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"In den Vereinigten Staaten gibt es kaum eine politische Frage, die nicht früher oder später zu einer gerichtlichen Frage wird", schrieb Alexis de Tocqueville in seinem 1835 erschienenen Buch "Über die Demokratie in Amerika", ein Satz, der auch während des Watergate-Skandals zitiert wurde. Tocqueville hatte sich 1831 und 1832 in den damals 25 Vereinigten Staaten über deren politisches System informiert und nannte "drei Hauptgründe für die Erhaltung des demokratischen Staatswesens: Bundesstaatliche Form - Gemeindeeinrichtungen - Richterliche Gewalt. Und obwohl den französischen Adeligen "von all dem Neuen", das seine "Aufmerksamkeit auf sich zog, nichts so lebhaft beeindruckte wie die Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen", notierte er: "Der amerikanische Adel sitzt auf den Bänken der Anwälte und auf den Richterstühlen".
Während Tocquevilles Amerikaaufenthalt amtierte der 1828 mit 647.286 händisch gezählten Stimmen gewählte siebente Präsident Andrew Jackson, Sohn eines armen Leinwandhändlers, der noch gegen die Indianer und die Engländer gekämpft hatte. Doch die kleinen Särge, die seine Gegner im Wahlkampf mit sich trugen, erinnerten weder daran noch an unterschriebene Todesurteile, sondern an die Opfer seiner Duelle. Dessen ungeachtet errang dieser erste "Blockhauspräsident" auf einer Meinungswelle gegen den Federal State einen Sieg. Mit ihm begann die "Jacksonian democracy", an die noch heute das "Beutesystem" - die Entlassung der Beamten eines Vorgängers der anderen Partei - und das "Küchenkabinett" erinnern.
Von den ersten zwölf Präsidenten wurden nur zehn durch Wahlmänner gewählt und zwei durch das Repräsentantenhaus, Jefferson 1801 sogar erst im 35. Wahlgang.
"In den Händen der sieben" - heute neun - "Bundesrichter ruhen Frieden, Wohlfahrt und der Bestand der Union selbst", urteilte Tocqueville, "Der Präsident kann fehlgehen, ohne dass der Staat leidet. . . Der Kongress kann irren, ohne dass die Union untergeht. . . Wäre der Oberste Gerichtshof aber einmal aus unvorsichtigen oder bestechlichen Männern" - und Frauen, wie man heute hinzufügen muss - "zusammengesetzt, so hätte der Bundesstaat die Anarchie oder den Bürgerkrieg zu befürchten".
Auch wenn im Zeitalter des Fernsehens und der Zuschauerdemokratie sich manches gewandelt hat, "unvorsichtig" urteilen die BundesrichterInnen auch heute nicht und die amerikanische Demokratie hat nicht nur Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidenten überstanden, sie wird auch den richterlichen Hürdenlauf zur Präsidentenwahl des Jahres 2000 überstehen. Nur über das Wahlmännerverfahren und den Zustand der Wahlmaschinen im bisher aufwendigsten Wahlkampf wird nachzudenken sein.
Prof. Karl Pisa ist Autor der 1984 erschienenen Biographie über "Alexis de Tocqueville - Prophet des Massenzeitalters"