Knallharter Poker um Karstadt-Kette. | Weltweit bunte Firmenkollektion. | Auch soziales Gewissen kann Gewinn bringen. | In Deutschland wird er derzeit gefeiert wie ein Held: Die Regierung mag ihn, die Gewerkschaften stehen auf ihn, die Medien bejubeln ihn, und die 25.000 Mitarbeiter von Karstadt trauen ihm zu, dass er ihre Arbeitsplätze sichert. Kürzlich übernahm Nicolas Berggruen nach monatelangen, zähen Verhandlungen die 120 Standorte der schwer angeschlagenen Kaufhauskette, die so wie einst Hertie, Neckermann oder Quelle von der Bildfläche zu verschwinden drohte.
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Der 49-jährige deutsch-amerikanische Investor, bisher trotz spektakulärer Projekte kaum aufgefallen, wurde beinahe über Nacht populär: Die Zeitungen beschreiben ihn als nettes Phantom ("Spiegel"), tiefsinnigen Philanthropen ("Frankfurter Allgemeine"), rastlosen Märchenprinzen ("Abendzeitung") oder mondänen Globalisierungs-Nomaden ("Berliner Morgenpost") - wobei alles sogar irgendwie auf ihn zutrifft.
Der scheu und unnahbar wirkende Geschäftsmann, der Karstadt noch immer für "eine deutsche Kultmarke" hält, erinnert optisch an den jungen Robert Redford. Auf den ersten Blick ist er eine perfekte Mischung aus polyglottem Jetsetter und coolem Finanzhai. Trotzdem legt er seit geraumer Zeit auf die meisten Insignien, die für Reichtum und Erfolg stehen, keinen Wert mehr.
Folglich trennte sich er sich von einstigen Statussymbolen - etwa dem feudalen Anwesen in Miami Beach/Florida, Luxusappartements in New York, Los Angeles und London und was sonst noch alles dazu gehörte - und wohnt seither nur noch in exquisiten Hotels. Geblieben sind ihm seine wertvolle Kunstsammlung und ein Privatflieger. Mit der Gulfstream IV jettet der Mann, der überall und nirgends daheim ist, von Kontinent zu Kontinent.
Berggruen, noch nie verheiratet und ohne Kinder, wird im jüngsten Milliardärs-Ranking des US-Magazin "Forbes" auf 2,2 Milliarden Dollar eingeschätzt. Er entstammt einer steinreichen jüdischen Familie, schaffte seinen Weg aber weitgehend aus eigener Kraft: Er ist einer von drei Söhnen des legendären Kunsthändlers, Galeristen und Mäzens Heinz Berggruen. Dieser war 1996 - 60 Jahre nach seiner Emigration in die USA - nach Deutschland zurückgekehrt. Vier Jahre später überließ er der Stadt Berlin als "Geste der Versöhnung" seine auf 750 Millionen Euro geschätzte Gemäldesammlung, die nun im Berggruen-Museum zu sehen ist, zum Okkasionspreis von 130 Millionen.
Hundert Investments in zwei Jahrzehnten
Als der Senior 2007 starb, hatte es Nicolas, zunächst auf Immobilien und Kunst fixiert, längst geschafft: Da er sich mit der Rolle des verwöhnten Erben nie anfreunden konnte, war er bereits mit 17 nach New York aufgebrochen, um den Bachelor of Arts and Science zu machen und das harte Business an der Wall Street zu lernen. 1984 gründete er seine eigene Investment-Company, die heutige Berggruen Holdings, vier Jahre später folgte der Hedgefonds Alpha Investment.
In Manier kühler Finanz-Zampanos zog er Deal um Deal durch. Sein erster großer Coup war die Übernahme des maroden Brillenherstellers FGX International. Das Unternehmen, in das er acht Millionen Dollar steckte, wurde später mit einem Gewinn von 400 Millionen Dollar verkauft. Bei einer spanischen Getränkefirma oder der größten portugiesischen TV-Gesellschaft war er ebenfalls günstig eingestiegen, um schließlich mit beträchtlichem Reibach wieder zu verkaufen.
In den letzten 20 Jahren zog Berggruen, der vor allem mit Immobilien und langfristigen Private Equity-Geschäften ein Vermögen machte, mehr als 100 Investments durch. Dabei legte er sich, scheinbar wahllos, ein in aller Welt verstreutes und in zahllosen Branchen engagiertes Imperium zu: Er besitzt Hotels in Indien, Hochhäuser in Istanbul und anderen Metropolen, ist an einem spanischen Verlag sowie einer britischen Lebensversicherung beteiligt und rettete 2007 den deutschen Möbelhersteller und Ikea-Lieferanten Schieder vor der Pleite.
Ein Philanthrop legt Wert auf Profit
Der Karstadt-Retter, der Nietzsche, Sartre und Camus verehrt, möchte allerdings nicht allein als kapitalistischer Profitjäger gelten, sondern mit seinen Investments etwas Bleibendes, Sinnvolles, Nützliches schaffen: in Projekte investieren, die nachhaltig sind und das Leben der Menschen verbessern. Und zugleich soziale Projekte fördern. Deshalb gehören ihm auch Reisfarmen in Kambodscha, Windparks in der Türkei, eine Ethanolfabrik im US-Bundesstaat Oregon oder Ausbildungsstätten in Kalifornien (siehe Kasten). Seit er ein begehrter Dauergast in deutschen Medien ist, wartet Berggruen mit verblüffenden Statements auf. Beispiel: "Alles, was man besitzt, ist vergänglich, weil wir nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung haben. Aber das, was wir tun, kann für immer sein - das sind die wirklichen Werte."
Ein weiterer Sager: "Mir geht es nicht nur um kommerziellen Erfolg, sondern immer auch um Ästhetik. Meine Immobilien etwa sollen die Architekten und mich überleben."
Zwischen Hippie-Outfit und Glamourparty
Der Investor, der neuerdings in der Rolle des Phil anthropen zu sehen ist, kokettiert obendrein gerne mit der Ansage, außer fünf blauen Anzügen und zehn weißen Hemden keine Kleider zu besitzen. Es kann schon passieren, dass er, wie kürzlich, auf einer ausgeflippten Party in Saint Tropez im Hippie-Outfit gesichtet wird. Freilich: Er hasst nichts mehr, als wenn ihn andere für einen Dandy, Snob oder Exzentriker halten. Das hindert ihn allerdings nicht daran, einmal pro Jahr anlässlich der Oscar-Verleihung zu einer glamourösen Party in Hollywood zu laden. Dann genießt er es, wenn ihn im Chateau Marmont am Sunset Boulevard Celebrities von Jane Fonda über Leonardo DiCaprio bis Paris Hilton umgeben.
Das neue Image als Weltverbesserer, das sich Berggruen selbst verpasst hat, kam jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: In Deutschland wird er schon bejubelt, obwohl er sein Ziel längst noch nicht erreicht, sondern lediglich viel versprochen hat - nämlich alle Filialen und alle Arbeitsplätze zu erhalten.
Erst mit der endgültigen Karstadt-Rettung wird er den Nachweis liefern, wie stark sein soziales Gewissen wirklich ausgeprägt ist und was seine Vorliebe für die neuen Werte tatsächlich wert ist. Ob die Bestandsgarantie für den Kaufhaus-Konzern bis Ende 2012 reichen wird, ist bisher nämlich ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, ob danach nicht doch der große Frust ausbrechen wird. Bisher, urteilt die "Berliner Morgenpost", habe Berggruen "Sehnsüchte geweckt, die kaum erfüllt werden können".
Zur Person
Nicolas Berggruen wurde am 10. August 1961 in Paris als Sohn von Heinz Berggruen geboren, der in zweiter Ehe mit der Filmschauspielerin Bettina Moissi verheiratet war. Nach französischer Privatschule, Schweizer Internat und New Yorker Uni (Bachelor in International Business and Finance) begann er 1981 die Ausbildung zum Immobilienhändler. Drei Jahre später gründete er eine Investmentfirma (heute Berggruen Holdings), der 1988 der Hedgefonds Alpha Investment Management folgte.
Mit Finanzspekulationen arbeitete er sich rasch unter die 500 reichsten Dollar-Milliardäre der Welt empor, ehe er vor kurzem sein soziales Gewissen entdeckte. Er finanziert ein im Vorjahr gegründetes, nach ihm benanntes Institut in New York City, das sich als Think Tank für die gesellschaftspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts profilieren und Politikern Inputs vermitteln möchte.
Der engagierte Kunstsammler, der Meisterwerke von Andy Warhol, Jeff Koons und Damien Hirst erstanden hat, sitzt im Aufsichtsrat des Berliner Berggruen Museums, im Board des Los Angeles County Museum of Art und fungiert als Beiratsmitglied des Tate Museums in London. Außerdem ist er Mitglied der Young Presidents Organization und des Pacific Council on International Policy.
Das Berggruen-Imperium
Der neue Eigentümer der deutschen Kaufhauskette Karstadt besitzt ein weltweites Firmenreich. Seine in New York ansässige Berggruen Holdings hat Niederlassungen in Berlin, Istanbul, Tel Aviv und im indischen Mumbai. Die Aktivitäten sind breit gestreut: Zum Immobilienportfolio gehören mehrere Wolkenkratzer, die etwa in Hyderabad, Istanbul, Bodrum oder Tel Aviv stehen oder entstehen. Zu den spektakulärsten zählt der nach dem US-Architekten Richard Meier benannte 39-stöckige Turm "Meier on Rothschild" in Tel Aviv.
In Berlin und Potsdam hat Berggruen seit 2005 225 Millionen Euro in den Erwerb und die Sanierung von 60 Immobilien gesteckt. Das legendäre "Café Moskau" in der Karl-Marx-Allee und denkmalgeschützte Gewerbehöfe zählen ebenso dazu wie ein ehemaliges Postgebäude und solide Mietshäuser.
Hält Anteil an "El Pais"
Weiters gehören dem Deutsch-Amerikaner Unternehmen wie die britische Lebensversicherung Pearl Group, die seit kurzem Phoenix heißt, die aus 18 Häusern bestehende Hotelkette "Keys" sowie eine Autovermietung in Indien, ein in Liechtenstein angesiedelter Möbelhersteller sowie (erst seit März) ein Aktienpaket am spanischen Medienkonzern Prisa, der die Tageszeitung "El Pais" herausgibt. Seit kurzem betreibt er Zink- und Kupferminen in der Türkei, baut Reis in Kambodscha an und Weizen auf zwei 12.000 Hektar großen Farmen in Australien. Als Fan der erneuerbaren Energie engagiert er sich in der Türkei bei mehreren Windparks, seine Ethanol-Kraftstoff-Fabrik im US-Bundesstaat Oregon hält er freilich für "eine finanzielle Katastrophe".
Schließlich kümmern sich zwei seiner Companys um Aus- und Weiterbildung, und zwar in Kalifornien und Indien, wo landesweit 17 Akademien errichtet wurden. Auch ein paar typische Finanzfirmen sind im Köcher - darunter die Liberty Acquisition Holdings Corporation. Sie sollen seine nächsten Coups aushecken.