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"Ton hat sich extrem verschärft"

Von Alexia Weiss

Politik
Die Journalistin Nina Horaczekkritisiert die fehlende Differenzierung in den aktuellen Debatten.
© Stanislav Jenis

Mit ihrem Buch "Gegen Vorurteile" legen die Journalistin Nina Horaczek und der Jurist Sebastian Wiese eine kompakte Argumentationshilfe für hitzige Diskussionen im Alltag vor.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Muslimische Frauen sind alle unterdrückt. Die Flüchtlinge nutzen das österreichische Sozialsystem aus. Diese und andere Vorurteile haben die Autoren Nina Horaczek und Sebastian Wiese in ihrem aktuellen Buch "Gegen Vorurteile" gesammelt - und widerlegt. Ihr Handbuch soll als Argumentationshilfe für politische Debatten dienen. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Politologin und Falter-Journalistin Nina Horaczek über Hetze in den sozialen Netzwerken und fehlende Differenzierungen in aktuellen Diskussionen.

"Wiener Zeitung": Frau Horaczek, Sie haben vor etwas mehr als drei Jahren gemeinsam mit Sebastian Wiese ein "Handbuch gegen Vorurteile" herausgebracht. Nun ist "Gegen Vorurteile" erschienen, ein Buch, das sich vor allem an die Jugend wendet. Wie unterscheidet sich der Zugang dieser beiden Publikationen?Nina Horaczek: Das neue Buch "Gegen Vorurteile" ist für Jugendliche, aber auch für Erwachsene, die sich kurz und bündig informieren wollen. Wir überprüfen darin über zwanzig verschiedene politische Vorurteile wie "Ausländer nehmen unsere Arbeitsplätze weg" oder "Der Islam ist eine kriegerische Religion" anhand objektiver Daten und Studien. Im Gegensatz zum ersten Vorurteile-Buch von Sebastian Wiese und mir stützt sich das neue zwar auch auf derartige Studien, ist aber einfacher zu lesen und für Menschen gedacht, die sich schnell gut informieren wollen.

Inwiefern haben sich aber auch die Rahmenbedingungen in diesen dreieinhalb Jahren verändert?

Wenn man sich die derzeitige Flüchtlingsdebatte ansieht, da hat sich der Ton schon extrem verschärft. Da wird so getan, als würden wir von Asylwerbern überrannt. Dabei ist das schlicht falsch: Mehr als achtzig Prozent der Flüchtlinge weltweit bleiben in armen Entwicklungsländern, nur eine Minderheit schafft es überhaupt zu uns. Wir haben aber auch gemerkt, dass seit einiger Zeit gerade unter jüngeren Menschen auf Facebook sehr viel Falschinformation über Ausländer und Flüchtlinge, aber auch über die Nazizeit, kursiert. Da wird im Netz mit falschen Zahlen Propaganda gemacht. Auch deshalb war es uns wichtig, dieses Buch zu schreiben.

Im Herbst wird in Wien gewählt. Im laufenden Wahlkampf geht es um die Themen Flüchtlinge, Integration, aber auch soziale Absicherung. Stichwort Mindestsicherung: Hier war zuletzt viel von der sozialen Hängematte die Rede. Warum stimmt dieses oft gebrauchte Bild nicht?

Weil man zum Beispiel als EU-Ausländer nicht so einfach in einem anderen EU-Land Sozialleistungen, etwa Mindestsicherung, beziehen kann. In den ersten drei Monaten ist ein EU-Staat nicht verpflichtet, einem Bürger eines anderen EU-Staates Sozialhilfe zu bezahlen. Danach nur bei ordentlichem Wohnsitz - und den kann man in einem anderen EU-Land nur begründen, wenn man genügend finanzielle Eigenmittel nachweisen kann. Arme EU-Bürger können also nicht einfach nach Österreich übersiedeln, um an unserem Sozialstaat mitzunaschen.

Man könnte auch sagen: Vorurteile wie diese werden teils wider besseres Wissen gezielt verbreitet. Ihr Buch will hier Fakten und ein Argumentarium liefern. Kommt man damit aber in den sozialen Netzwerken, in den Kommentar-Rubriken der Online-Auftritte von Medien überhaupt durch?

Einen überzeugten Rassisten werden wir mit unseren Fakten kaum beeindrucken. Die sind aber auch nicht unsere Zielgruppe. Sondern die Menschen, die offen sind und interessiert, die vielleicht auch verunsichert sind durch die vielen Lügen und Unwahrheiten, die gerade in sozialen Medien und in Online-Foren von Zeitungen zum Teil gezielt verbreitet werden, um Stimmung gegen Ausländer zu machen. Viele Menschen sagen uns, sie sind sehr froh, jetzt mit dem Buch ein Argumentarium zu haben, um dieser Hetze im Netz oder auch am Stammtisch etwas entgegensetzen zu können.

Um die Dinge auch beim Namen zu nennen: Wer verbreitet denn aktuell Hetze?

Ich nenne Ihnen dazu zwei Beispiele: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat kürzlich auf Facebook Zahlen veröffentlicht, nach denen eine Asylwerberfamilie viel mehr Geld vom Staat kriegt als eine österreichische Arbeiterfamilie. Diese Zahlen waren hingegen falsch, der FPÖ-Chef musste sie zurückziehen, aber es bleibt bei solchen Aktionen trotzdem immer etwas picken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei, deren Hauptprogramm der Kampf gegen Ausländer und Asylwerber ist, nicht weiß, welche finanzielle Unterstützung Asylwerber erhalten. Das weiß Heinz-Christian Strache ganz genau.

Und das zweite Beispiel?

Gleich nach der Amokfahrt in Graz hat Strache auf Facebook gepostet: "Der Täter ist aus Bosnien. Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen." Das ganze Land stand da einfach nur unter Schock, lediglich die FPÖ wollte aus dieser Wahnsinnstat gleich politisches Kapital schlagen. Als Strache merkte, dass das nicht gut ankommt, redete er sich darauf aus, er habe nur die "Kronen Zeitung" zitiert. Hier sieht man klar, wie mit Halbwahrheiten Propaganda gemacht wird. Es stimmt, dass der Amokfahrer bosnische Wurzeln hat. Es stimmt, dass Bosnien ein muslimisch geprägtes Land ist. Aber es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass der Amokfahrer aus einem religiösen Motiv gehandelt hat. Das ist böse Hetze. Tatsächlich scheinen es familiäre Probleme gewesen zu sein, die der Auslöser für diese Wahnsinnstat waren.

Im aktuellen Diskurs fehlt also die Differenzierung. Ist daran wirklich nur die FPÖ schuld?

Nein, das wäre viel zu einfach. Die Regierungsparteien setzen der FPÖ zu wenig entgegen, sondern versuchen stattdessen, die Politik der Freiheitlichen zu kopieren. Im Burgenland-Wahlkampf wusste man schon gar nicht mehr, welche Forderung von der SPÖ ist und welche von der FPÖ. Im ganzen Land führen sich rote wie schwarze Bürgermeister auf, als kriegen sie die Cholera importiert, nur weil ihre Gemeinde ein paar Flüchtlinge aufnehmen soll. Hier gibt es leider nur wenige positive Ausnahmen. Und der lachende Dritte ist die FPÖ. SPÖ und ÖVP bereiten den Boden auf und die Freiheitlichen gewinnen eine Wahl nach der anderen.

Nina Horaczek und Stefan Wiese:
Gegen Vorurteile, Czernin Verlag,
Wien 2015, 192 Seiten, Euro 17,90.