab und bat seine Gäste, Amerika die "besten Wünsche" seines Landes zu übermitteln. "Sie haben eine neue Seite in den Beziehungen zwischen dem chinesischen und dem amerikanischen Volk aufgeschlagen", sagte Zhou Enlai. Es war der 10. April 1971, einer der seltenen Augenblicke, in denen ganz normale Bürger zusammen mit Politikern Geschichte schrieben.
Feindseligkeit
Nach der chinesischen Revolution 1949 und der Ausrufung der Volksrepublik herrschte zwischen beiden Ländern tiefe Feindseligkeit. Gegenseitige Besuche waren nahezu unmöglich. Aber bis 1971 waren beide Seiten zu der Einsicht gelangt, dass sie einander brauchen könnten. Die Amerikaner hatten sich in Vietnam verrannt und erhofften sich Hilfe von Peking, die chinesische Führung spekulierte auf Unterstützung gegen den ehemaligen kommunistischen Verbündeten Russland, der inzwischen zum Feind geworden war.
Diplomaten im Sportdress
Zhou Enlai probte die diplomatische Annäherung und lud die amerikanischen Tischtennisspieler, die sich auf der Rückreise von den Weltmeisterschaften in Japan befanden, zu einem Zwischenstopp ein. Es war ein entspanntes Treffen. Eineinhalb Stunden plauderte der Premier mit den Sportlern und den mitgereisten Journalisten. Ein Tischtennisspieler mit langen Haaren fragte den Ministerpräsidenten, was er von den amerikanischen Hippies halte. Zhou, Sohn eines hohen kaiserlichen Beamten, antwortete, er sei in seiner Jugend selbst ein Rebell gewesen. Die jungen Amerikaner, so vermutete er, seien unglücklich und auf der Suche nach Wahrheit.
Zhous gute Wünsche für Amerika waren ein Signal für den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Ein Jahr später stattete er nach Geheimverhandlungen seines engsten Mitarbeiters Henry Kissinger der Volksrepublik einen Staatsbesuch ab. Nixon versicherte bei seinem Besuch, dass es nur ein China gebe. Die frühere nationalistische Führung unter Tschiang Kai-schek (Jiang Jieshi) hatte sich auf die Insel Taiwan zurückgezogen, nachdem sie im Bürgerkrieg 1949 unterlegen war. Bis 1971 hielt sie auch Chinas UNO-Sitz. Aber erst unter Jimmy Carter wurden 1979 diplomatische Beziehungen zwischen Peking und Washington hergestellt. Durch den "Taiwan Relations Act" verpflichteten sich die USA weiter zum Beistand für den Fall eines Angriffs auf die Insel.
Flut von Besuchen
In der Folge des Treffens von 1971 setzte eine Flut von Besuchen auf beiden Seiten ein. Amerikaner kamen als Touristen, Studenten oder Professoren nach China. Chinesische Studenten kehren aus den USA nicht nur mit wissenschaftlichen Kenntnissen zurück, sondern lernten auch die amerikanische Demokratie kennen. Vielen Funktionären der Kommunistischen Partei ist das mittlerweile zu viel. Sie klagen darüber, dass Millionen Chinesen, die das amerikanische Leben durch Fernsehen und Reisen kennen gelernt haben, jetzt die USA als ihr Ideal ansehen und nicht den Kommunismus in China.
Als die amerikanischen Pingpongspieler vor dreißig Jahren Peking besuchten, wurden sie beklatscht, wo auch immer sie hingingen. "Amerikaner, sie sind großartig", riefen die Chinesen. Der Tischtenniswettkampf gegen das chinesische Team ging trotzdem mit 3:4 verloren.