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"Tödlicher Cocktail" für Unis

Von Katharina Schmidt

Politik

Gegenfinanzierung laut Hahn unmöglich. | Qualität könnte "dramatisch" sinken. | Argumente bei EU für Mediziner-Quoten nun gefährdet. | "Wiener Zeitung": Die Studiengebühren werden wohl abgeschafft. Laut SPÖ-Wissenschaftssprecher Broukal ist die ÖVP selbst schuld, weil sie "nur blockiert" hat.


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Johannes Hahn: Das ist ja keine Hetzveranstaltung. Wir hatten nie die Absicht, die Studienbeiträge abzuschaffen. Die bekannten Pläne führen zu einem dramatischen Qualitätsverlust, weil sie den Unis nachhaltig Geld entziehen werden.

Sie glauben also, dass die geplante Gegenfinanzierung durch den Bund nicht reicht?

Ich habe berechtigte Zweifel: Die Kombination aus Gegenfinanzierung der Studienbeiträge, Zusatzkosten durch das Ende der Zugangsbeschränkungen und dem Ziel, bis 2020 zwei Prozent des BIP in tertiäre Bildung zu investieren, würde bedeuten, dass das Uni-Budget schlagartig um 25 bis 30 Prozent im Jahr zunehmen müsste. Und das ist angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation schlicht undenkbar. Außerdem wären wir von allen 46 Bologna-Staaten das einzige Land, das weder Zugangsbeschränkungen noch Studienbeiträge kennt. Das macht uns zum bildungspolitischen Hinterhof Europas.

Was ist das größere Problem: Die Abschaffung der Studiengebühren oder die der Zugangsbeschränkungen für nichtmedizinische Fächer?

SPÖ, FPÖ und Grüne haben hier einen tödlichen Cocktail angerührt. Etwa ist es beim Medizinstudium in Graz und Innsbruck gelungen, die Wartezeit abzubauen, in Wien haben wir das bis 2010. Es sei denn, die Zahl der Medizinstudenten wird völlig unnötig um 60 Prozent aufgestockt.

Ist das wirklich so unnötig? Als es darum ging, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der Quotenregelung abzuwenden, hat auch die ÖVP argumentiert, dass wir zu wenige Mediziner haben.

Wir haben in Brüssel argumentiert, dass wir einen vermuteten jährlichen Bedarf von 800 bis 1000 Ärzten haben. Internationale Studien belegen zudem, dass 80 Prozent derer, die zum Studieren ins Ausland gehen, wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Daraus haben wir die Erstsemestrigenzahl von 1500 und die Quote (75 Prozent der Studienplätze in der Medizin sind für Österreicher, 20 für EU-Bürger und 5 Prozent für Drittstaatsangehörige reserviert, Anm.) abgeleitet. Für 2010 habe ich mit den Rektoren eine mögliche Ausdehnung um 150 bis 200 Studienplätze ins Auge gefasst. Wir wollen ja auch kein akademisches Proletariat produzieren.

2012 wird die EU-Kommission wieder anklopfen - dann könnte die Quotenregelung in der Medizin kippen .. .

Wenn wir in den fünf Jahren nachhaltig belegen können, dass der von uns praktizierte Weg notwendig ist, dann gehe ich davon aus, dass uns die Kommission diese Vorgehensweise pro futuro genehmigt. Das heißt aber: Wir müssen bei den Daten Berechenbarkeit und Verlässlichkeit beweisen und keine Hau-Ruck-Aktionen starten.

Heißt das, wir könnten mit der "Hau-Ruck-Aktion" die Argumentationslinie vor der Kommission verlieren?

Das befürchte ich. Wir haben in Studien den vermuteten Medizinerbedarf dargestellt und erklärt, warum wir uns eben nicht mehr Plätze leisten können. Die Ausbildungszahlen sind jetzt schon an der Obergrenze. Wenn wir nun - aus heiterem Himmel und ohne Zugrundelegung von Untersuchungen - noch mehr ausbilden, dann entsteht der Eindruck, dass unsere Zahlen vielleicht gar nicht stimmen. Wenn die Quotenregelung nicht hält, werden das die Herren Graf, Grünewald und Broukal zu verantworten haben. Das schaue ich mir an, wenn bis zu 10.000 Studenten auf den Markt drängen.

Der Vorsprung vom Sommer ist verspielt. Beteiligt sich die ÖVP zu wenig an populären Maßnahmen?

Es kommen immer mehr Leute darauf, dass sogenannte populäre Maßnahmen in Wirklichkeit saure Zuckerln sind, denen Belastungen folgen. Die populäre Maßnahme besteht mittlerweile darin, nicht zu jedem Blödsinn Ja und Amen zu sagen. Es macht schon Sinn, versierte Politiker zu haben, die Verantwortung tragen. Molterer ist hier nicht zu vergleichen mit Faymann, wo man nur zwischen Kleinformat und kein Format wählen kann.

Faymann hat jahrelang in jedem Wiener Gemeindebau von den Plakaten heruntergelächelt - Molterer hingegen hat nicht umsonst das Image des "Pater Willi".

Molterer würde ich mein Geld anvertrauen, Faymann nicht - nach dem, was ich in der letzten Zeit erlebt habe.

Die ÖVP könnte in Wien auf Platz vier hinter SPÖ, Grüne und FPÖ zurückfallen.

Die Freiheitlichen werden möglicherweise vor uns liegen, was aber insbesondere auf einen Schwächeanfall der Wiener SPÖ zurückzuführen ist.

Mit wem könnten Sie sich eine Koalition vorstellen?

Jetzt muss man den 28. September abwarten und schauen, ob wir überhaupt eine Möglichkeit haben, in einer Regierung zu sein. Ich glaube schon, dass Rot-Blau zustande kommt, wenn es sich rechnerisch ausgeht.

Das dementiert Faymann.

Da gibt es in der Psychologie das Phänomen: Wenn man immer etwas ablehnt, dann heißt das eigentlich, dass man es goutiert.

Wäre die Wiedereinführung der Studiengebühr eine Koalitionsbedingung?

Mögliche Koalitionspartner müssen den Offenbarungseid leisten: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit einer Partei koalieren, die nicht bereit ist, die Unis substanziell zu unterstützen.

Substanzielle Unterstützung - heißt das jetzt mit oder ohne Studiengebühren?

Man muss die Realität im Auge haben. Das heißt für mich: Mit Studienbeiträgen, weil die sieben bis acht Prozent des Uni-Budgets ausmachen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Budget erstellen kann, das diesen Prozentsatz ausgleicht und das Wachstum, das wir haben wollen, bedient.

"Österreich wird zum bildungspolitischen Hinterhof Europas."