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Der Vorwurf klingt absurd: Absichtlich sollen fünf bulgarische Krankenschwestern 426 Kinder in der libyschen Hafenstadt Benghasi HIV-verseuchte Transfusionen verabreicht haben. Nach einem ersten Urteil 2004 wurden sie nun auch im Berufungsverfahren zum Tode verurteilt.
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Dies bringt Revolutionsführer Muammar al Gaddafi in die Zwickmühle. Denn mit einem Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und einer Absage an den Terrorismus hat Libyen seinen Weg zurück in die internationale Staatengemeinschaft angetreten, wie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier erst Mitte November bei einem Libyen-Besuch lobte.
Dieser Integration steht nun die Todesstrafe als letztes Hindernis im Weg. Schon deutet die EU an, über die Einstellung von Hilfszahlungen nachzudenken, weil das Urteil "nicht hinnehmbar" sei.
Andererseits steht Gaddafi auch innenpolitisch unter Druck. Eltern demonstrierten noch am Dienstag vor dem Gerichtsgebäude, um die Bestätigung des Todesurteils zu fordern. Sie wollen die Benennung eines Schuldigen für ihre verzweifelte Lage. Das Regime versucht jeden Anschein zu vermeiden, selbst dafür verantwortlich zu sein.
Denn internationale Aids-Experten sind der Überzeugung, dass die Kinder schon vor dem Eintreffen der Ausländer in der Klinik 1998 mit dem Aids-Virus infiziert waren. Jüngste Gen-Analysen scheinen dies zu bestätigen - der untersuchte HIV-Typ habe sich bereits zuvor im Land verbreitet, heißt es im Wissenschaftsmagazin "Nature". Als Grund für das grausame Schicksal der mehr als 400 Kinder - 50 sind bereits gestoben - werden vielmehr die katastrophalen Hygienezustände im Spital selbst angenommen: Wegen Materialmangels seinen Spritzen mehrfach verwendet worden, Blutkonserven nicht getestet worden.
Das Regime, das sich gerne auf seine Erfolge gerade im Gesundheitswesen beruft, will sich solches nicht nachsagen lassen. Gutachten internationaler Experten und anderes entlastendes Material waren in dem Verfahren daher gar nicht erst zugelassen worden. Geständnisse der Angeklagten, die im ersten Prozess eine Rolle spielten, sollen durch Folter erpresst worden sein.
Wie eine Lösung im Fall der seit 1999 Inhaftierten aussehen kann, ist unklar. Möglicherweise könnten sie sich durch Blutgeld nach beduinischer Sitte freikaufen lassen - was der bulgarische Staat bisher stets abgelehnt hat. Vielleicht wartet Gaddafi auch das Urteil der letzten Instanz ab, um sich dann durch einen Gnadenerlass wieder in der westlichen Welt Liebkind zu machen. Die EU wird ihren Druck auf Libyen nicht zu stark erhöhen wollen, denn sie sucht enge Kooperation mit dem Land, über das viele Immigranten aus Afrika auf illegalen Wegen nach Europa strömen.
Sicher scheint nur eines: Ein fröhliches Weihnachten wird es in Libyen nicht geben - weder für die in Haft sitzenden Angeklagten noch für die infizierten Kinder und ihre Familien.