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Tonnenweise Papierstapel zählen

Von Barbara Ottawa

Politik

Ab dem 2. Mai werden heuer etwa 60.000 Zähler in ganz Österreich von Haushalt zu Haushalt gehen und ein Konvolut von insgesamt 29 Fragen verteilen. Danach soll es aber vorbei sein mit dem von manchen als lästig empfundenen Ausfüllen von Fragebögen und Herauskramen alter Dokumente, die man nur alle 10 Jahre braucht, denn parallel zur "Großzählung 2001" wird heuer mit der Erstellung eines Zentralen Melderegisters (ZMR), das alle Gemeldeten erfasst, begonnen.


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Die heurige Volkszählung wird nicht nur die letzte in dieser Form sein, sie ist auch die erste, "bei der man beim Ausfüllen keine Lupe braucht", zitiert Ewald Kutzenberger, Generaldirektor der "Statistik Austria", Testpersonen, die die Fragebögen probeweise ausfüllten. Seit November laufen die Druckmaschinen auf Hochtouren. Insgesamt werden 300 Tonnen Zettel produziert, erklärte der Generaldirektor nun bei einer Informationsveranstaltung.

Diesmal müssen Herr und Frau Österreicher "im Durchschnitt jeder nur 18,3 Fragen beantworten", so Johann Ladstätter von der "Statistik Austria" zuständig für das Teilprojekt "Volkszählung". Die Fragen wurden seit der letzten Zählung überarbeitet und die Fragebögen benutzerfreundlicher gestaltet.

Genau genommen sind es drei Zählungen, die heuer mit Stichtag 15. Mai stattfinden werden: Die eigentliche Volkszählung, also eine Personenerhebung, eine Gebäude- und Wohnungszählung und eine Arbeitsstättenerhebung.

Nach der letzten Großzählung, wie es offiziell heißt, ergaben Umfragen, dass über 63 Prozent der Bevölkerung eine solche Zählung für gerechtfertigt halten. Zwei Drittel gaben 1991 an, kein Problem mit den Fragebogen zu haben. Für ein Drittel ist aber vor allem der Zeitaufwand störend. Karl Isamberth, Projektleiter der Großzählung, führt das primär auf die Neugier der Leute zurück: "Sie lesen den ganzen Fragebogen, anstatt nur die relevanten Teile und meinen 'Is aber scho viel!'". Nach seinen Angaben brauche man 15 bis 20 Minuten für alle Fragen.

Die Zähler selbst werden geschult, um den Bewohnern bei der Beantwortung der Fragen behilflich sein zu können. Außerdem sind "alle mit dem Zählungsverfahren Tätigen verpflichtet, über ihre Wahrnehmungen zu schweigen", versicherte Karin Sekerka, Leiterin des Projekts "Arbeitsstättenzählung". Zählorgane erkenne man an einem offiziellen Zählerausweis.

Insgesamt wird die Volkszählung 502,3 Millionen Schilling kosten, informierte die kaufmännische Generaldirektorin der "Statistik Austria", Gabriela Petrovic. "Der Druck ist das Teuerste. An zweiter Stelle kommt die EDV. Das Personal ist erst der dritte Posten." 115,7 Millionen Schilling wird die "Statistik Austria" zur Großzählung beitragen.

Von der Vision eines Zentralen Melderegisters

Im Zuge dieser Volkszählung soll ein Zentrales Melderegister (ZMR) angelegt werden, in dem alle in Österreich gemeldeten Bürger erfasst sind. Eine vorläufige Version wird frühestens Ende dieses Jahres zur Verfügung stehen. In diesem wird jedem Gemeldeten automatisch eine Zufallszahl zugewiesen, anhand der er dann eindeutig identifizierbar ist.

Der Kunde erspare sich damit den Meldezettel, es käme zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung und befugte Personen und Ämter könnten von überall auf die Meldeauskünfte des Betreffenden zugreifen, erläuterte Otto Prantl, Sektionschef im Innenministerium. "Ein Tiroler kann dann in Wien einen Antrag stellen, muss nicht auf seinen Meldezettel warten."

Die Umstellung bedeutet aber auch viel Arbeit für die Gemeinden. Vor allem große Städten wehrten sich deshalb gegen den Termin der Volkszählung. "Wien hätte 2,7 Millionen Einwohner, wenn man nach dem polizeilichen Register gehen würde", erklärte Kutzenberger.

Wenn das zentrale Melderegister einmal funktioniert, müssen sich die Statistiker andere Informationsquellen suchen. Solche könnten zum Beispiel die Sozialversicherungen, das Finanzministerium oder andere öffentliche Einrichtungen sein. Eine Anonymität der auszuwertenden Daten sei aber auch bei dieser Art der Verknüpfung oberste Priorität, betonte Kutzenberger. Die Datenqualität werde bei einem ZMR "anders" sein, formulierte Kutzenberger. Vielleicht werde es am Anfang auch einen kleinen Bruch geben. "Im Notfall gibt es 2010 halt noch ein Volkszählung", scherzte Isamberth.

Der Kampf um den Bürger bis zur Anekdote aus Linz

Auch heuer werden die Bürgermeister wieder um Personen buhlen. Nach der Volkszählung 1991 waren rund 126.000 Reklamationen von Gemeinden eingegangen, etwas mehr als 50% davon wurden positiv entschieden.

Allerdings konnte früher jemand so viele "ordentliche Wohnsitze" haben wie er wollte, erläuterte Isamberth. Seit dem ersten Jänner 1995 gibt es das Hauptwohnsitzgesetz. Das heißt, dass der Ort der Hauptwohnsitz ist, wo der "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen" ist, so der Gesetzestext. Bei zwei Mittelpunkten darf sich der Betreffende aussuchen, welchen er als Hauptwohnsitz angibt. Dies gelte zum Beispiel für Studenten oder Pendler, die am Wochenende nach Hause fahren.

Eine Anekdote dieses Kampfes um Personen brachte Kutzenberger: Seine in Linz wohnende Tochter erhielt vor kurzem ein Schreiben des Bürgermeisters, in der er sie bat, ihren Hauptwohnsitz in der oberösterreichischen Hauptstadt anzugeben. Sie würde dafür, als Studentin, eine Halbjahres-Karte für die Straßenbahn und Eintrittskarten für das Brucknerhaus erhalten. Wie falsch derzeitige Melderegister seien, führte der Generaldirektor weiter aus, sehe man an diesem Beispiel: "Meine Tochter arbeitet im Brucknerhaus, ist keine Studentin und schon in Linz hauptgemeldet."

Bei dem Kampf geht es vor allem um Geld. Die Gemeinden erhalten für jeden Bürger eine gewisse Summe aus dem Finanzausgleich, die nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel vergeben wird. Dieser Geldbetrag ist dann für die nächsten zehn Jahre fix. Die Stadt Wien bekomme etwa 16.000 Schilling pro Jahr für einen Einwohner, bei kleineren Gemeinden sind es nur etwa 7.000 Schilling, so Isamberth. Wie eine Verteilung der Gelder mit dem ZMR aussehen werde, stehe noch nicht fest.

Der Sinn und Zweck der Volkszählungen

Eine Volkszählung diene neben statistischen Zwecken, auch der Bestimmung der Mandatsverteilung in den Regionen, betonte Kutzenberger. Weiters seien diese Strukturdaten für politische und verwaltungsorganisatorische Entscheidungen, wie Straßenbau aber auch EU-Förderungen wichtig. Seine Kollegin Petrovic bedauerte allerdings, dass Politiker sehr halbherzig mit der Statistik umgingen. Auch Erich Streissler, Volkswirt an der Universität Wien, bestätigte: "Ein guter Administrator braucht Zahlen."

Ein Beispiel für die Uninformiertheit der Politiker brachte Reinhold Schwarzl, provisorischer Leiter der Direktion "Volkswirtschaft" in der "Statistik Austria": "Nach Wahlen sollen wir in 70 Tagen das Budget errechnen. Das ist unmöglich. Da gibt es noch keine Informationen". Den unter den Politikern gerne gebrauchten Vergleich mit den Amerikanern lässt er nicht gelten. "Die bauen ihre Berechnungen auf ungefähren Annahmen auf und denken sich nichts dabei."