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Todeslisten im Taliban-Radio

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik
Tausende sind aus dem Buner-Bezirk geflohen und in Auffanglagern gelandet. Foto: ap

Moderne Kommunikationsmittel im Glaubenskampf. | Für Islam mit Robin-Hood-Rhetorik. | Neu Delhi. Jeden Abend versammeln sich die verängstigten Einwohner im Buner-Distrikt, nur rund 100 Kilometer von Pakistans Hauptstadt Islamabad entfernt, um ihre Radios. Doch statt Nachrichten oder Musik hören sie den lokalen Sender der Taliban ab, um zu erfahren, wer neu auf der Todesliste der Extremisten steht. Die religiösen Hardliner verkünden dann, wen sie wegen "unislamischer Umtriebe" ausgepeitscht oder geköpft haben.


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Sie drohen Friseuren, die Männer rasieren, und Ladenbesitzern, die Film- oder Musik-CDs verkaufen. Sie verbieten Mädchen den Schulbesuch und untersagen Kabelfernsehen. Als Taliban-Führer Maulana Fazlullah vor zwei Wochen seine etwa 500 Kämpfer aufforderte, mit Gewehren und anderen Waffen die Dörfer und Städte des Bezirks zu patrouillieren, kam sein Einsatzbefehl per Radio. Rund 650.000 Menschen wohnen hier, viele von ihnen sind inzwischen vor den Islamisten auf der Flucht.

Fazlullah terrorisiert seit 2005 die ganze Region mit seinen Drohungen und religiösen Hasspredigten, die er über illegale Radiostationen sendet. "Mullah Radio", wie er mit Spitznamen heißt, ist nicht allein. Auch andere UKW-Geistliche, wie Mangal Bagh und Mufti Munir Shakir, beherrschen die Sende-Frequenzen. Etwa 150 illegale Stationen soll es allein im Swat-Tal geben, dem früheren Urlaubsgebiet im Nordwesten Islamabads, das die Taliban inzwischen besetzt haben.

Die Radioübertragungen "erlauben es den Militanten, jeden Abend die Namen der Leute zu verbreiten, die sie köpfen wollen oder schon geköpft haben", schimpfte jüngst der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Nichts sei bislang geschehen, um diese Form der Kommunikation der Taliban zu stoppen. Seit 2006 versucht die pakistanische Regierung sporadisch, solche Stationen zu schließen, indem sie sie bombardiert oder sprengt. Doch die Sender kommen immer wieder zurück.

Demagogie im Äther

Die USA haben nun angeboten, die Frequenzen der Extremisten zu stören. Doch ob die Prediger damit aus dem Äther verschwinden, ist zweifelhaft. Bei aller Demagogie liefern die Taliban den Menschen in entlegenen Gebieten Informationen, oft sogar in den lokalen Dialekten, die gut verstanden werden. Gerade im Grenzgebiet zu Afghanistan sind die Optionen nicht besonders reichhaltig, meinen Experten. "Radio Pakistan" gilt den Einwohnern als zu nationalistisch. Auch der afghanische Service von "Radio Free Europe", der BBC und "Voice of America" sind hier zu empfangen, doch auch ihnen wird misstraut, weil es ausländische Sender sind.

Die abgelegene, stark konservativ geprägte Region ist arm und rückständig. Mächtige Landbesitzer oder Stammesführer haben seit Generationen hier das Sagen. Gezielt nimmt der Taliban-Rundfunk das soziale Gefüge vor Ort auf und schürt die sozialen Spannungen zwischen Arm und Reich. Etliche können der Robin-Hood-Rhetorik der Islamisten etwas abgewinnen. Sie hoffen, dass die Einführung der Sharia, des islamischen Rechtssystems, ein Stück weit mehr Gerechtigkeit nach Pakistan bringt, wie es ihnen die Taliban in ihren Radioübertragungen immer wieder versprechen.

"Es geschieht mit System. Die Taliban dringen in ein Gebiet vor, sie nutzen die existierenden Reibepunkte. Sie tun oft so, als seien sie Robin Hood. Sie vertreiben ein paar kleine Diebe und dann führen sie sehr schnell ein strenges, hartes Rechtssystem ein, das mancherorts zunächst sogar begrüßt wird", erklärt Sam Zarifi von "Amnesty International".