Der ökologische Zustand hat sich nicht gebessert. | Das Meer könnte irreparabel gekippt sein. | Rostock. "Für die Ostsee ist das nichts Neues", sagt Rainer Feistel vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Rostock-Warnemünde lapidar. Dabei wird nicht so ganz klar, ob er damit mittlerweile beinahe regelmäßig auftauchende Medien-Meldungen zum Zustand der Ostsee meint oder die schlechte Sauerstoffversorgung im Tiefenwasser des Binnenmeeres selbst. "Beides hängt eng zusammen", sagt der Ozeanograf.
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Sauerstoff ist schließlich die Voraussetzung für höheres Leben. Ohne ihn können weder Fische noch Menschen existieren. Und er ist derzeit in einem Viertel der Regionen in den Tiefen der Ostsee knapp, zeigt eine Studie des Schwedischen Wetter- und Meeresforschungsinstituts SMHI
Da die Flüsse viel Süßwasser in die Ostsee tragen, die Sonne in diesen nördlichen Gefilden aber wenig Wasser verdunstet und aus der Nordsee nur wenig Salzwasser in die Ostsee schwappt, ist der Salzgehalt in der Ostsee recht niedrig. Zwischen 17 Gramm Salz sind in einem Liter Wasser im Westen und nur drei bis fünf Gramm im Norden des Meeres enthalten - während die Nordsee mit Werten von über 30 Gramm aufwarten kann.
Je mehr Salz Wasser enthält, umso schwerer ist es. Auf dem Grund der Ostsee sammelt sich das salzreiche Wasser, das aus der Nordsee in das Binnenmeer fließt. Darüber befindet sich das salzarme Wasser aus den Flüssen. Zumindest im Süden und Westen der Ostsee ist diese Schichtung so stabil, dass selbst im Winter kein kaltes Oberflächenwasser Sauerstoff in die tieferen Schichten trägt.
Frischluft in der Tiefe
"Zwei andere Vorgänge sorgen für Frischluft in der Tiefe", erklärt Feistel: Bläst zehn Tage lang ein steifer Ostwind über das Binnenmeer, drückt er in dieser Zeit so viel salzarmes Oberflächenwasser in Richtung Nordsee, dass der Pegel um 20 oder 25 Zentimeter sinkt. "Die Ostsee läuft leer", schmunzelt Feistel. Dreht danach der Wind auf Nordwest, drückt er salzreiches Wasser mit viel Sauerstoff aus der Nordsee in die leergelaufene Ostsee zurück. Vorausgesetzt, alles geht gut.
Da der Öresund - die Meeresenge zwischen Dänemark und Schweden, die die Ostsee mit dem Kattegat weiter nördlich verbindet - nur sieben Meter tief ist, strömt dort nicht allzu viel Wasser ein. Die zweite Verbindung ist der Große Belt, der mit 28 Metern Tiefe zwar mehr Durchfluss bietet. Jedoch muss dort das Wasser einen weiteren Weg zurücklegen. Der steife Nordwestwind muss also länger blasen, um genug sauerstoffhaltiges Salzwasser bis vor die Haustür des Ozeanografen zu drücken.
Nördlich von Warnemünde baut sich für das Salzwasser dann das nächste Hindernis auf: An der Darßer Schwelle ist das Binnenmeer nur 17 Meter tief. Das schwere Salzwasser muss zunächst über diese seichte Schwelle in das Arkona-Becken mit seinen 45 Metern Tiefe strömen und danach die Stolper Schwelle mit 60 Metern Tiefe passieren. Erst dann ist die Sauerstoffversorgung gesichert.
Steifer Nordwestwind
Das Ganze findet allerdings nur statt, wenn nach mindestens zehn Tagen Ostwind noch einmal so lange eine steife Nordwest-Brise bläst. Zwischen den 1950er und den 1970er Jahren passierte das durchschnittlich einmal im Jahr. Seit den 1980er Jahren aber treten solche Wetterlagen einmal im Jahrzehnt auf.
Zwar bringen selbst bei ruhigem Wetter die Gezeiten Tiefenwasser mit Sauerstoff und belüften so das Danziger Becken. Andere Tiefen profitieren davon aber nicht. Dort wird der Sauerstoff knapp, weil Bakterien die Überreste von Tieren und Algenblüten, die von der Oberfläche nach unten rieseln, zersetzen und dabei den Sauerstoff verzehren. Ist der Sauerstoff weg, übernehmen andere Organismen die Zersetzung, die den für viele Organismen giftigen Schwefelwasserstoff freisetzen. Das sind die "Todeszonen am Ostseegrund", die in den Schlagzeilen auftauchen.
Waschmittelreste
Verstärkt werden diese Prozesse, wenn an der Oberfläche Algen- und Cyanobakterien-Blüten auftreten. Sie benötigen Phosphat, um sich explosionsartig zu vermehren. Abwässer mit Waschmittelüberresten und Dünger haben reichlich Phosphat in die Ostsee geschwemmt. Die Blüten beschleunigten so den Sauerstoff-Verbrauch in der Tiefe. Einen fatalen Nebeneffekt erklärt der Wiener Forscher Ulrich Sommer vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel: Fehlt der Sauerstoff, wird das über die toten Organismen eingetragene Phosphat aus dem Meeresboden wieder freigesetzt für die nächste Saison der Blüten. Seit den 1980er Jahren hat zwar der Eintrag von Phosphat in die Ostsee abgenommen. Das vorhandene Phosphat aber wird immer wieder recycelt. Und weil die Belüftung der Tiefen stottert, entwickeln sich immer wieder sauerstofffreie Zonen.