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Tödliche Suche nach Nickelerz

Von Ilona Gälzer

Reflexionen

1896 wurde eine österreichische Expedition auf einer südpazifischen Insel von Einheimischen angegriffen. Der wissenschaftliche Leiter, Heinrich von Foullon, kam dabei auf mysteriöse Weise ums Leben.


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1898 wurde an der Universität Wien eine Gedenktafel für den ermordeten Forschungsreisenden angebracht. Sie hängt heute im Geozentrum der Universität.
© Gälzer

Als Heinrich v. Foullon jun. im Sommer 1896 zu Gast im Barbara- haus auf dem Erzberg war und gefragt wurde, wo sich der Herr Papa denn gerade aufhalte, soll er scherzhaft gemeint haben: "Er lässt sich gerade von Kannibalen verzehren." Diese in einem Salonblatt wiedergegebene Anekdote wurde fast zur gleichen Zeit auf Guadalcanar grausame Realität. Über das tatsächliche Geschehen im südpazifischen Raum hatte das Kriegsministerium seinerzeit strikte Geheimhaltung verfügt, sodass die Presse geneigt war, die wenigen bekannt gewordenen Fakten phantasievoll auszuschmücken.

Der 1850 in Gaaden geborene Heinrich Reichsfreiherr von Foullon von Norbeeck war gleichsam aus der Art geschlagen. Während viele seiner Vorfahren und Verwandten militärische Karrieren einschlugen, wandte er sich geologischen Studien zu, studierte an den Bergakademien Schemnitz in der Slowakei und Přibram in Böhmen, später auch an der Universität Wien. Berufliche Erfahrungen schöpfte er bei einer Eisenhütte in der Südsteiermark und in der Verwaltung eines Silberbergbaus bei Schemnitz.

1878 trat Foullon in die k.k Geologische Reichsanstalt ein und diente sich in deren chemischem Laboratorium vom Volontär zum Adjunkten hoch. Er erwarb sich einen ausgezeichneten Ruf als Chemiker und Petrograph und nutzte die Zeit für Fachpublikationen sowie Exkursionen, z.B. nach Griechenland, Italien, in den Ural, nach Bosnien oder Kanada. Der nächste Karriereschritt führte ihn 1892 in das k.u.k. Finanzministerium, wo er zum Montansekretär bzw. Bergrat der Landesregierung für Bosnien und Herzegowina ernannt wurde.

Suche nach Nickel

Bei der Finanzierung seiner wissenschaftlichen Reisen kam es zunehmend zu Kooperationen mit Industriellen, die an den Forschungsergebnissen interessiert waren. So benötigte etwa Arthur Krupp für seine Berndorfer Stahlerzeugung ergiebige Nickelvorkommen und beauftragte Foullon mit der Suche. Weder die Reise nach Nordamerika, noch eine Expedition in den südpazifischen Raum brachte überzeugende Ergebnisse; Foullon empfahl allerdings auf Grund erster geologischer Befunde vertiefende Untersuchungen auf den Salomon-Inseln, insbesondere auf Guadalcanar (oder Guadalcanal). Sein Versuch, das Innere der gebirgigen Insel beim ersten Besuch 1893 zu erkunden, musste nach einigen Tagen abgebrochen werden.

Arthur Krupp überzeugte den Leiter der Marinesektion im Kriegsministerium, Admiral Sterneck, davon, nochmals eine von ihm mitfinanzierte Expedition auf die Salomon-Inseln zu schicken. Das Finanzministerium lehnte eine neuerliche Beurlaubung Foullons ab, auch er selbst wehrte ab; er kannte die Gefährlichkeit einer solchen Unternehmung und wollte seine Frau Adele und die drei Kinder durch eine angemessene staatliche Beschäftigung versorgt wissen.

Krupp beharrte auf Foullon wegen seiner ausgewiesenen Expertise. Nach vielen Verhandlungen verließ Foullon den bosnisch-herzegowinischen Landesdienst und wurde als Chefgeologe an die k.k. Geologische Reichsanstalt zurück versetzt. Eine privat abgeschlossene Unfallversicherung sollte im Falle seines Todes die Familie absichern.

Unter dem Kommando des Korvettenkapitäns Josef Mauler von Elisenau verließ das S.M. Kanonenboot "Albatros" mit 114 Mann an Bord 1895 den Kriegshafen Pola. Foullon ging ein halbes Jahr später in Sydney als wissenschaftlicher Leiter an Bord. Offi-ziell hatte die Expedition den Auftrag, im Zielgebiet u.a. für die k.k. Hofmuseen naturhistorische, ethnographische und anthropologische Sammlungen sowie Messungen durchzuführen. Der Geheimauftrag, die Suche nach Nickelerzen auf den der englischen Einflusssphäre unterliegenden Inseln, war lediglich Foullon und dem Kapitän bekannt.

Der Überfall

Am 5. August 1896 ging das Schiff an der flachen, nordöstlichen Küste der Insel Guadalcanar vor Anker. Um das Ziel, den Berg Lionshead, zu erreichen, war die Insel zu durchqueren. Begleitet von einigen einheimischen Führern, startete die mit Proviant für acht Tage ausgestattete Expedi-
tion: Foullon, seine beiden Diener sowie 24 Mann militärischer Bedeckung unter Leitung des Linienschiff-Fähnrichs Franz Budik und mit den Seekadetten Armand de Beaufort und Max Rosen. Die Mannschaft war mit Gewehren, die Offiziere waren mit Pistolen ausgestattet. Durch sumpfiges und dicht bewachsenes Gelände erreichte man nach zwei Tagen ein Dorf, heuerte weitere Begleiter ins Landesinnere an und schickte einige mittlerweile verletzte und erschöpfte Teilnehmer zurück zur Küste.

Am Tatube, einem Vorberg des Lionshead, wurde ein Lager errichtet. Rufe der einheimischen bushmen waren zu hören, von Zeit zu Zeit begleiteten sie die Expedition, tauchten - mit Keulen und Tomahawks bewaffnet - auf und verschwanden geheimnisvoll wieder. Foullon schlug Budik vor, die Gruppe möge sich nochmals teilen, um den Aufstieg zum Tatube zu erleichtern. So geschah es am Morgen des 10. August; neun Mann verließen unter Budiks militärischer Leitung das Lager, der Rest der Mannschaft verblieb dort unter dem Kommando Beauforts.

Bei einer kurzen Rast tauchte plötzlich ein reich geschmückter Einheimischer auf - vermutlich das Zeichen zum Angriff. Als aus dem Tal zwei Schüsse zu hören waren, stürzten sich bushmen aus ihren Verstecken auf die Expeditionsteilnehmer; Foullon wurde am Nacken verletzt, sein Angreifer von Budik erschossen, zwei Ma-trosen wurden schwer verwundet. Mit Waffengewalt konnten die Angreifer vertrieben werden, dann kehrte man mit den Verwundeten - nach Budiks Bericht soll Foullon aus einer tiefe Wunde am Genick und an der rechten Schulter geblutet haben - in das Lager zurück. Dort hatten die Einheimischen Beaufort und seine Matrosen beim Frühstück überrascht; zurück blieben drei Tote - unter ihnen Beaufort - und mehrere Verletzte. Im Lager verstarb bald auch Heinrich von Foullon.

Tote ohne Bestattung

Budik entschied, mit der noch verfügbaren Mannschaft zunächst die sechs Schwerverletzten zur Küste zu bringen; die vier Toten musste man in dem Bewusstsein, dass auf der Insel noch Kannibalen lebten, in Decken gehüllt zurücklassen. An ihre Bestattung war in Anbetracht des harten Gesteinsbodens und fehlender Ausstattung nicht zu denken. Sobald die Verwundeten an Bord versorgt waren, brach ein Bergekommando auf, die Toten zu holen. Es gelang jedoch nicht, das ehemalige Lager zu finden, man ging im Kreis; Dauerregen, das schwierige Gelände und die Übermüdung der Mannschaft ließen die Gruppe erfolglos umkehren.

Von Sydney aus informierte Kapitän Mauler telegraphisch das Kriegsministerium. Einen ausführlichen Bericht legte er nach seiner Rückkehr in Wien vor, wo die Marinesektion Geheimhaltung verfügte - Auszüge davon gingen später u.a. auch an die Familie Foullon sowie an die k.k. Geologische Reichsanstalt. Erst als Foullons Diener den Hinterbliebenen seinen Nachlass brachten und das Erlebte berichteten, danach auch der Presse Interviews gaben, wurde öffentlich bekannt, dass Foullon auch eine Schussverletzung erlitten hatte.

Man war genötigt, den offiziellen, in diesem Punkt eher nebulosen Bericht zu ergänzen: Im Zuge des Gefechtes soll eine Kugel aus einem Mannlichergewehr Foullons Schulter durchschlagen und seine Lunge verletzt haben. Strittig blieb allerdings, ob diese Kugel oder doch der Hieb auf den Nacken ursächlich für Foullons Tod gewesen war, zumal die Glaubwürdigkeit der Diener und ihrer phantasievoll ausgeschmückten Erzählungen (etwa von einem Häuptling, der aus Beauforts aufgeschlitztem Körper Blut trank) in Zweifel gezogen wurde.

Die österreichische, aber auch die australische Presse reagierte sehr heftig. Nachdem wegen der Geheimhaltung nur wenige Fakten durchgedrungen waren, blieb man auf Vermutungen angewiesen. Einerseits wurden Fälle von Kannibalismus geschildert, andererseits meinten Experten, es sei eher unwahrscheinlich, dass Weiße von Einheimischen verspeist würden. Schaurige Schilderungen wechselten mit kurzen, offensichtlich von der Rücksicht auf die Hinterbliebenen diktierten Mitteilungen.

Schon im September 1896 wurde in der Wiener Votivkirche unter großer Beteiligung hoher Marinevertreter eine Seelenmesse für die Verstorbenen gehalten, private Gedenkgottesdienste folgten. Auf Guadalcanar wurde beim Ort Tetere, von dem aus Foullon seinerzeit aufbrach, fünf Jahre nach der verhängnisvollen Expedition ein Gedenkkreuz errichtet, das selbst die heftigen Kämpfe während des Zweiten Weltkriegs überstanden hat und noch heute stehen dürfte.

Knochenfunde

1910 fand ein englischer Forschungsreisender auf der Insel Schädel und Oberschenkelknochen. Da der Überfall auf die österreichische Expedition noch präsent war, schickte man die Gebeine zur näheren Untersuchung nach Wien; sie konnten den Toten Foullon, Beaufort und dem Matrosen Dokovic zugeordnet werden. Gemeinsam wurden die Gebeine am Gedenktag im August 1911 in der Marine-Pfarrkirche Madonna del mare in Pola bestattet.

Foullon genoss nicht nur großes fachliches Ansehen, er war auch als liebenswürdiger, verantwortungsbewusster und umsichtiger Mensch hoch geschätzt; sein tragisches Schicksal hat die Menschen berührt, und so blieb das dramatische und geheimnisvolle Ende dieser Reise im Gedächtnis verankert. Eine gründliche Aufarbeitung der geheimen Dokumente erfolgte aber erst 2002 durch die Historikerin Karin Winter. Ihre Diplomarbeit sowie das Archivmaterial der Geologischen Bundesanstalt waren Grundlage für diese Reminiszenz.

Ilona Gälzer ist Juristin; sie war Universitätsdirektorin in Wien und arbeitet über historische Themen, vor allem den Wienerwald betreffend.