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Tel Aviv - Mit einer klassischen Antikorruptions- und Protestkampagne ist die Shinui-Partei (Wechsel) erstmals drittstärkste politische Kraft in Israel geworden. Die bürgerlich-säkulare Partei geht mit einem starken Zuwachs als einer der beiden großen Gewinner aus der Parlamentswahl vom Dienstag hervor. So gestärkt, schielt die 1974 gegründete Partei als Königsmacher auf die Regierungsbank.
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Einen "phänomenalen Wahlerfolg" beschied die israelische Presse Shinui-Parteichef Josef (Tommy) Lapid. Der 71-jährige Jurist und Journalist, der in Jugoslawien geboren wurde und den Holocaust überlebte, hat nach Ansicht von Kommentatoren genau den Nerv vieler Unzufriedener unter den 4,3 Millionen Wahlberechtigten getroffen. Shinui versprach Hilfe für die von der Wirtschaftskrise gebeutelte Mittelschicht. Shinui wetterte gegen Korruption und versprach, im Fall einer Regierungsbeteiligung mit eisernen Besen zu kehren. Shinui machte gegen den wachsenden Einfluss ultraorthodoxer Juden auf das tägliche Leben und die Regierungsgeschäfte mobil. Shinui punktete mit einer Neidkampagne: Ist es gerecht, dass jeder Israeli seine Steuern zahlen und den Militärdienst leisten muss, während 300.000 Ultraorthodoxe davon ausgenommen sind?
Und schließlich wandte sich Shinui an das große Wählerpotenzial zweier sich vernachlässigt fühlender Gruppen: die osteuropäischen Juden (Aschkenasim) und die rund eine Million russischer Einwanderer.
Shinui begleitet eine gesunde Portion Skepsis. Die Partei sei noch wie ein UFO, befindet die Tageszeitung "Haaretz". "Es ist noch nicht klar, ob sie ein Vogel oder ein Flugzeug ist." Auf jeden Fall steht die Partei wegen der geweckten Hoffnungen unter Zugzwang. Shinui darf aus Sicht der Protestwähler keinesfalls in die Opposition, sondern soll aus der Regierung heraus aufräumen. Parteichef Lapid will am liebsten eine säkulare Koalition mit dem rechtsgerichteten Likud von Ministerpräsident Ariel Sharon und der Arbeiterpartei. Weil sich die Arbeiterpartei bisher ziert, hat sich Lapid ein Hintertürchen offen gelassen. Im Ausnahmefall sei Shinui auch zu einer "Notstandsregierung" bereit, ließ er einen Tag nach der Wahl wissen.