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Syriens Rebellen haben den Kampf um ihre Hochburg Aleppo verloren - der Sieger lautet Assad oder Isis.
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Aleppo. Sieben Stunden dauerte am Mittwoch vergangener Woche dieses zuletzt schwerste der Gefechte zwischen Gruppen der syrischen Opposition und den Extremisten der Isis ("Der Islamische Staat im Irak und Syrien"). Schauplatz war die Stadt Akhatarin 60 Kilometer nordöstlich von Aleppo.
Atemlos schildert Mothem al-Diab die erbitterten Kämpfe in einer Feuerpause: "Es ist mühsam, diesen Fanatikern Paroli zu bieten. Sie sind schwerer zu schlagen als die Soldaten von Bashar al-Assad. Die sind schonungslos, gehen jedes Risiko ein. In der Nacht haben sie ein Lager von uns überfallen und zehn Männern die Kehle durch geschnitten, bevor wir sie überwältigt haben", so Mothem al-Diab über die Isis-Kämpfer: "Dazu kommt: Seit sie im Irak in Mosul und Tikrit die Lager der irakischen Armee geplündert haben, müssen wir uns mit ein paar Maschinengewehren gegen eine Armada von gepanzerten Fahrzeugen, schwerer Artillerie behaupten."
In zahlreichen Dörfern um Aleppo und in den Randbezirken von Syriens größter Stadt toben derzeit Kämpfe wie in Akhatarin. Mothem al-Diab gehört zu der syrischen Rebellengruppe, "Liwa Tawid", die im Großraum Aleppo die Hegemonie im Sammelsurium der vielen Milizen einnimmt. Im Dezember 2013 formierte die moderate islamistische Gruppe eine Allianz mit anderen Gruppen namens "Islamische Front".
Das erklärte Ziel der Rebellenallianz war es, jene Teile des Nordosten Syriens zurückzuerobern, die von der erstarkenden Isis seit dem Herbst 2013 gehalten worden waren. Zum Teil glückte es; doch die Städte al-Raqqa, mittlerweile auch Deir ez-Zor samt der dortigen Öl-Quellen wie auch wichtige Zentren in der Provinz Aleppo, wie die Stadt al-Bab, blieben und bleiben unter der Kontrolle der Isis.
Syrische Islamisten und Rebellen gegen die internationalen Islamisten der Isis, so lautete die neue, brandgefährliche Konfliktlinie, die den Aufstand gegen Assad plötzlich überlagert. In dem verwirrenden ideologischen Spektrum der insgesamt 1500 Rebellenmilizen Syriens schien die Isis nur eine von vielen Gruppen. Ein tragischer Irrtum, wie sich im Juni im Irak herausstellt; denn die Isis konnte das Vakuum in Syrien nutzen, um sich hier für einen regionalen Feldzug zu rüsten.
Zwei-Fronten-Krieg
"Assad ist vor uns, Isis hinter uns." Es ist ein gnadenloser Zwei-Fronten-Krieg, in den die syrischen Rebellen momentan verstrickt sind, der sie zunehmend an die Wand rückt. Mothem al-Diab wirkt trotz der stundenlangen Gefechte kaum ermüdet. Stresshormone im Blut mögen dazu beitragen - und eine der besten Nachrichten, die er seit Tagen bekam: Verstärkung rückt an; aus der Stadt Idlib, im Westen, hat er soeben erfahren. So gewinnen sie ein wenig Spielraum. Zuvor schienen der 23-Jährige wie auch seine Mitstreiter und Kommandanten am Ende ihrer Kräfte. "Wir sterben oder gewinnen" - seit drei Jahren, seit er sich 2011 den Aufständischen anschloss, wiederholt er diesen Satz wie ein Mantra. Neulich ergänzte er allerdings: "Es schaut allerdings grad eher nach Sterben aus."
Der Schauplatz der schwersten Gefechte, Akhatarin, bietet wie viele Dörfer im Hinterland Aleppos ein Bild von verzweifelter Trostlosigkeit. Die wenigen Früchte der steinharten Felder sind abgeerntet, heißer Wind wirbelt leere Patronenhülsen durch Olivenhaine. Seit sieben Jahren schnürt eine historische Dürreperiode hier die Lebensadern der Bauern ab. Der seit zwei Jahren dauernde Bürgerkrieg trocknete dann die letzten verbliebenen Ressourcen aus. Übrig blieben früh verwelkte Sonnenblumen in den Vorgärten zerschossener Häuser.
Die Bevölkerung hat die Flucht ergriffen, vor den Kämpfen, die sich nun gefährlich zuspitzen, den Luftangriffen. 170.000 Menschen sind in dem Konflikt bereits gestorben, neun Millionen haben ihre Heimat verloren, sind verarmt, entwurzelt und ratlos, wie sie jemals ihre Existenz wieder aufbauen können. "Mein Zuhause, das liegt in der Zukunft. Meine Gegenwart ist zerstört", sagt Mouna Yazan, eine 17-jährige Frau aus diesem Ort.
Wie Zehntausende andere hat sie sich während der vergangenen Monate nach Azaz direkt an der Grenze zur Türkei gerettet. Abermals hat die Flüchtlingstragödie zuletzt an Dynamik gewonnen. Auf der Flucht vor Fassbomben aus der Luft, den Kämpfen am Boden und dem möglichen Horror eines Isis-Regimes. "Ich höre von Verwandten in der Stadt al-Raqqa, dass sie fürchterlich mit den Menschen umgehen", sagt Mouna Yazan: "Zwei Cousinen wurden zu dutzenden Schlägen verurteilt, nur weil sie das Haus verlassen haben." Nur wenige Kilometer von ihrer Heimat entfernt, in den Dörfern der Provinz Aleppos, die bereits unter Kontrolle der Isis sind, wurden erst vor wenigen Tagen acht Männer durch eine Kreuzigung hingerichtet. Sie hat die Bilder mit Schaudern gesehen.
Die Hilfe kommt zu spät
Abdul-Ilah al-Bashir, der militärische Führer der "Freien Syrischen Armee", der Dachorganisation der syrischen Rebellen, macht derzeit wie alle Führer der syrischen Revolution kein Hehl aus seiner blanken Verzweiflung: "Während der vergangenen Tage sind immer mehr Einheiten der Isis in die Gebiete nördlich von Aleppo vorgedrungen. Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Wenn wir nicht sehr bald massive Hilfe bekommen, werden wir verlieren."

500 Millionen Dollar an Hilfe für die Rebellen hat nun auch US-Präsident Barack Obama zugesagt. Doch das komme spät, viel zu spät, wie Abu Walid, ein Kommandant der syrischen Rebellen, betont: "Wir kämpfen schon seit Monaten gegen die Isis und flehen um Hilfe. Hätte man uns im Jänner geholfen, wären sie niemals in der Lage gewesen, Teile des Iraks einzunehmen", so Abu Walid. Auch er kämpft für die "Liwa Tawid." Allerdings mehr und mehr auf verlorenem Posten, wie der fünffache Familienvater meint.
Seit über einer Woche eskalieren im Norden Syriens die Gefechte. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf den Irak, aber hier werden die Weichen für die Zukunft der Region gestellt. Der Fall von Aleppo, einer der zentralen Bastionen der Syrien-Rebellen, droht. Müssen sie den Ostteil der größten Stadt Syriens räumen, den sie seit 2012 halten, scheitert die Revolution Syriens. Die "Wiener Zeitung" zählte zu den letzten internationalen Medien, die von den Rebellen in die Stadt geleitet wurden, und wurde dann zur raschen Abreise gedrängt. "Es ist zu gefährlich geworden", hieß es.
Bis zu drei Dutzend Fassbomben - jede mindestens eine Tonne schwer - donnern derzeit auf die Viertel, die von den Rebellen gehalten werden. Die Armeeangriffe intensivieren sich mit jedem Tag. Aus der Handelsmetropole Syriens wurde eine Geisterstadt. Statt Millionen leben nur noch 250.000 in der Zone, die von den Rebellen als "befreit" erklärt wurde. "Es ist ein Alptraum", wir schlafen nicht mehr, wir essen nicht mehr. Wir warten auf den Tod", sagt Khaled Saitan, ein Student, der zu den Ersten zählte, die hier 2011 Demonstrationen gegen das Regime anzettelte. "Wir stehen vor einem gigantischen Trümmerhaufen. Die Isis hat unserer Revolution den Todesstoß versetzt."
Zuletzt gelang es syrischen Soldaten, am Stadtrand die strategisch zentrale Industriezone um Sheikh Najaf einzunehmen. Stündlich geraten die Rebellen hier mehr unter Druck. Ob es schlussendlich Assads Armee sein wird, der Ost-Aleppo und das Hinterland einnehmen wird, ist mehr als fraglich. "Das ist ein dringender Hilferuf an die internationale Gemeinschaft, den ich hier abgebe", fleht Abdel-Rahman Dedem, der Führer des provisorischen Verwaltungsrates in jenem Teil Aleppos, der noch von den Rebellen gehalten wird: "Wenn Aleppo fällt, dann wird hier nicht Assad, sondern die Isis regieren. Dann sind sie nicht mehr zu stoppen."
Man könnte es auch so sagen, meint Abdul Lattif, ein Aktivist, der aus der Stadt al-Bab nach Aleppo floh: "Wenn wir die Stadt verlieren, dann können wir uns für alle Zeiten von dem Staat Syrien verabschieden. Er wird in zwei Teile zerfallen: in einen, den Assad hält, und in einen anderen, den die Isis hält." Und dann habe der Nahe Osten ein sehr, sehr großes Problem.
Unterdessen sind Mothem al-Diab und seine Truppe von Akhatarin Richtung Süden abgezogen worden. "Wir müssen versuchen, die letzte Ausfahrtsstraße zwischen Aleppo und dem Hinterland abzusichern. Das ist jetzt die wichtigste Schlacht. Es ist unsere letzte Chance zu überleben."