Junger, schwacher Staat kann nicht die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten.
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Juba. Die Menschen versteckten sich im Busch - ohne Wasser und ohne Lebensmittel, berichtet Lisa Grande von den Vereinten Nationen. Im Südsudan hat eine Welle ethnischer Gewalt zwischen 20.000 und 50.000 Menschen in der Region Jonglei vertrieben. Zudem wurden bei den Auseinandersetzungen zwischen zwei verfeindeten Volksgruppen, den Lou Nuer und den Murle, dutzende, womöglich gar hunderte Menschen getötet, sagte am Mittwoch Grande, die die humanitäre Hilfe der UNO im Südsudan leitet. Für die von der Gewalt Vertriebenen sei jedenfalls in den kommenden Tagen ein massiver Hilfseinsatz notwendig.
Auslöser für die Gewalt war ein Streit um Rinderherden. Die Lou Nuer und die Murle werfen sich immer wieder gegenseitigen Viehdiebstahl vor. Etwa 6000 junge Männer der Lou Nuer sind deshalb vergangene Woche in die von Murle bewohnte Kleinstadt Pibor eingedrungen. Die Angreifer brannten Hütten nieder und sollen jede Menge Vieh mit sich genommen haben. Auch auf andere Ortschaften gab es Überfälle. Mittlerweile hat die südsudanesische Regierung Soldaten in die Region entsandt. Doch viele Flüchtlinge fühlen sich offenbar noch immer bedroht und bleiben in ihren Verstecken.
Ein Land voller Waffen
Streit um Viehherden zwischen verschiedenen Ethnien gibt es seit Jahrzehnten im Südsudan. Aber heute verlaufen diese Konflikte oft viel tödlicher als früher. Denn der Südsudan ist mit schweren Waffen überschwemmt. Grund dafür ist ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg. Der Südsudan kämpfte dabei um seine Unabhängigkeit vom Sudan, die er schließlich im Juli dieses Jahres ausgerufen hatte.
Doch der junge, bitterarme Staat hat ein Sicherheitsvakuum. Armee und Polizei sind personell und organisatorisch nicht stark genug, um in dem Land mit der Fläche Frankreichs überall Präsenz zu zeigen. Dabei ist die von der Unabhängigkeitsbewegung "Sudanesische Volksbefreiung" gestellte Regierung des Vielvölkerstaates nicht nur mit immer wieder aufflammenden ethnischen Konflikten, sondern auch mit Rebellen konfrontiert.
Die ursprünglich aus Uganda stammende Lord’s Resistance Army etwa operiert auch im Südsudan, überfällt Dörfer und massakriert Zivilisten. Und kürzlich hat sich eine neue Rebellengruppe gebildet, die die Wiedervereinigung mit dem Sudan fordert.
Mit diesem hat der Südsudan bereits ein äußerst angespanntes Verhältnis, das ständig zu eskalieren droht. So herrscht zwischen den beiden Ländern ein Konflikt, wem die Grenzregion Abyei zufallen soll, in der sich Erdöl befindet. In Abyei sind nun UN-Soldaten stationiert, um einen Truppenrückzug zu überwachen. Diesem haben sowohl der Sudan als auch der Südsudan zugestimmt. Doch beide Seiten sollen sich nicht an die Abmachung halten, und es steigen die Ängste, dass es in der Region erneut zu Gefechten kommt. Weiteres Öl ins Feuer gießen Kämpfe innerhalb des Sudans. Die dortige Armee bekämpft sich mit Rebellen, die mit dem Südsudan sympathisieren.
Das alles spielt sich vor dem Hintergrund einer humanitären Krisensituation ab. Zehntausende Flüchtlinge sind über den Südsudan, der seine Bevölkerung kaum ernähren kann, zerstreut - teilweise sind es Vertriebene aus dem Sudan, teilweise sind die Menschen vor internen südsudanesischen Konflikten geflohen. Viele dieser Flüchtlinge sind für internationale Hilfsorganisationen nur schwer zu erreichen. Und generell wird deren Arbeit durch die Gewalt schwer behindert. So wurde bei den jüngsten Überfällen in Pibor auch ein Krankenhaus von "Ärzte ohne Grenzen" geplündert. Die Organisation zog daraufhin ihr Personal aus der Region vorübergehend ab.
Siehe auch das Dossier der Wiener Zeitung zum Thema Sudan
Nachlese: Interview mit der Menschenrechtsfachfrau Andrea Schüchner: "Die Menschen haben Angst vor Regimeänderungen"
Dossier: Sudan
Nachlese: Interview mit der Menschenrechtsfachfrau Andrea Schüchner: "Die Menschen haben Angst vor Regimeänderungen"