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Tod aus dem Netz

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Die Sozialen Medien - eine Gefahr für unsere Ersparnisse.


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Vor ziemlich genau einem halben Jahr, am 1. Oktober 2022, setzte der bekannte australische Finanzjournalist David Taylor einen eher kryptisch anmutenden Tweet ab: "Glaubwürdige Quellen sagen mir, dass eine große internationale Investmentbank am Abgrund steht." Obwohl er keinen Namen nannte (und den Tweet später löschte), war das der Anfang vom endgültigen Untergang der Credit Suisse (CS). Denn dass diese Schweizer Großbank nicht gerade arm an Schwierigkeiten war, wusste jeder, der sich für dergleichen interessiert. Deshalb vermuteten viele Anleger, Taylor habe die Credit Suisse gemeint - und begannen, riesige Geldmengen von der Bank abzuziehen. Das hält keine Bank, auch keine kerngesunde, länger aus. Vor allem, wenn sich die Botschaft, eine Bank sei praktisch pleite, wie ein informatorischer Tsunami rund um die Welt verbreitet, gewaltig verstärkt von den Sozialen Medien.

Ich fürchte, das ist derzeit die größte Bedrohung für die Stabilität des weltweiten Finanzsystems: dass irgendjemand mithilfe der diesfalls asozialen Medien ein an sich kerngesundes Institut so ins Gerede bringt, dass ein digitaler Bankenrun losbricht, der jede Bank umbringen kann. Und ich fürchte, dass weder die großen Banken noch die Aufsichtsbehörden einen guten Plan haben, um so etwas zu verhindern.

"Seit Oktober 2022 führten auf den Sozialen Medien ausgelöste Gerüchte zu massiven Abflüssen von Kundeneinlagen bei der Credit Suisse", beschreibt etwa die Schweizer Bankerin Marlene Amstad die Todesspirale, die morgen jede andere Bank treffen kann. "Viele Kunden und Kundinnen sind lange sehr loyal und sehr treu gewesen. Letzten Herbst hatte dann der Social-Media-Storm ganz enorme Auswirkungen", beobachtete Axel Lehmann, Verwaltungsratspräsident der fallierten Credit Suisse. Das Institut empfing übrigens auch den Todesstoß via Soziale Medien: "Das Bloomberg-Interview, in dem der damals Noch-Chef des CS-Großaktionärs Saudi National Bank verkündete, es werde ‚keinen weiteren Cent‘ für die Schweizer Bank geben", ist auf www.finanzen.net zu lesen, "ging viral und wurde über Twitter und andere Soziale Medien schnell verbreitet. Es gilt als letzter Sargnagel für die Großbank."

Dass die Sozialen Medien demokratische Prozesse unterminieren können, ist weitgehend bekannt. Dass sie womöglich auch ein erhebliches Systemrisiko für die ganze Finanzindustrie darstellen, das letztlich die Ersparnisse jedes Einzelnen bedroht, ist eine relativ junge Erkenntnis. Umso mehr, als vor allem mächtige staatliche Akteure, die ein Interesse daran haben, dem Westen massiven wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, mit ihren Troll-Fabriken jederzeit einen digitalen Bankenrun auf das Institut ihrer Wahl auslösen könnten. Nicht undenkbar ist also, dass früher oder später Russland, China, Nordkorea oder der Iran versuchen werden, eine westliche Bank anzugreifen.

Dagegen wird es vermutlich nur ein einziges Mittel geben: die Sozialen Medien dazu zu verpflichten, solche Angriffe genauso entschieden und vor allem schnell zu unterbinden wie Hass im Netz in all seinen Spielarten. Einschließlich großvolumiger Schadenersatzverpflichtungen, wenn sie dabei schlampen. Verbote sind nie elegant, aber manchmal die zweitschlechteste Lösung.