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Wien - In den Vereinigten Staaten sorgt eine Studie des Justizministeriums für Aufsehen, die erstmals seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1988 offiziell das zu Tage fördert, was ohnehin längst bekannt ist: Dass nämlich die Wahrscheinlichkeit, in den USA wegen eines Kapitalverbrechens hingerichtet zu werden, für Angehörige von Minderheiten weitaus größer ist als für weiße Staatsbürger.
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72 Prozent der von der Generalstaatsanwaltschaft in den vergangenen fünf Jahren als "gerechtfertigt" bewilligte Höchststrafen betrafen Repräsentanten von Minderheiten, und in mehr als der Hälfte der Fälle handelte es sich dabei um Afro-Amerikaner, heißt es in der Studie, die gestern von Justizministerin Janet Reno vorgestellt wurde. In Zahlen: Insgesamt kam es zwischen 1995 und 2000 zu 682 Anfragen von Anklagevertretern, in denen die Generalstaatsanwälte in 159 Fällen die Todesstrafe empfahlen. Bei der Urteilsvollstreckung war das ethnische Ungleichgewicht noch offensichtlicher: nur jeder Fünfte war ein Weißer.
Da sich die Schwarzen und Hispano-Amerikaner selten einen guten Anwalt leisten können, liegt auch die Fehlerquote hoch: Nach Angaben der New York's Columbia University gab es in nahezu 70 Prozent aller Gerichtsverfahren, die mit dem Todesurteil endeten, schwerwiegende Verfahrensfehler wie unzulängliche Beweisverfahren.
Die Studie des Justizministeriums weist auch auf große geographische Unterschiede in der Handhabung der Anträge auf Todesstrafe hin. So zeigen sich nur fünf der insgesamt 93 US-Staatsanwälte für fast die Hälfte (43 Prozent) aller positiven Empfehlungen verantwortlich. Spitzenreiter sind dabei die Disktrikte Puerto Rico, Virginia-Ost, Maryland und die beiden New Yorker Distrikte Ost und Süd. Texas Nord liegt auf Platz 9. Hingegen kamen 22 Oberste Richter gar gänzlich ohne Hinrichtungsempfehlung aus.
Dass Staatsanwälte frei schalten und walten können, liegt an der restriktiven Gesetzgebung: Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1988 sind über 40 Verbrechensarten aufgelistet sind, für die eine Hinrichtung zulässig ist.
Nun ist zu erwarten, dass die Gegner der Todesstrafe, bestärkt durch die jüngsten Zahlen, noch vehementer für einheitlichere Richtlinien eintreten und ein Moratorium fordern werden. Ein solches hatte im Juni bereits die "American Medical Association" verlangt - zumindest bis sicher gestellt sei, dass offene Fragen einschließlich der zuverlässigkeit von DNA-Verfahren zur Überführung des Täters gelöst sind. In die Schlagzeilen geriet vor allem Texas, wo Gouverneur George Bush als eiserner Verfechter der Todesstrafe zahlreiche Todesurteile bestätigt hat, bei denen Indizien gegen die Täterschaft des Verurteilten sprachen, oder äußerst fragwürdige psychiatrische Gutachten erstellt wurden.
Renommierte Vertreter der Demokraten haben mehrmals eine Aussetzung der Todesstrafe in den USA gefordert, so im April Senator Russell B. Feingold (Wisconsin) und der Abgeordnete Jesse L. Jackson (Illinois). "Wenn man in Texas ein Verbrechen begeht, das die Todesstrafe nach sich ziehen kann, dann bekommt man sie auch. Wenn man ein Weißer ist, bekommt man sie wahrscheinlich nicht", kritisiert der schwarze Bürgerrechtler Jackson den, wie er sagt, "Todesstrafen-Darwinismus" in seinem Land.
Besondere Aufmerksamkeit erhält zur Zeit der Fall des Texaners Juan Raul Garza, der 1993 wegen dreifachen Mordes in Zusammenhang Drogengeschäften zum Tode verurteilt worden war. Sollte er hingerichtet werden, wäre dies das erste Mal seit 1963, dass die Regierung in Washington Grünes Licht für eine Exekution gibt. Der Hinrichtungstermin war kürzlich auf Initiative von Präsident Bill Clinton von 5. August auf 12. Dezember verschoben worden. Seine Anwälte hatten einen Aufschub beantragt und hoffen nun auf Begnadigung. Nach der gestern präsentierten Studie des Justizministeriums darf man gespannt sein. Reno hat aber bereits klar gestellt, dass sie von einem Moratorium nichts hält.