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Tödliche Verbündete in Afghanistan

Von Veronika Eschbacher

Politik

14 Prozent der Nato-Soldaten werden durch afghanische Sicherheitskräfte getötet.


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Kabul. Bis vor Kurzem noch spielte die Nato Angriffe auf ihre Truppen durch afghanische Soldaten und Sicherheitskräfte herunter. "Einzelfälle", so lautete die Erklärung. Mittlerweile aber zwingt der sprunghafte Anstieg dieser Vorfälle die Allianz, sich genauer mit dem Problem auseinander zu setzen, das auch die zunehmenden Risse in der Beziehung zwischen Amerikanern und Afghanen offenbart.

"Green-on-blue attacks" werden die Angriffe in der Militärfachsprache genannt. 2008 waren sie für weniger als 1 Prozent der Todesfälle bei Soldaten der internationalen Nato-Truppe Isaf verantwortlich, heuer sind sie laut dem "Long War Journal" aber dramatisch in die Höhe geschnellt und liegen nun bei 14 Prozent. Im August 2012 ging sogar ein Drittel aller Todesfälle bei der Isaf auf das Konto afghanischer Sicherheitskräfte.

Die Nato fand zunächst oft recht eigensinnige Erklärungen für das Verhalten der Verbündeten. Erst waren es gestresste Einzelgänger, dann persönliche Animositäten. Schließlich musste sogar der Ramadan als Grund herhalten: Die afghanischen Soldaten und Polizisten wären durch das Fasten "hungrig und leicht reizbar", sagte der amerikanische Isaf-Kommandant General John Allen. Aus Sicht der Truppe sind diese Erklärungen in gewisser Hinsicht nachvollziehbar. Die Rolle der Taliban soll so heruntergespielt werden. Eine zunehmende Infiltrierung der Sicherheitskräfte durch die Aufständischen ist gerade in Zeiten des Abzugs, der bis Ende 2014 vollzogen sein soll, nicht das, was man der afghanischen und internationalen Öffentlichkeit vermitteln möchte. Immerhin will man das Land am Hindukusch "geordnet" übergeben und kein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die gewaltvolle Rückkehr der Taliban ermöglichen würde.

Gegenüber dem Magazin "Newsweek" sagte ein anonym bleiben wollender afghanischer Militär allerdings, dass ihn die Angriffe nicht verwundern. Er selbst sei "persönlich verletzt" durch das Verhalten der US-Soldaten und wie diese seine Mitbürger, seine Religion und seine Kultur behandeln. "Zu viele von ihnen sind rassistisch, arrogant, und respektieren uns einfach nicht". Schwer belastet wurden die Beziehungen zudem durch Koranverbrennungen und Leichenschändungen. Afghanen, allen voran die größte ethnische Gruppe der Paschtunen, sind hoch sensibel, wenn es um religiöse oder kulturelle Werte geht.

Als lachender Dritter aus der zunehmenden Entzweiung dürften die Taliban hervorgehen: Auch wenn nicht alle Angriffe durch Taliban-affine Soldaten verübt werden, so spielt die Entwicklung ihnen in die Hände.