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Todsünde Trägheit

Von Francesco Campagner

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"Kannst Du die sieben Todsünden aufzählen?", fragte mich der Priester. Ich blickte ihn an, räusperte mich, und begann sie langsam aufzuzählen. So langsam, dass der junge Kaplan sie selbst im Höllentempo aufsagte: "Superbia, invidia, ira, acedia, avaritia, gula, luxuria." Der Mann war eindeutig nicht von der Trägheit, der vierten Todsünde, befallen. Er sprach nicht nur schnell, sondern bewegte sich ebenso - und auch den Firmunterricht erledigte der Kaplan in Windeseile.

Deutlich langsamer war dagegen das Tempo bei "kreuz&quer" am Dienstagabend in ORF 2.

In 50 Minuten schaffte man mit "Hochmut" und "Neid" ganze zwei der sieben Todsünden. Allzu bedächtig setzten sich die jungen Filmemacher der Wiener Filmakademie mit dem Thema auseinander. Im Mittelpunkt standen persönliche Schicksale, die der jeweiligen sündhaft-en Charaktereigenschaft eine neue Perspektive geben sollten.

Wirklich überzeugen konnte das Konzept allerdings nicht. Zu konstruiert, zu lebensfremd und zu wenig provokant erschienen die ersten zwei Folgen über einen Bergsteiger (Hochmut) und ein Künstlerehepaar (Neid).

Dabei liefert das Thema unerschöpfliche Motive, werden die sieben Todsünden doch mittlerweile auf alle Gebiete des Lebens - vom Bewerbungsgespräch über Lebenspartnerschaften bis zum Webdesign - übertragen. Doch stattdessen wurde der acedia (Trägheit) gefrönt, jenem Laster, das mein Kaplan am offensichtlichsten ablehnte.