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Too big to fail?

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Die abtretende chinesische Führung hat dem Volkskongress ein paar unangenehme Wahrheiten mit auf dem Weg gegeben. Und deutlich gemacht, dass der klare Gewinner der Krise, China, selbst vor enormen Veränderungen steht. Die Botschaft, das Wirtschaftswachstum werde heuer auf den niedrigsten Stand seit 1990 fallen, ist nur die Konsequenz davon. In Zukunft solle weniger auf Exportwachstum als vielmehr auf die Ankurbelung des Konsums geachtet werden: Vor allem die niedrigen und mittleren Einkommen sollten gestärkt werden.

Dahinter steht das Bemühen der kommunistischen Partei Chinas, ihr Machtmonopol zu erhalten. Täglich finden - übers riesige Land verstreut - 500 Demonstrationen gegen Verwaltungen und korrupte Beamte statt. Das Einkommen in den Industrie-Regionen an der Küste steigt, die landwirtschaftlich geprägten Provinzen fallen immer weiter zurück. In ihnen leben aber mehr als 800 Millionen Menschen des 1,3-Milliarden-Volkes. Die Getreideproduktion soll in den kommenden Jahren auf dem hohen Niveau 2011 verharren - das Land tut sich nach wie vor hart, seine Bevölkerung zu ernähren. Daneben gingen in den vergangenen Jahren wegen der enormen Umweltverschmutzung und der sich ausbreitenden Städte viele Ackerflächen verloren. Gleichzeitig steigt die Unzufriedenheit mit rigiden Mediengesetzen und anderen Beschränkungen der persönlichen Freiheit. Eine Immobilienblase bedroht das Wirtschaftssystem zusätzlich.

Der in China lagernde soziale Sprengstoff ist also enorm, und die kommunistische Partei weiß das auch. Die Botschaft, Konsum sei nun wichtiger als Export, ist ein klares Signal, dass in Peking die politischen Entminungsdienste unterwegs sind. Die hohen Devisenreserven und das außenpolitische Selbstbewusstsein Chinas dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Land kein homogenes Reich ist, sondern starken inneren Fliehkräften ausgesetzt ist. Wenn die freigelassen werden, wären die geopolitischen Auswirkungen wohl unkontrollierbar. Die jetzige Führung versucht kleine Richtungsänderungen. Ob dies ausreicht, wird sich erst weisen. Ein System, das Freiheitsdrang unterdrückt und Armut produziert, kann jedenfalls nicht als stabil bezeichnet werden. Too big to fail mag für Banken gelten, aber nicht für große Reiche.