Das Druckmittel Öl hat für Saudi-Arabien ausgedient - bleibt nur noch der Islam.
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Zwanzig lange Jahre waren interne Dokumente zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 unter Verschluss gehalten worden. Doch der Druck der Hinterbliebenen der fast 3.000 Getöteten war dann doch zu groß. Präsident Joe Biden gab nach. Geschwärzt und ohne Namen sind nun Papiere zugänglich, das erste Dokument der US-Bundespolizei FBI über seine Ermittlungen zu den Anschlägen.
16 Seiten sollen es sein, Seiten, die Kontakte zwischen den Entführern der vier Passagiermaschinen und saudi-arabischen Beamten skizzieren. Riad hatte immer wieder erklärt, es habe keine Rolle bei den Anschlägen gespielt, obwohl 15 der 19 Entführer der Flugzeuge aus Saudi-Arabien stammten. Auch Osama bin Laden, Drahtzieher und Mastermind des Terrors gegen die USA, war Saudi. Doch alle betonen nun, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass die saudische Regierung an den Anschlägen direkt beteiligt war.
Für viele politische Beobachter klingt das nur bedingt glaubwürdig. In einem autokratischen Regime, wo nichts, aber auch gar nichts ohne die Herrschenden getan oder entschieden werden kann, sollen diese nichts davon gewusst haben? In einem Staat, wo der Geheimdienst allmächtig über allem wacht, konnten die Unterstützer der Anschläge von New York und Washington unerkannt agieren?
Verdächtige Stille
Doch in der westlichen Welt blieb es verdächtig still um die Rolle Saudi-Arabiens in diesem Zusammenhang. Es hatte den Anschein, die Saudis können machen, was sie wollen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch über die grausame Tötung des Journalisten Jamal Kashoggi im Oktober 2018 im saudischen Generalkonsulat in Istanbul, scheint Gras gewachsen zu sein.
Dem ursprünglichen Aufschrei folgten keine Taten. Selbst Recep Tayyip Erdogan, der türkische Präsident, der großmundig die Aufklärung des Falls forderte und die Verantwortlichen mit handfesten Beweisen vor Gericht bringen wollte, ist verstummt. Die Verurteilung einiger zweitrangiger Mittäter vor saudischen Gerichten mutete daher eher als eine Farce an, blieben die wahren Drahtzieher doch unbehelligt.
Dass sich Joe Biden nun dazu entschloss, die Dokumente von 9/11 zu veröffentlichen und damit Licht ins Dunkel bringt, ist nicht nur eine Geste gegenüber den Opfern, sondern mehr ein Zeichen dafür, dass die dicken Freunde von einst vielleicht nicht mehr die Verbündeten der Zukunft sind. Das Druckmittel Öl und die von den Saudis dominierte Opec - das Kartell erdölexportierender Länder - haben als Instrument der Erpressung des Westens ausgedient. Zum einen sind die USA inzwischen selbst zu einem wichtigen Ölproduzenten gewachsen, zum anderen wird gerade im Westen eine Energiewende eingeleitet, die eine Ächtung der fossilen Brennstoffe zum Ziel hat. Die Milliarden-Investitionen, die Riad in den Vereinigten Staaten und in anderen westlichen Ländern tätigt, sind auch kein Druckmittel mehr. Mittlerweile sind nämlich die Scheichs in ihren langen weißen Gewändern auf die Gewinne dieser Investitionen angewiesen und nicht die Wall Street. Bleibt also noch die Religion als Einfluss und Druckmittel.
In seinem Buch "Der islamische Faschismus" beschreibt der deutsch-ägyptische Politikwissenschafter Hamed Abdel-Samad Saudi-Arabien als eine Schizophrenie, die ihresgleichen sucht. Auf der einen Seite stehe die washingtonfreundliche Energiepolitik des Herrscherhauses, die Öffnung des Landes für alle westlichen Konsumwaren und die Bereitstellung einer Basis für die US-Marines. Auf der anderen Seite eine menschenverachtende, wahabitische Richtung des Islam, die alle Bereiche des Lebens orthodox-religiös deutet und bestimmt. "Das Imitieren eines nach außen hin westlichen Lebensstils, den man exzessiv lebt und offenkundig genießt und zugleich innerlich verachtet, macht diese Schizophrenie so explosiv", schreibt Abdel-Samad. Seit Jahren tragen die Hüter der islamischen Heiligtümer Mekka und Medina ihre extreme Ausrichtung des Islam in die Welt, finanzieren und unterstützen Islamisten und Dschihadisten in Syrien, dem Irak, Jemen und wie jetzt bekannt geworden, in den USA. Sie errichten religiöse Akademien in westlichen Staaten, gründen Koranschulen.
Seitdem in ihrer Moschee offen zum "Heiligen Krieg" aufgerufen wurde, ist die saudische König-Fahd-Akademie in Bonn wohl die umstrittenste Schule Deutschlands. Erst dann sind die Behörden aufgewacht und haben das Gefahrenpotenzial erkannt, das von dieser Schule ausging. Inzwischen ist sie geschlossen. Islamwissenschafter haben festgestellt, dass 75 Prozent der Ideologie Al Kaidas mit der des Wahibismus übereinstimmen.
Religiöse Gehirnwäsche
Milliarden saudische Petrodollars wurden und werden noch immer in die Verbreitung der "wahren islamischen Lehre" nach saudi-arabischem Vorbild investiert. Ganze Kohorten von Gastarbeitern aus zumeist muslimischen Ländern, wie beispielsweise Ägypten, finden Lohn und Brot im wahabitischen Königreich am Golf. Eine religiöse Gehirnwäsche gibt es gratis dazu. Zurück in ihren Heimatländern, führen die "Geläuterten" das Gedankengut in ihren Familien ein. Eine verstärkte Islamisierung im Nahen und Mittleren Osten ist die Folge.
Ob die jungen Menschen, die durch ihre Demonstrationen in den arabischen Ländern einen Kampf der Kulturen entfesselt haben, auf Dauer Erfolg haben werden, ist fraglich, bleibt aber die einzige Hoffnung. Der Streit der säkularen und religiösen Kräfte darüber, wie viel Einfluss Religion auf den Staat und auf die Gesetzgebung haben darf, wird gerade im Libanon, dem Irak, Tunesien, dem Iran und abgemildert auch in Ägypten ausgetragen. Immer häufiger geben sich inzwischen auch arabische Atheisten öffentlich zu erkennen, schließen sich auf Internet-Plattformen zusammen und mischen sich in die politische Debatte ein.