Panische Reaktionen auf Geräusche führen zu "Taucherkrankheit". | Bringt der Lärm in den Meeren das Liebesleben der Wale durcheinander? | Berlin. Wenn die U-Boot-Jäger der Marine den Ernstfall proben, bekommen Schnabelwale Panikattacken, an deren Folgen viele Tiere verenden. Dabei ist nicht einmal die Lautstärke das Problem, wenn das Spezialsonar eines U-Boot-Jägers den abgetauchten Feind aufspürt, sondern die Art des Geräusches: Mit einem zwischen zwei und zehn Kilohertz auf- und abschwellenden Heulton lassen sich anschleichende U-Boote am besten orten.
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Für einen Schnabelwal hören sich diese Geräusche anscheinend wie jagende Schwertwale an, die ähnliche Laute von sich geben. Die in den Tiefen der Hochsee lebenden Meeressäuger geraten vermutlich in Panik und tauchen viel zu schnell auf und nicht wieder ab. Dabei könnten sie die Dekompressionskrankheit bekommen, an der auch Menschen sterben, die aus größeren Tiefen zu schnell auftauchen.
Warum Wale oft stranden
"Schnabelwale halten sich im Mittel in einer Tiefe von 200 Metern auf", erklärt Lars Kindermann vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven die Zusammenhänge. Zum Atmen kommen sie anders als andere Wale nur für wenige kurze Atemzüge an die Oberfläche, dann verschwinden die meisten der 19 bekannten Arten von Schnabelwalen wieder rasch in größere Tiefen. So gehen sie wohl Schwertwalen und dem Weißen Hai aus dem Weg. Auf der Jagd nach Tintenfischen bleiben die Tiere oft eine Stunde unter Wasser und tauchen bis zu 2000 Meter tief, bewiesen 2006 Peter Tyack und seine Kollegen vom Ozeanografischen Institut im US-amerikanischen Woods Hole, als sie insgesamt zehn Schnabelwale im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln mit kleinen Peilsendern ausrüsteten.
Auf die Druckverhältnisse dort unten ist der Organismus der Tiere ausgerichtet. Deshalb ist in ihrem Blut und Gewebe zum Beispiel viel mehr Stickstoff gelöst als bei Tieren, die an der Oberfläche leben. Taucht ein panischer Schnabelwal zu schnell auf, ohne gleich wieder in die Tiefe zu gehen, perlt genau wie bei einem zu rasch an die Oberfläche kommenden Taucher der im Blut gelöste Stickstoff als Gasbläschen aus.
Embolien sind die Folge, an denen die Tiere sterben können. Oder sie können sich nicht mehr orientieren. So strandeten größere Gruppen der sonst nur selten beobachteten Cuvier-Schnabelwale nach Nato-Marine-Übungen mit entsprechenden Sonargeräten 1996 in Griechenland, 2000 auf den Bahamas, 2002 auf den Kanarischen Inseln und im Februar 2009 an den Stränden der Hebriden vor der schottischen Küste.
Der Lärm in den Weltmeeren aber nimmt zu, stellte die Internationale Walfang-Kommission bereits im Mai 2004 fest. Ölsucher feuern extrem laute "Luftkanonen" ab, Schwimmbagger machen unter Wasser noch viel stärkeren Lärm als vergleichbare Geräte an Land, Fischereiflotten setzen für das Walgehör laute Sonargeräte ein, um Fischschwärme zu suchen. Seit 1950 hat sich so vermutlich in jedem Jahrzehnt der Lärm im Meer verdoppelt.
Orientierung nach dem Gehör
Da Augen unter Wasser viel schlechter als in der Luft sehen, orientieren sich viele Tiere mit dem Gehör. Schall trägt im Meer ohnehin sehr weit, obendrein pflanzen sich Töne unter Wasser fünfmal so schnell wie in der Luft fort. Der wachsende Unterwasserlärm aber gefährdet dieses Sehen mit den Ohren.
Um die Auswirkungen von Schall auf Lebewesen im Meer zu beurteilen, muss AWI-Forscher Lars Kindermann aber erst einmal wissen, wie gut ein Wal oder eine Robbe hört. Zwar gibt es von einigen in Gefangenschaft gehaltenen Arten wie manchen Delfinen gute Daten. Bei den meisten Walen und Robben aber betreten die Forscher diesbezüglich völliges Neuland. Herkömmliche Hörtests wie beim Ohrenarzt aber eignen sich schon kaum für Tiere an Land, für Meeresbewohner sind sie völlig ungeeignet.
Daher schleichen sich AWI-Forscher zum Beispiel vom deutschen Dallmann-Labor auf der King George-Insel vor der Antarktis an dösende See-Elefanten an und schießen mit einem Blasrohr lange Injektionsnadeln mit einem Betäubungsmittel durch die dicke Speckschicht der Tiere. Von den betäubten See-Elefanten zeichnen die Forscher dann die Gehirnströme auf und spielen den Tieren Töne in verschiedenen Lautstärken und Frequenzen vor. An den Gehirnströmen erkennen die Forscher recht genau, ob die Tiere diese Laute hören oder nicht. Da die betäubten Tiere im Wasser ertrinken würden, werden diese Experimente an Land oder auf Eisschollen gemacht. Der Physiker Lars Kindermann rechnet diese Ergebnisse anschließend auf die Verhältnisse unter Wasser um.
Kennen die Forscher das Hörvermögen der Tiere, können sie viel besser beurteilen, ob bestimmte Geräusche sie beeinflussen oder gefährden. Solche Daten könnten Bemühungen unterstützen, den Unterwasserlärm ähnlich zu dämpfen, wie das bereits an Land geschieht. Das hilft vielleicht auch den Blauwalen, die wie viele andere Walarten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu ausgerottet wurden.
Töne über 3500 Kilometer
Während sich der nahe verwandte Finnwal, das zweitgrößte heute auf der Erde lebende Tier, von dieser Jagd langsam wieder erholt, sehen Biologen beim Blauwal mit seinen bisweilen mehr als 33 Metern Länge und 200 Tonnen Gewicht noch keine rechte Verbesserung. Der Grund dafür könnte im Sozialverhalten liegen, vermutet Chris Clark von der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York.
Während Finnwale in Gruppen leben, sind Blauwale Einzelgänger. Dem Forscher war mit Hilfe eines 16 Milliarden Dollar teuren Unterwasser-Spionagesystems der US-Marine auch aufgefallen, dass nur männliche Blauwale extrem tiefe "Orgeltöne" ausstoßen, die bis zu 3500 Kilometer weit tragen können. Vielleicht verabreden sie sich mit diesen Infraschall-Schreien ja mit Weibchen, die selbst stumm bleiben und ein paar Hundert Kilometer entfernt schwimmen? Der Lärm in den Meeren könnte diese Rufe übertönen und so das Liebesleben der größten Tiere durcheinander bringen, die je auf der Erde gelebt haben.
Siehe auch:Filmbesprechung ´Unsere Ozeane´