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Tomislav Nikolic zieht die Reißleine und stärkt Serbiens EU-Befürworter

Von Christian Wehrschütz

Analysen

In Serbien hat sich der Bruch zwischen Vojislav Seselj, dem Vorsitzenden der Radikalen Partei, und seinem langjährigen Stellvertreter Tomislav Nikolic seit mehr als einem Jahr abgezeichnet. Am Freitag wurde er vollzogen: Auf Verlangen Seseljs schloss der Parteivorstand Nikolic und weitere 17 Parlamentsabgeordnete aus der Partei aus. Sein Amt als Klubobmann und seine Parteifunktionen hatte Nikolic bereits in der Vorwoche zurückgelegt. | Anlass für den endgültigen Bruch war die Frage, ob die Radikalen im Parlament dem Vertrag zwischen Belgrad und Brüssel über Serbiens EU-Annäherung zustimmen sollen oder nicht. Nikolic war nach Absprache mit Seselj dafür, doch zog dieser seine Zustimmung dann wieder zurück und vergatterte die Partei auf ein Nein. Diese letzte einer langen Reihe von Demütigungen wollte Nikolic nicht mehr hinnehmen und zog daher die Reißleine. Mit den anderen 17 gründete er zunächst einen eigenen Klub, eine eigene Partei wird demnächst folgen.


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Während noch offen ist, wie viele Ortsgruppen Nikolic folgen werden, ist klar, dass diese Abspaltung Serbiens proeuropäische Führung stärkt. Die Ultranationalisten sind jetzt nur noch 69 Abgeordnete stark; bisher waren sie mit 78 stärkste Einzelpartei im Parlament (250 Sitze). Funktionäre und Wähler sind verunsichert; eine starke, nationalistische Opposition zusammen mit dem früheren Regierungschef Vojislav Kostunica lässt sich nicht mehr bilden. Dafür könnte Nikolic durchaus auch Wähler von Kostunica abziehen, die mit dessen Anti-EU-Kurs nicht einverstanden sind.

Nikolic kann nun eine nationalkonservative Kraft nach dem Muster der kroatischen Regierungspartei HDZ bilden, die sich von den nationalistischen Parolen der Ära Milosevic löst. Und das Potential in Serbien ist groß; wie groß, zeigt der Umstand, dass Nikolic bei der Präsidentenwahl im Februar fast 2,2 Millionen Stimmen gewann und dem prowestlichen Amtsinhaber Boris Tadic nur um 100.000 Stimmen unterlag.

Dies gelang Nikolic, weil er die Partei mäßigte und versuchte, die Radikalen zu einer sozialen Protestpartei zu machen. Zum Sieg reichte es aber nicht. Die nationalistische Erblast wog zu schwer, und Vojislav Seselj verhinderte von seiner Zelle in Den Haag aus jede weitere Transformation. Nun ist Nikolic diese Bürde los. Die Radikalen dürften sich unter Seseljs indirekter Führung noch stärker zur antiwestlichen, rückwärtsgewandten Partei mausern, die dumpfen Weltverschwörungstheorien anhängt. Doch diese Ideologie hat keine Zukunft, vor allem wenn es Serbien nun gelingt, die soziale und wirtschaftliche Lage dank der EU-Annäherung zu verbessern.

Dessen ist sich Nikolic bewusst. Er hatte daher versucht, die Radikalen zu modernisieren. Dieser Versuch scheiterte, weil Seselj aus Den Haag weiter auf die Partei Einfluss nehmen konnte.

Daher muss sich auch das UNO-Tribunal die Frage gefallen lassen, warum es Seselj diese Freiheiten in seiner Zelle einräumt. Denn Gefangenen sind politische Aktivitäten untersagt. Schließlich hätte ein Gefängniswärter Seselj nur sein Mobiltelefon wegnehmen müssen, um dessen abstruses Weltbild zu neutralisieren, das die EU als satanische Schöpfung begreift, wie der Titel eines seiner Bücher lautet.