Nach der heftigen Kritik an seinen Plänen, den Jugendgerichtshof Wien (JGH) zu schließen und organisatorisch ins Straf-Landesgericht einzugliedern, bläst Justizminister Dieter Böhmdorfer zur medialen Gegenoffensive: In einer Pressekonferenz wurden erneut die Pro-Argumente für die Umstrukturierung ins Treffen geführt - eine daran anschließende Begehung der Justizanstalten Erdberg und Josefstadt sollte den anwesenden Journalisten dann Sinn und Nutzen des Böhmdorfer-Plans an Ort und Stelle vor Augen führen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis. Ein Lokalaugenschein in den beiden Wiener Justizanstalten brachte die Unterschiede deutlich zu Tage: Auf der einen Seite das kleine, alte, fast familiär anmutende, Gefängnis mit seinen 70 jugendlichen Insassen im JGH-Gebäude in der Rüdengasse. Auf der anderen Seite, der moderne, mehr als 1.000 Insassen fassende, justizielle Großbetrieb im Grauen Haus; Wachebeamte, die "Herr Hauptmann, melde keine besonderen Vorkommnisse" rufen, wenn die kleine Gruppe aus Reportern, Fotografen und Beamten den Trakt betritt.
Die Justizanstalt Erdberg, derzeit noch zusammen mit dem Jugendgerichtshof in der Rüdengasse in Wien III. untergebracht, sei keine angemessene Unterkunft für jugendliche Häftlinge, erklärte der Justizminister am Dienstag vor Journalisten. Mit Ende des Jahres, wenn der JGH organisatorisch im Landesgericht aufgeht, sollen auch die (derzeit) 53 jugendlichen U-Häftlinge in die Justizanstalt Josefstadt übersiedeln. Die rund 70 "jungen erwachsenen U-Häftlinge", die ebenfalls der Jurisdiktion der Jugendgerichtsbarkeit unterliegen, sind bereits jetzt in der Josefstadt untergebracht.
Tatsächlich sind die Zellen in der "Rüdenburg" alles andere als modern. Auf durchschnittlich acht Quadratmeter Platz sind hier jeweils zwei Jugendliche untergebracht - in 34 von 52 Hafträumen ist die Toilette nicht abgemauert, sondern lediglich durch einen Vorhang vom übrigen Haftraum getrennt. Das entspreche nicht dem gängigen Standard der Unterbringung in österreichischen Justizanstalten, erklärt Böhmdorfer. Und Sektionschef Michael Neider ergänzt: "In Erdberg haben wir Haftzustände wie in den 60er Jahren - mit der komplett sanierten Josefstadt haben wir eine Justizanstalt des 21. Jahrhunderts." Neider verweist auf den Turnsaal, Fitnessräume, Kinosaal, noch einzurichtende Werkstätten und Lehrsäle in der Josefstadt. Die Jugendlichen und Jungen Erwachsenen blieben auch in der Josefstadt strikt von den erwachsenen Häftlingen getrennt. Da die unterstützenden Organisationen wie die Wiener Jugendgerichtshilfe mitübersiedeln würden, sei zudem die optimale Betreuung weiterhin sichergestellt. Synergie-Effekte, hier ist vor allem der Wegfall von Transportkosten gemeint, gäben mehr Freiraum zur Schaffung von wertvollen Unterrichts- und Resozialisierungsmaßnahmen.
Allerdings besteht in Erdberg die nötige Infrastruktur schon längst. Neben Computer-Schulungsräumen stehen den Häftlingen sieben komplett eingerichtete Werkstätten zur Verfügung. Problem: Seit "zwei, drei Jahren", wie JGH-Präsident Jesionek erzählt und Neider bestätigt, werde beim Personal gespart.
Infrastruktur ausnützen
Justizwachebeamte mit Lehrbefugnis müssten normal Wache schieben - für die Ausbildung jugendlicher Handwerker in Haft fehle es am Personal. Warum aber woanders neue Infrastruktur schaffen, wenn die Einrichtungen bereits bestehen und nur nicht ausreichend genützt werden? Dazu kommt, dass Böhmdorfers Argument, mit der Umsiedlung des JGH werde ein Gebäude frei, was finanzielle Vorteile brächte, nicht überzeugt. Grund: Jedenfalls bis zum Bau der neuen Vollzugsanstalt "in den nächsten 36-48 Monaten in Transdanubien" (Neider), sollen Jugendliche mit kurzen Haftstrafen in Erdberg verbleiben. Zumindest drei Jahre lang ist das Gebäude also definitiv nicht frei und dürfte angesichts der darin befindlichen Justizanstalt eher schwer verkäuflich sein. Wie viel die Reform in Summe kosten wird, das vermag im Justizministerium niemand zu sagen. Neider: "Wir haben das noch nicht durchgerechnet."
Wie auch immer - bei den Streitparteien scheint sich momentan eine gewisse Annäherung in den Positionen anzubahnen. So erneuerte einerseits Böhmdorfer seine Gesprächsbereitschaft, aber auch Jesionek gab sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ungewohnt zahm: "Wenn alle unsere Prämissen erfüllt sind, sollen die Häftlinge von mir aus ins andere Gebäude übersiedeln." Allerdings müssten die Agenden der Jugendrichter auf bezirks- wie auf landesgerichtlicher Ebene nach wie vor unter einem Dach vereinigt bleiben: "Nur so lässt sich die Infrastruktur sinnvoll nützen."