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Topfen in der Wunderbar

Von Paul Vécsei

Reflexionen

Harald Serafin, Intendant der Mörbischer Seefestspiele, kommt seit Kindertagen nicht mehr davon los: Mit Honig oder Marmelade konsumiert er ihn am liebsten. Am Tresen der "Wunderbar" im Herzen Wiens hob "Mr. Wunderbar" mehrere Portionen an 20-Prozentigem. Hier der skurile Prüfbericht.


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"So ein Topfen". - Diese urwienerische Qualifizierung hätte vielleicht ein anderer auf das Ansinnen geäußert, einschlägige Eiweißprodukte in einer schummrigen Innenstadtbar zu testen. Nicht so Harald Serafin. Der nunmehr 75jährige Publikumsliebling versteht es schon lange, mit seinem "Schmäh" und vollem Körpereinsatz Jung und Alt zu begeistern. Die etwas Älteren seit fünfzehn Jahren mit seinen Operettenfestspielen in Mörbisch. Die Herzen der Jüngeren gewann er mit einer hervorragend angelegten Nebenrolle: Als zutiefst menschlicher Juror beim ORF-Wettbewerb "Dancing Stars" setzte er mit seinem unnachahmlich betonten "Wunderrrbarrr" ein neues Markenzeichen, das Kultstatus erreichte.

Also ließ sich der schelmische Serafin leicht zu einem ungewöhnlichen Auftritt gewinnen: Eine seiner Leibspeisen, nämlich Topfen, in der "Wunderbar" in der Wiener Schönlaterngasse testen. Die völlig neue Bühne mit spärlichem und überraschtem Publikum bildete für die Charme-Bombe nicht das geringste Problem: Mit der Barkeeperin wurde im Rahmen des guten Tons elegant geflirtet. Alle Besucher, die sich ob des unerwarteten Besuchs nicht verblüfft vom Stammplatz oder verschüchtert in eine dünklere Ecke des Lokals zurückzogen, wurden in Serafins Inszenierung sofort integriert, väterlich umarmt und so lange mit purem Eiweiß abgespeist, bis sie genug davon hatten. So blieb das Topfentesten keine Sekunde lang eine einsame Sache.

Der Komödiant Serafin kennt bei seinem Engagement für eigene Anliegen wenig Berührungsängste. Mit breit angelegtem Marketing stellt er mit vollem Einsatz auch die eigene Person ständig ins Rampenlicht. Der Erfolg gibt ihm Recht. So machte er die einstigen Dorf-Festpiele von Mörbisch zum Publikumsrenner und Wirtschaftsfaktor des heimischen Sommertourismus. Der burgenländische Ort ist heute ein Mekka der Operette. Das lange dahindümpelnde Genre feiert in Serafins Formgebung am Neusiedler See fröhliche Urständ.

Hinter den Kulissen gelang dabei eine nicht zu unterschätzende Managementleistung: Die erfolgreiche Vertreibung der früher gefürchteten Gelsenschwärme. Mit fast einer Viertelmillion Besucher im Vorjahr setzte Serafin eine Höchstmarke, die so manchen hochkarätigen Tourismusplaner vor Neid erblassen lässt. Heuer mit "Wiener Blut" von Johann Strauß könnte der Besucherrekord noch übertroffen werden. Maximilian Schell führt Regie. Die fürstliche Hauptrolle des Ypsheim-Gindelbach spielt Serafin selbst.

Dass andere auf das Operettengenre, den Veranstaltungsort und die in Autobussen heran gekarrten Tausendschaften abfällig herunterblicken, begegnet Serafin mit Selbstbewusstsein: "Wir bringen Freude, Lachen, Unterhaltung. Ich stehe zu diesem Konzept. Und den Erfolg soll mir erst einmal jemand nachmachen."

Nicht immer befand sich der schrullige Intendant mit der ewig lachenden Clownmaske auf der Butterseite des Lebens. Geboren in Litauen, folgte im Zweiten Weltkrieg ein Vertreibungsschicksal über Danzig und Berlin. "Ich konnte jahrelang nicht schlafen und fühlte mich lange auf der Flucht." Als künstlerischer Weltenbummler sang der lyrische Bariton später erfolgreich Opern, unter anderem in Zürich und Wien. Relativ spät entdeckte er für sich das Erfolgsfeld der Operette und Mörbisch. Heute sieht er sich als "Kosmopolit mit einer Green Card im Burgenland".

Da folgte vor einigen Jahren das Trauma eines seltenen Karzinoms am Stimmband des erfolgreichen Sängers. Seither interessiert er sich stark für Psychotherapie und ihre Wirkungen. Er siniert sogar darüber, vielleicht selbst einmal in diesem Bereich tätig zu werden. Die künstlerische Fassade hielt er auch während der Krankheit immer aufrecht. Entgegen allen Prognosen lernte er nach der Operation der Stimmorgane mit viel Disziplin wieder zu singen. Mit besonderem Genuss zelebriert er bei der Erzählung an dieser Stelle ein schmetterndes "Wunderbar".

Den Topfen, um den es nun gehen soll, isst Serafin täglich zum Frühstück. Die magere Ausgabe selbstverständlich. Wir hatten ihm zur kritischen Prüfung sechs Sorten von 20-Prozentigem mitgebracht. Als subjektive Testkriterien legte Serafin fest:

Geschmack: "Guter Topfen muss sehr neutral-cremig und darf keinesfalls säuerlich schmecken. Das ermöglicht eine belebende Kombination mit Schinken, Salz, Marmelade oder Honig."

Geruch: "Milchig-appetitlich, nur nicht ranzig", hieß die Devise.

Streichfähigkeit: "Nicht bröckeln und brechen. Am besten, wie weiche Butter", lautete die Vorgabe.

Bewertet wurde nach dem gängigen österreichischen Schulnotensystem.

Zusammenfassung. Am liebsten hätte Serafin zu Testzwecken in der "Wunderbar" auch noch mit jedem Produkt eine Topfenwickel auf seinen Knien versucht. Er schwört nämlich auf die heilende Wirkung dieses Hausmittels. Dafür fehlten uns aber doch messbare Vergleichsparameter und vor allem eine stumpfe Verletzung, die wir aber trotz einiger Viertel Rotwein als Zwischenmahlzeit niemandem im Lokal leichtfertig zufügen wollten. Also blieb es beim Verkosten mit Publikumshilfe und der zur Verdauung nötigen Alkoholbegleitung.

Nach zweistündigem Geschmacksvergleichen, einigen halb leer gegessenen Packerln mit Fotoshooting hatte selbst ein abgebrühter Profi wie Serafin genug. "Ich werde jetzt bestimmt längere Zeit keinen Topfen mehr vertragen." Dann verließ er die Stätte des Topfen-Grauens.

In der "Wunderbar" wundert man sich seither über den ungewöhnlichen Besuch und wusste zunächst wenig mit den großzügig zurückgelassenen Topfenmengen anzufangen. Wo immer sie letztlich über welchen Weg gelandet sein mögen, der Barkeeperin und den Gästen sei herzlich für jede Mithilfe gedankt.

EinzelergebnisTopfen, 20%, 250 g

1. Platz: Gesamtnote 1
Spar, Euro 0,59

Geschmack 1, Geruch 1, Streichfähigkeit 1

2. Platz: Gesamtnote 1,3
nöm, Euro 0,69

Geschmack 1, Geruch 1, Streichfähigkeit 2

3. Platz: Gesamtnote 1,6
Alpa, Euro 0,59

Geschmack 2, Geruch 1, Streichfähigkeit 2

4. Platz: Gesamtnote 2
Ja! Natürlich, Euro 0,89

Geschmack 2, Geruch 2, Streichfähigkeit 2

5. Platz: Gesamtnote 3
Milfina, Euro 0,59

Geschmack 3, Geruch 3, Streichfähigkeit 3

5. Platz: Gesamtnote 3,66
Zurück zum Ursprung, Euro 0,69

Geschmack 4, Geruch 3, Streichfähigkeit 4