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"Tja, das ist eben Demokratie"

Von Thomas Seifert

Politik

Jeffrey Sachs rechnet mit Rettern Griechenlands ab. | US-Starökonom war ein enger Berater des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der am Mittwoch in Wien ist.


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"Wiener Zeitung": Sie waren als Berater der griechischen Rergierung - genauer: des früheren Finanzministers Yanis Varoufakis - aktiv. Wie lautete und lautet Ihr Rat an Griechenland?Jeffrey Sachs: Wichtiger ist vielleicht noch, dass ich seit über vier Jahren versuche, den Europäern Ratschläge zu geben. Es geht darum, einen Weg aus der Griechenland-Krise zu finden und zu verhindern, dass man nicht weitere Schulden auf den bereits bestehenden Schuldenberg türmt. Was letztlich herausgekommen ist, ist leider eher ein "Weiter-wie-bisher". Was wir aber brauchen, sind einerseits tiefgreifende Reformen in Griechenland und gleichzeitig ein neues Schuldenprofil für das Land.

Immerhin: Im diesem Sommer wurde zumindest die Laufzeit der griechischen Schulden gestreckt, das Paket sah nach einem "Schuldenschnitt light" aus.

Was aber unverständlicherweise nicht passiert ist: Es gibt bis heute keine Schuldenkonsolidierung. Griechenland schuldet dem Internationalen Währungsfonds IWF Geld, der Europäischen Zentralbank EZB, dem Zungenbrecher EFSF - Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Am vernünftigsten wäre es, diese Schulden in eine Position zusammenzuführen, die vom ESM gehalten wird. Man garantiert Griechenland einen fixen Zinssatz - maximal ein Prozent - und eine lange Maturität. So erhält das Land die Chance, den Schuldenberg, der derzeit bei mehr als 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, Stück für Stück abzutragen.

Was ich noch anmerken würde: Man sollte Griechenland vorschlagen, in den kommenden drei Jahren wirklich tiefgreifende Reformen im Tausch gegen eine echte, substanzielle Schuldenrestrukturierung durchzuführen. Wenn Athen nach diesen drei Jahren diese Reformen umgesetzt hat, wäre das Land entschuldet. Man könnte Athen signalisieren: "Ihr bekommt nach diesen drei Jahren kein frisches Geld mehr, müsst aber auch nur mehr sehr wenig zurückzahlen. Es liegt dann an Euch, Eure Zukunft zu gestalten. Viel Glück."

Sie sind durch Ihre Beratertätigkeit für Varoufakis der Griechenland-Story ziemlich nahe gekommen. Wie haben sie eigentlich den geradezu persönlichen Konflikt zwischen Varoufakis und seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble erlebt?

Als sehr beunruhigend. Da ging es um schwierige, komplizierte, hoch technische Fragen. Dass da nun die Euro-Finazminister um den Verhandlungstisch sitzen, von denen sich in den nächsten Monaten ständig jemand aus diesem Kreis einer Wahl stellen oder die Bürger eines bestimmten Wahlkreises zufriedenstellen muss, hielt ich für keine gute Idee. Man kann natürlich sagen: Tja, das ist eben Demokratie, wofür sonst hätten wir Politiker! Die Realität ist aber eine andere: Dieser Prozess erfordert einen technokratischen Zugang, es geht um schnöde Excel-Tabellen. Leider ging es statt einer kühlen Analyse der nackten griechischen Zahlen um das, was Herr Schäuble für richtig oder nicht richtig hielt. Damit wir uns recht verstehen: Er hat natürlich ein Recht auf seine Position, er ist ein hochprofessioneller Politiker und eine starke Persönlichkeit. Ich habe tiefen Respekt vor ihm. Aber Schäuble ist vor ein paar Jahren zum Schluß gekommen, dass Griechenland die Eurozone verlassen soll. Ihm war es einfach zu mühsam, dass Griechenland in der Eurozone ist - auch wenn der größte Teil Europas und natürlich Griechenland selbst die Sache völlig anders sah.

Varoufakis ist dem Irrtum unterlegen, er könne mit seinen Finanzministerkollegen hochakademische Debatten führen. Dabei hat das Schäuble & Co. auf die Palme gebracht.

Varoufakis ist ein unglaublich kluger Mann. Und - genauso wie Schäuble - eine starke Persönlichkeit. Er hat versucht, mit seinen Amtskollegen ins Gespräch zu kommen, nur leider waren die daran nicht interessiert. Ich für meinen Teil habe es genossen, mit ihm zusammenzuarbeiten, wir hatten eine Reihe wundervoller Diskussionen. Wir waren auch vor allem in einem Punkt einer Meinung: Ich habe schon im November 2011 dem damaligen Pasok-Premier Giorgos A. Papandreou gesagt, ihr müsst einen Sanierungsplan auf den Tisch kegen. Das ist nie geschehen. Der niederländische Finanzminister und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hat Varoufakis aber signalisiert, solche Pläne kämen von der Troika und nicht von Griechenland.

Jedenfalls hatte ich seit dem Frühjahr an einem solchen Plan mitgearbeitet, Varoufakis hat dieses Papier dann ins Kabinett mitgenommen. Nach ein paar Tagen frage ich: "Yanis, was ist mit dem Papier passiert?" Sagt er: "Da gibt es leider im Kabinett ein kleines Problem." Was ist passiert: Einige Kabinettsmitglieder waren der Meinung, dass man keinen eigenen Sanierungsplan vorlegen sollte, wenn die Europäer doch klar sagen, dass das nicht gewünscht ist. Also haben die Griechen nie einen Plan auf den Tisch gelegt - ein Riesenfehler. Den Rest kennen wir: Die Verhandlungen sind kollabiert, die Banken werden geschlossen, ein Referendum zu den Reformentwürfen der Gläubiger wird abgehalten, die Abstimmung geht mit "nein" aus und danach werden die Vorschläge der Gläubiger umgesetzt. Das war chaotisch und völlig surreal. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung: Wenn Griechenland einen eigenen Plan auf den Tisch gelegt hätte, dann hätte man sich diesen Umweg erspart.

Früher wurden Sie als einer der Architekten der Schocktherapie von der Linken scharf kritisiert, heute stehen Sie selbst links. Wie sehen Sie den griechischen Premier Alexis Tsipras, den neuen britischen Star von Labour, Jeremy Corbyn, oder den Links-Demokraten in den USA, Bernie Sanders?

Man sieht, dass die Stimme von links lauter wird. Aber ich sollte wohl daran erinnern, dass das nicht unbedingt auch einen Wahlerfolg bedeutet. Ich befürchte vielmehr, dass die Folgen von Globalisierung, Überalterung und Migration die Wählerinnen und Wähler in eine völlig andere politische Richtung führen - nach rechts. Die Anti-Migranten-Stimmung ist überall, von Donald Trump in den USA über Viktor Orbán in Ungarn bis nach Österreich.

Mit der Überalterung geraten die Sozialbudgets unter Druck und mit der Globalisierung versucht jedes Land, im Steuerwettbewerb wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Problem ist, dass es derzeit nicht möglich ist, diese Fragen ruhig und sachlich anzugehen und reflektiert über Lösungen nachzudenken. Gerade in der Migrationsfrage blockiert dieses Angstgefühl jegliche rationale Lösung. Wir müssen einen Weg aus dieser Abwärtsspirale finden.

Zur Person Jeffrey Sachs
Der US-Ökonom Jeffrey Sachs gehörte in den 1990er Jahren zu jenen Ökonomen, die den osteuropäischen Reformstaaten und Russland die sogenannte Schocktherapie empfahlen. Der Ökonom Joseph E. Stiglitz ist der Meinung, dass dieser radikal-neoliberale Weg zum raschen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Ostens beigetragen habe. Heute lehrt Sachs an der Columbia-University in New York.

Während der greichischen Staatsschuldenkrise beriet Sachs den damaligen Griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, der heute, Mittwoch, auf Einladung des Bruno-Kreisky-Forums für Internationale Politik, der Basisgruppe Roter Börsenkrach (RBK) und Gesellschaft Plurale Ökonomik Wien an der WU-Wien auftritt (die Veranstaltung ist seit Wochen ausgebucht, wird aber via Live-Stream übertragen).

MONEY AND POWER - Lecture by Yanis Varoufakis // LiveStream by tu*basis

Sachs ist in den vergangenen Jahren zu einem regelmäßigen Besucher des europäischen Forums Alpbach geworden, wo er auch der Alpbach-Laxenburg-Gruppe, die die Vereinten Nationen berät, angehört.