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Tödlicher als jeder Terroranschlag

Von Barbara Ottawa

Wissen

Die Zahlen sind bekannt: 40 Millionen Menschen sind weltweit mit dem HI-Virus infiziert. Mehr als 20 Jahre nach Entdeckung des Erregers der Immunschwächekrankheit Aids steigt die Zahl der Neuinfektionen weiter. Obwohl sich die Angst vor Aids in weiter vorherrschender Diskriminierung von HIV-Positiven niederschlägt, gehen Menschen in den Industrieländern wieder mehr Risikos beim Geschlechtsverkehr ein als noch vor ein paar Jahren. In den Entwicklungsländern sehen immer mehr Regierungen die dramatischen Auswirkungen der Krankheit und versuchen, Maßnahmen zu setzen.


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"Ungeschützter Sex ist gang und gäbe." Das fand die Kondomfirma Durex bei einer Umfrage heraus. Mehr als ein Drittel der Befragten gaben an, sie seien bereit ohne Kondom mit einem neuen Partner sexuell aktiv zu werden, 41 Prozent der Befragten hatten in den letzten zwölf Monaten ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem neuen Partner. Mehr als ein Zehntel der Befragten würde sich in der ersten Nacht dem Geschlechtsverkehr mit einem neuen Partner hingeben.

Aids unterschätzt

"Die Leute verlieren den Respekt vor der Krankheit", sagte eine Betroffene bei einem Pressegespräch anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Das Acquired Immune Deficiency Syndrom (Aids) bleibt jedoch weiter unheilbar (siehe Artikel unten). 20 Millionen Menschen sind bereits daran gestorben. "Die Krankheit ist tödlicher als jeder Terroranschlag und jede Massenvernichtungswaffe", so US-Außenminister Colin Powell.

Die Mehrzahl der HIV-Infizierten lebt auf der südlichen Hemisphäre. Für Lateinamerika etwa schätzt die Weltbank, dass 40 Prozent mehr Menschen den Virus in sich tragen als bisher angenommen. Aids sei unterschätzt worden, die Dunkelziffer enorm hoch. Gerade hier ist es laut Experten aber noch nicht zu spät, durch Präventionsmaßnahmen und bessere Aufklärung eine Katastrophe, wie sie andere Länder erleben, einzubremsen.

Auch in Asien breitet sich die Krankheit weiter aus, nur in Thailand haben die Maßnahmen der Regierung greifen können. In Afrika bleibt Aids ebenfalls nahezu ungebremst. Bis zum Jahr 2050 werden laut einer französischen Studie auf diesem Kontinent knapp 20 Prozent weniger Menschen leben. Bei einer Bevölkerungszahl von 703 Millionen Menschen heißt das, dass in den nächsten 50 Jahren allein in Afrika 140 Millionen an der Immunschwächekrankheit sterben werden.

Die UN, die EU und die USA werden immer wieder aufgefordert, ausreichend Geldmittel für die Bekämpfung der Krankheit bereit zu stellen. Obwohl schon Fonds eingerichtet wurden und laufend Gelder investiert werden, konnte die Ausbreitung der Krankheit bisher nicht gestoppt werden.

Aber auch in den Entwicklungsländern beginnt erst langsam das Umdenken angesichts der dramatischen Zahlen. Sie setzen eigene Initiativen, wie etwa die Gratis-Verteilung von Medikamenten oder verbesserte Aufklärungskampagnen.

Großmütter werden verehrt

Die mexikanische Regierung beispielsweise will künftig die vollen Kosten für die Behandlung von Aids-Patienten übernehmen. Brasilien plant eine landesweite Kampagne mit kostenlosen Aids-Tests. China bietet - ebenfalls gratis - Aids-Therapien für Arme an.

Auch in Südafrika, wo es bereits 700.0000 Aids-Waisen gibt, denkt die Regierung um. Präsident Thabo Mbeki ließ letztes Jahr aufhorchen, als er anzweifelte, dass der HI-Virus der Auslöser für Aids sei. Letzte Woche hat die Regierung des Landes an der Südspitze Afrikas einen Plan zur freien Verteilung von Aids-Medikamenten gebilligt. Innerhalb von fünf Jahren sollen die Medikamente allen Bedürftigen zur Verfügung stehen. Zunächst muss es dafür aber eine Ausschreibung geben.

Die UN schätzt, dass es in sieben Jahren 20 Millionen Aids-Waisen in Afrika geben wird. Die Rolle der Eltern wird derzeit oft von den Großmüttern übernommen. Sie werden dafür von der Gemeinschaft verehrt.

Unwissenheit diskriminiert

In Europa breitet sich der HI-Virus derzeit in Osteuropa am schnellsten aus. Zwei Drittel der Neuinfektionen des Kontinents sind dort zu verzeichnen. In der Ukraine haben im September Dutzende Demonstranten die Vertreibung aller Homosexuellen aus dem Land gefordert.

Aber auch in anderen Ländern werden Menschen mit HIV weiterhin diskriminiert. In Indien brachte ein Mann seinen HIV-positiven Bruder um, weil er sich vor einer Ansteckung fürchtete.

In den USA scheint die Unwissenheit über den Virus und seine Verbreitung ähnlich groß zu sein. Einer Studie zufolge wissen noch immer viele Menschen nicht, dass der HI-Virus nicht durch einfachen Körperkontakt übertragen wird. HIV-positive Menschen werden oft ihrer Privatsphäre beraubt, sie werden bei Postenbesetzungen übergangen und nicht selten wird ihnen medizinische Betreuung verweigert - 20 Jahre nachdem, Aids erstmals identifiziert wurde.