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Tod eines Demonstranten

Von Ulrich Zander

Reflexionen

Vor 50 Jahren, am 2. Juni 1967, wurde der Student Benno Ohnesorg in West-Berlin von einem Polizeibeamten getötet. Diese Tat war der wesentliche Auslöser der Studentenrevolten der kommenden Jahre.


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Benno Ohnesorg unmittelbar nach dem verhängnisvollen Schuss.
© Ullstein Bild/Peter Schommertz

Vom 27. Mai bis zum 4. Juni 1967 erwies das persische Kaiserpaar der Bundesrepublik Deutschland die Ehre, am 2. Juni stand West-Berlin auf dem Besuchsprogramm. Die heimische Presse war durchweg angetan vom stattlichen Mohammad Reza Pahlavi und seiner schönen Frau, Farah Pahlavi, geborene Diba. Als Leistung der Schahbanu wurde die Tatsache gewürdigt, dass sie dem Gemahl (es ist seine dritte Ehe) den ersehnten Thronerben "schenkte".<p>Ein Teil der West-Berliner Studentenschaft hingegen sah die pompösen Potentaten kritisch. Der Schah schwelgte in Luxus, während "sein" Volk im Entwicklungsland Iran in Armut lebte. Die Analphabetenquote betrug 85 Prozent. Im Namen des Kaisers wurden Oppositionelle verhaftet, gefoltert und ermordet. Dem in Ungnade gefallenen Justizminister etwa wurden vor der Hinrichtung die Augen herausgerissen.<p>Die Studenten waren bei der Bevölkerung der mitten in der DDR gelegenen Frontstadt lange Zeit beliebt. Sie galten als angepasst, antikommunistisch und amerikafreundlich. Das Image änderte sich Mitte der Sechziger Jahre, als die studentische Linke an Einfluss gewann. Nun wurde etwa die Rolle der Elterngeneration im Dritten Reich hinterfragt und der Krieg der Amerikaner in Vietnam ebenso missbilligt wie die große Koalition in Bonn unter Kurt Georg Kiesinger (CDU), einem Mann mit NS-Vergangenheit.<p>

Die "Jubelperser"

<p>Die Ausbeutung der Dritten Welt durch USA und Bundesrepublik wurde thematisiert, wie auch die Finanzierung diktatorischer Regimes. Die Studenten gingen für ihre Anliegen lautstark auf die Straße. Die Stimmung, besonders geschürt durch Blätter aus dem Hause Axel Springer, die den West-Berliner Pressemarkt dominierten, richtete sich nun massiv gegen sogenannte "Krawall-Studenten".<p>Am frühen Nachmittag des 2. Juni waren die Majestäten im Schöneberger Rathaus verschwunden, dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters. Davor hatten sich hunderte Studenten und iranische Oppositionelle zum Protest versammelt. Das "normale" Volk war nur dürftig vertreten, mutmaßlich weil man dem Schah die Sache mit Soraya noch nicht verziehen hatte. Soraya Esfandiary Bakhtiary, Tochter einer Berlinerin, war mit Pahlavi verheiratet gewesen, wurde aber 1958 wegen Kinderlosigkeit "verstoßen".<p>Plötzlich droschen iranische Schahanhänger mit Holzlatten auf die Demonstranten ein. Die Ordnungshüter schauten dem Treiben der "Jubelperser" tatenlos zu, um dann mit Knüppeln ebenfalls auf die Studenten loszugehen.<p>Am Abend stand Mozarts "Zauberflöte" auf dem Programm. Gemeinsam mit Bundespräsident Heinrich Lübke (CDU) und dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) begab sich das Kaiserpaar in den Musentempel.<p>Inzwischen hatten sich rund 2000 Schah-Gegner vor der Deutschen Oper an der Bismarckstraße in Charlottenburg eingefunden. "Mörder, Mörder"-Sprechchöre ertönten. Die Polizei wurde mit Mehlsäcken und Farbbeuteln beworfen. Ob auch vereinzelt Steine flogen, ist umstritten. Lautsprecherwagen der Polizei verkündeten wahrheitswidrig, ein Kollege sei von Demonstranten erstochen worden. Gemäß dem "Leberwurstprinzip" des Polizeichefs Erich Duensing ("nehmen wir die Demons-tranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hinein stechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt") galt: Knüppel frei.<p>

Prügelorgie

<p>Die brutalste Polizeiaktion im Nachkriegs-Berlin nahm ihren Lauf. Demonstranten brachen blutüberströmt zusammen. Die Prügelorgie hatte sich in die umliegenden Straßen verlagert. Zivile Greiftrupps der Polizei machten Jagd auf vermeintliche "Rädelsführer". Im Parkhof des Hauses Krumme Straße 66/67 schlugen Beamte auf Studenten ein.<p>Gegen 20.30 Uhr fällt dort ein Schuss. Benno Ohnesorg, Lehramtsstudent an der Freien Universität, ist aus kurzer Entfernung in den Hinterkopf getroffen worden. "Bist du verrückt, hier zu schießen?", schreit ein Polizist den Schützen an. "Die ist mir losgegangen", sagt Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras.<p>Der Krankenwagen irrt eine Dreiviertelstunde durch die Stadt, da zwei Kliniken die Aufnahme des Schwerverletzten verweigern. Gegen 21.35 Uhr erreicht die Ambulanz das Krankenhaus im Ortsteil Moabit. Da ist Ohnesorg schon tot. Der 26-jährige Pazifist war kein "Radikalinski", vielmehr Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde. Und frisch verheiratet - die Frau schwanger.<p>Heinrich Albertz hatte noch in der Nacht erklärt: "Die Geduld der Stadt ist am Ende. Die Demons-tranten haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen Gast der Bundesrepublik Deutschland in der deutschen Hauptstadt beschimpft und beleidigt zu haben, sondern auf ihr Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte."<p>In diesem von Polizei und Politik verlautbartem Tenor verdrehten in den Folgetagen auch West-Berliner Blätter die Wahrheit. Knüppelopfer wurden kurzerhand zu Opfern eines entmenschten Studentenmobs erklärt. "Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen", schrieb das Boulevardblatt "B.Z." Später wurde die Berichterstattung sachlicher.<p>Benno Ohnesorg wurde nach Hannover überführt. Ein Autokorso eskortierte den Sarg über die Transitstrecke. Die DDR hatte auf sonst übliche Gebühren, Kontrollen und Schikanen verzichtet.<p>

Kurras, der Täter

<p>Karl-Heinz Kurras, verheiratet, Sohn eines Polizeibeamten, war 1946 von den Sowjets wegen illegalen Waffenbesitzes zu zehn Jahren Straflager verurteilt worden. 1950 amnestiert, machte er in West-Berlin Karriere. Er sammelte Pistolen und Gewehre, verbrachte einen Großteil der Freizeit auf dem Schießplatz.<p>Zum Tod des Studenten machte Kurras widersprüchliche Aussagen. Von Warnschüssen ist die Rede und von einem versehentlich gelösten Schuss. Er sei - am Boden liegend - von Demonstranten mit Messern angegriffen worden.<p>

Freisprüche

<p>Kurras wurde der Fahrlässigen Tötung angeklagt. 82 von 83 Zeugen hatten weder einen Warnschuss gehört noch ein Messer gesehen. Im November 1967 sprach ihn das Gericht mit der Begründung frei, "es sei nicht widerlegbar, dass er sich in einer lebensbedrohlichen Lage glaubte". Das Urteil wurde aufgrund unzureichender Beweisaufnahme aufgehoben. Im Dezember 1970 erfolgte dann der erneute Freispruch. Zwar sei er moralisch schuldig, eine strafrechtliche Schuld hätte aber nicht nachgewiesen werden können.<p>Kurras machte seinem Arbeitgeber weiterhin keine Ehre. Einmal wurde er mit seiner Dienstwaffe betrunken auf einer Parkbank schlafend aufgefunden. Ein andermal griff er einen Fotografen tätlich an. Zudem soll er ein neunjähriges Mädchen sexuell belästigt haben. Er stiftete zum Meineid an und versuchte eine Frau mit vorgehaltener Waffe zu einer Falschaussage zu bewegen.<p>Einmal sorgte er für Unmut, als er ein Kind im Umgang mit einer Pistole unterwies. Mit Ausnahme einer Geldstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes hatte all das für Kurras keine Konsequenzen, stattdessen wurde er zum Kriminaloberkommissar befördert. 1987 ging er in Pension.<p>Aber er bekam doch noch Ärger. 2009 belegte ein Aktenfund der Stasi-Unterlagenbehörde Kurras’ Agententätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Mehr als 150 Berichte aus dem Innenleben der Westberliner Polizei schickte er nach drüben. Pikanterweise war er (als Mitarbeiter der Abteilung Staatsschutz) für die Enttarnung von "Maulwürfen" in den eigenen Reihen zuständig. Unter anderen lieferte er den Ex-DDR-Agenten und späteren CIA-Spion Bernd Ohnesorge (sic!) ans Messer. Ohnesorge setzte 1987 seinem Leben in bulgarischer Haft durch Selbstverbrennung ein Ende.<p>Mit der Enttarnung von Kurras als Ost-Agent gelangte auch der Fall Benno Ohnesorg zurück ins Bewusstsein. Für die Vermutung, die DDR hätte Kurras den Mordbefehl gegeben, um West-Berlin zu destabilisieren, fanden sich keine Indizien. Es gab jedoch neue Hinweise, dass er aus freien Stücken und ohne Not gezielt geschossen hatte: eine Exekution.<p>Dennoch wurde die Beweislage als nicht ausreichend für eine Wiederaufnahme des Verfahrens angesehen. Kurras wurde übrigens dann doch noch zu einer (Bewährungs-)Strafe verurteilt: Wegen illegalen Waffenbesitzes. Er hat den Todesschuss nie bedauert. Vielmehr soll er im privaten Gespräch geäußert haben: "Ein Lump weniger." Karl-Heinz Kurras starb am 16. Dezember 2014 im Alter von 87 Jahren.<p>

Beginn des Aufruhrs

<p>Heinrich Albertz, der den 2. Juni in der Reflexion als "Tag des Zornes Gottes über meinem Haupt" bezeichnete, trat im September 1967 zurück, nachdem "Fehler" und Lügen von Senat und Polizei offenkundig geworden waren. Albertz arbeitete fortan wieder als Pastor. Der Schah hatte ihm übrigens zum Abschied einen Tipp gegeben: "Sie müssen noch viel mehr erschießen, dann haben Sie hier Ruhe."<p>Der 2. Juni 1967 wurde zum Weckruf der Jugend gegen autoritäre und verkrustete Strukturen in der Bundesrepublik. Die Politisierung griff nun auch auf die Alltagskultur über. Schülerbewegungen und Bürgerinitiativen entstanden. Der von Studenten projektierte "lange Marsch durch die Institutionen" wurde in Angriff genommen. Die außerparlamentarische Opposition gewann an Einfluss, basisdemokratische Werte erhielten Gewicht. Aus Bürgerbewegungen entstand die Partei "Die Grünen".<p>Doch auch Verblendete beriefen sich auf den Tod des Studenten. So suchten die terroristische Berliner "Bewegung 2. Juni" und die "Rote Armee Fraktion" ihre Verbrechen zu legitimieren - nach dem Motto: "Ihr habt zuerst geschossen".<p>1990 wurde am U-Bahneingang "Deutsche Oper" das Relief "Der Tod des Demonstranten" des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka aufgestellt. Seit 2008 weist an der Krumme Straße eine zweisprachige Informationsstele auf die Erschießung hin.

Ulrich Zander, geboren 1955, lebt als freier Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf historische, insbesondere kriminalhistorische Themen.