Mit Jahresende verlässt FWF-Präsident Klement Tockner den Wissenschaftsfonds und wird Generaldirektor der deutschen Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Er zieht Bilanz über seine Amtszeit bei der Förderagentur in Wien.
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"Wiener Zeitung": Top-Wissenschafter verlassen Österreich, lautet einer regelmäßig an der heimischen Forschungslandschaft geäußerte Kritik. Was kann unser Land tun, damit die besten Köpfe bleiben?Klement Tockner: 18 in Österreich tätige Top-Wissenschafter haben diese Woche einen "Consolidator"-Förderpreis des Europäischen Forschungsrats erhalten. Die Mehrheit von ihnen ist nicht in Österreich geboren, es ist also ein attraktives Forschungsland. Aber es gibt Mängel. Die Besten wählen Standorte nach Reputation, Forschungskultur und Verfügbarkeit von Drittmitteln. Gerade die Finanzierbarkeit ist eines der größten Defizite in Österreich. Grundlagenforschung ist etwa in der Schweiz unvergleichlich besser ausgestattet. Auch an einer Kultur, in der Forschung wertgeschätzt ist und sie Freiraum und Unabhängigkeit genießt, muss Österreich arbeiten. Ich wünsche mir eine Politik, die sagt: Wir sind ein Forschungsland und stolz darauf, eine starke Wissenschaft gehört dazu. Immerhin könnten wir ohne evidenzbasierte Erkenntnisse Krisen wie Corona nicht bewältigen und hätten keinen Impfstoff jetzt, nach einem Jahr.
Sie plädieren für mehr Mittel, die im Wettbewerb für Forschung vergeben werden sollten. Was haben Sie in Ihrer Amtszeit erreicht?
Der FWF kann heute 50 Prozent mehr Forschungsmittel vergeben, das sind 100 Millionen pro Jahr. Wir haben in den viereinhalb Jahren meiner Amtszeit 12.000 Förderanträge im Volumen von 4,3 Milliarden Euro begutachtet und 3.000 Projekte mit knapp einer Milliarde Euro genehmigt, also im Durchschnitt täglich zwei große Ideen. Wir haben wissenschaftliche Vielfalt durch interdisziplinäre Förderformate ausgebaut, Kooperationen gestärkt, die Exzellenzinitiative auf Schiene gebracht und Karriereprogramme weiterentwickelt. Grenzen setzen die Strukturen. Man muss sich überlegen, ob das Lehrstuhlmodell einer dynamischen Forschungsentwicklung entgegenwirkt. Ein einfaches Professorenmodell und weniger starke Hierarchien wären zeitgemäßer.
Ihr Ziel einer Verdoppelung des FWF-Budgets konnten Sie nicht erreichen. Warum ist es so schwierig, etwas, das jedem einleuchtet, in der Politik durchzusetzen?
Fragen Sie die Politik. Ich glaube, in Österreich gibt es zwar den Willen zur Qualität, aber es fehlt der Mut, sich dazu zu bekennen, über den Wettbewerb die Qualität zu erhöhen und die richtigen Hebel anzusetzen. Wir haben die Mittel für die Universitäten erhöht, hätten aber einen höheren Anteil wettbewerblich (über qualitätsgeprüfte FWF-Projekte, Anm.) an sie vergeben können. Der Wettbewerb befördert Kooperation, die Gießkanne führt zu Fragmentierung.
Befragt nach Ihren wissenschaftlichen Ambitionen, haben Sie einmal bei einer Podiumsdiskussion ein Foto von sich in einem Kanu in Afrika gezeigt, wo Sie sich als Gewässerökologe verwirklichen konnten. Haben Sie das Gefühl, Sie konnten in Österreich gestalten - oder wurden Sie in Ihrer Arbeit behindert?
Nein, wurde ich nicht. Man hat eine dicke Haut und darf Sachen nicht persönlich nehmen. Ich hätte es mir aber leichter vorgestellt, mehr Wettbewerb und eine offene Forschungskultur mitzugestalten. Vier Regierungen und jetzt Corona sind sicher nicht die besten Rahmenbedingungen für das Gedeihen von Wissenschaft, weil die Aspekte Vertrauen und Verlässlichkeit unter den politischen Konstellationen des Wechsels gelitten haben. Aber ich lasse mich nicht hindern. Schwierig wird es nur, wenn man nicht für, sondern gegen etwas kämpfen muss. Ich habe immer für die Forschung gekämpft.
Viele witzeln: Sobald in Österreich eine Kerze brennt, versuchen viele, sie auszublasen. Haben Sie das Gefühl, dass man in Deutschland mit einer größeren Begeisterung an Projekte der Grundlagenforschung, deren Bedeutung offen ist, herangeht?
Ja, es ist in Deutschland möglich, größer zu denken, Ideen zu generieren, sie zu präsentieren und der Diskussion auszusetzen. Deutschland hat ein vielfältigeres Forschungssystem, dessen Akteure in einem konstruktiven Spannungsverhältnis stehen. Das kann stimulierend, aber auch hinderlich sein, ähnlich wie manchmal in Österreich. Die Schweiz ist da anders. Man will gut sein, weil keine andere Chance besteht, als nach höchsten Standards zu forschen. Mittelmäßige Forschung ist bloß teuer.
Für Ihr Amt haben sich 19 Personen beworben. Wird es leichter oder schwerer, Mittel für Grundlagenforschung zu lukrieren?
Es ist vielleicht schwieriger durch die Corona-Krise. Auf der anderen Seite zeigt die Krise den Wert der Wissenschaft auf zur Bewältigung großer Herausforderungen. Wenn man nicht jetzt in sie stark investiert, wann dann?
Das Programm der Senckenberg Gesellschaft mit Museen und Institutionen lässt den Schluss zu, dass Sie dort ein größeres Budget verwalten als beim FWF. Richtig?
Die Senckenberg Gesellschaft ist das größte Institut der Leibnitz Gemeinschaft mit 850 Mitarbeitern und 35 Professuren. Die Grundfinanzierung ist vergleichbar mit jener des IST Austria nahe Wien. Sieben Forschungsinstitute und drei Museen wirken mit Bürgern zu gesellschaftlich relevanten Themen zusammen.
Hat Sie eines Morgens jemand angerufen und gefragt, ob Sie den Posten als Generaldirektor wollen, oder gab es eine Ausschreibung?
Der Posten wurde öffentlich ausgeschrieben und es gab eine Findungskommission. Mich hat man gekannt und es bestand beidseitiges Interesse. Es ist sicherlich eines der großartigsten Institute zu leiten. Ich übergebe einen wirklich gut aufgestellten FWF. Er ist prägend in der Forschungslandschaft und es wäre unmöglich, Einfluss auf seine Entscheidungsprozesse zu nehmen. Aber Österreich tut sich schwer mit Themenoffenheit und Unabhängigkeit. Man muss stets achtgeben, dass die Wissenschaft frei von politischen, ideologischen oder ökonomischen Interesse ist. Durchbrüche kann man nicht anordnen, sie müssen entstehen und das muss man zulassen.