Die USA gelten als Forschungsnation schlechthin. Doch Wissenschaft verliert an Stellenwert, was der Qualität schadet und ausländische Forscher vertreibt.
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Klimawandel? Nicht unsere Schuld, solche Studien stimmen nicht. Forscher aus anderen Ländern? Können auch ohne leben, auf jeden Fall müssen wir genau prüfen, wer da überhaupt kommen will. Evidenzbasierte Wissenschaft, stichhaltige Argumente und Fakten? Interessant, aber selten zweckdienlich. So lässt sich eine neue Grundhaltung in den USA, die Experten zufolge Gestalt gewinnt, persiflieren.
Traditionell gelten die Vereinigten Staaten als Wissenschaftsland schlechthin. Doch die Tage, in denen Top-Forscher aus aller Welt über den Atlantik streben, scheinen gezählt. Einreisebeschränkungen, Klimaskeptiker in führenden Positionen und alternative Fakten drücken auf die Stimmung und auf den Zustrom ausländischer Wissenschafter. "Erstmals kommen weniger internationale Studierende in die USA. Nach 57 Jahren kontinuierlichen Wachstums hatten wir heuer um sieben Prozent und im Vorjahr um drei Prozent weniger Akademiker aus anderen Ländern. In Anbetracht seiner Präzedenz ist dieser Trend erschütternd", sagte Brandon Busteed, Präsident des US-Anbieters von Fortbildungskursen Kaplan University Partners, am Rande des diesjährigen Austrian Science and Innovation Talk (ARIT) in Washington, den die "Wiener Zeitung" auf Einladung des Rats für Forschung und Technologieentwicklung besuchte.
Anlass zur Sorge gibt neben sinkenden Förderungen in manchen Bereichen und weniger unternehmerischer Grundlagenforschung die Absichtserklärung von US-Präsident Donald Trump, H1B-Visas restriktiver vergeben zu wollen. Das Nichteinwanderungsvisum erlaubt es amerikanischen Unternehmen, Institutionen und Universitäten, speziell qualifizierte ausländische Arbeitnehmer zu beschäftigen. "Es herrscht eine enorme Bestürzung", betont Marcia McNutt, Präsidentin der National Academy of Sciences: "Wir mussten das Budget für unser Visa-Beratungsbüro aufstocken, um Studierenden aus dem Ausland zu helfen. Junge Menschen, die einen erkrankten Elternteil zu Hause in ihrem Land besuchen, werden nicht mehr hereingelassen, um ihr Studium fortzusetzen." Auch Unis, die Sitzungen mit internationalen Teilnehmern abhalten wollen, hätten die Sorge, ob diesem rechtzeitig ein Visum erteilt würde.
"Die Verbindung USA-Europa schwächelt"
Auch in Österreichs besten Köpfen schrumpfe die transatlantische Perspektive, erklärte Wissenschaftsminister Heinz Faßmann am Rande des ARIT. "Die Verbindung USA-Europa schwächelt, das US-Wissenschaftssystem verliert an Attraktivität", sagte er. Das Image der Vereinigten Staaten ist angeknabbert. "Es wird schwieriger, die Plätze für Mobilitätsförderungen zu füllen, und durch die jüngst erfolgte Aufstockung des Erasmus-Programms ist die inner-europäische Perspektive größer", so Faßmann. "Für uns Forschende wird es unattraktiver, in die USA zu gehen", bestätigt die in Steyr geborene Molekularbiologin Elisa Arthofer von der George Washington University. "Drei Mal so lange Bearbeitungszeiten bei Visa machen es unmöglich, eine angebotene Stelle anzutreten."
"Es ist die beste Zeit, es ist die schlechteste Zeit", wandelte der Präsident der American Association for the Advancement of Science (AAAS), Rush Holt, vor Journalisten Charles Dickens ab. Dank dessen, dass sich der Kongress nicht an die Kürzungsempfehlungen des Weißen Hauses halte, seien öffentliche Forschungsbudgets insgesamt zwar durchaus zufriedenstellend. "Zudem gibt es kein Feld, das nicht große Fortschritte macht. Die Wirtschaftswissenschaften erkennen den Wert des Menschen, die Geowissenschaften verstehen die Erddynamik, die Astronomie beobachtet kollidierende Neutronensterne", resümierte Holt. Dem Auftrag des AAAS wehe allerdings ein rauer Wind entgegen.
Die weltgrößte wissenschaftliche Gesellschaft und Herausgeberin mehrerer Zeitschriften, darunter "Science" und "Science Advances", folgt dem Motto "Wissenschaft fördern und der Gesellschaft dienen". Aus Sicht Holts wird es immer schwieriger, der eigenen Devise nachzukommen. "In meinem Leben wurde Evidenz noch nie so regelmäßig beiseite geschoben wie jetzt", betont er. Im Alltag, in politischen Entscheidungen und am Stammtisch hätte "die Wertschätzung für jenes geniale Denken, mit dem sich Voreingenommenheiten entfernen und geprüftes Wissen gewinnen lassen, einen Tiefstand erreicht". Der AAAS-Chef sieht in seinem Land die wissenschaftliche Qualität gefährdet: "Immer mehr Menschen meinen, dass Wissenschaft nur für Wissenschafter relevant ist. Ob wir so langfristig unser Niveau halten können, ist fraglich."
Hinzu kommen die enormen Kosten des Universitätssystems. Die USA gelten als teuerstes Land zum Studieren. "Die besten europäischen, kanadischen und britischen Hochschulen sind bei gleicher Qualität weitaus billiger", erklärt Brandon Busteed und nennt durchaus beeindruckende Zahlen: "Seit 1980 sind die Uni-Gebühren hierzulande um 400 Prozent gestiegen, die Kosten für das US-Gesundheitssystem hingegen um nur 125 Prozent angewachsen."
"Universitäten, die wie Country Clubs aussehen"
Von klein auf dem Land bis groß und öffentlich in der Stadt, von privat und profitorientiert bis zur Spitze: Mit 4000 Unis haben die USA eine vielfältige Hochschullandschaft. Das Bildungsministerium unterstützt als bedürftig eingestufte Studienbewerber. Die Maximalförderung beträgt 5400 Dollar (4750 Euro) im Jahr. Lediglich ein Drittel der Gebühren an öffentlichen Hochschulen kann hiervon bestritten werden. Den Rest bezahlen Studierende, indem sie einen Kredit aufnehmen.
"Weil das System der Studentenkredite Geld zuführt, können die Unis laufend die Preise anheben", erklärt Brandon Busteed. "Gleichzeitig ist ein Rennen um Zusatzleistungen entstanden, die mit der Ausbildungsqualität nichts zu tun haben." Bestens ausgestattete Wohnheime, Sportkomplexe, die Verteilung von Gratis-Eis, Steak-Houses am Campus und immer mehr neue Gebäude bei gleichbleibender Studierendenzahl "lassen Universitäten wie Country Clubs aussehen". Da nur Eliteunis wie Harvard genügend Stiftungsvermögen haben, um sich das Schlaraffenland auch zu leisten, müssen an anderen Unis die Studenten über die Gebühren für die Annehmlichkeiten aufkommen. "Viele Unis wollen in der Elite mitspielen. Sie umwerben junge Menschen, deren Eltern das Studium frei finanzieren, weil diese die lukrativsten Klienten sind", so Busteed. Gleichzeitig gebe es kein System, um den Output von Jungforschern an den Hochschulen zu messen.
Eine Jungforscherin, deren Arbeit in Büchern zum Thema Machtstrukturen und Minderheiten messbar ist, ist die in Vöcklabruck geborene Psychologin Claudia Leeb. Am Samstag erhielt sie den mit 10.000 Euro dotierten "Junior Principal Investigator"-Preis des Vereins Ascina (Austrian Scientists and Scholars in North America). Bei der Preisverleihung in Washington dankte sie Österreich "für meine Ausbildung an der Uni Wien, die es mir erlaubte, bis hierherzukommen, ohne mich verschulden zu müssen". Davon können US-Studierende "nur träumen". Eine Gelegenheit, um zurückzukommen, sah Leeb bisher nicht. Kürzlich habe sie ein Angebot als Professorin an einer britischen Universität abgelehnt, "weil ich dort so viel verdient hätte wie derzeit an der Universität Washington", räumt sie ein. Am Ende zählen auch diese Fakten. Erosion in der Werstschätzung der Idee von Wissenschaft hin oder her.