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Es ist ein Irrtum, davon auszugehen, die fremdenfeindlich motivierte Gewaltbereitschaft der Ostdeutschen sei größer als jene ihrer westdeutschen Mitbürger. Eine einseitige geografische Verortung, gleichsam eine Verschiebung des Hasses in den Osten Deutschlands, verkennt die Tatsache, dass ein nicht geringer Anteil fremdenfeindlicher Übergriffe, wie zuletzt in Salzhemmendorf bei Hameln gesehen, im Westen der Bundesrepublik stattfindet. Tatsächlich ist die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein bundesdeutsches, ja ein universelles Phänomen.
Dennoch ist es kein Zufall, dass insbesondere im sächsischen Heidenau die Gewaltbereitschaft manifest wird. Der verschwindend geringe Anteil von Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund in den ostdeutschen Bundesländern ließe zuallererst vermuten, dass hierdurch auch der auf diese Gruppe zielende Fremdenhass kaum verbreitet wäre. Doch täuscht diese Korrelation darüber hinweg, dass die Angst vor dem Fremden oftmals durch die Nicht-Anwesenheit des Fremden überhaupt erst entsteht, ja hierdurch eine beängstigende Kontinuität erfährt. Während der Westen der Republik eine durchaus erfolgreiche Einwanderungsgeschichte aufweist, ein mitunter schwieriges, durchaus auch angespanntes Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft, hinkt die Einwanderungsentwicklung in vielen Teilen Ostdeutschlands jener des Westens um Jahrzehnte hinterher.
Die vermeintliche Bedrohung durch die Fremden wird hier vielfach über die mediale Berichterstattung ausgelöst, wenn zum Beispiel täglich über die Terroraktionen des Islamischen Staates berichtet wird, unter denen primär Syrer und Iraker, also genuin nahöstliche Gesellschaften leiden. Die nicht selten einseitige mediale Präsentation von Muslimen als fanatisch-irrationale Akteure, die das Abendland bedrohen, dient hierbei gewissermaßen als Schwarz-Weiß-Folie, die die Realitäten vor Ort, Entitäten mit unendlich vielen Grautönen, verzerrt wiedergibt. Die Unfähigkeit zur Differenzierung ist die eigentliche Ursache der großen Exklusion eines im Wesentlichen unteilbaren Ganzen in ein grobes "Wir und die anderen".
Und doch ist es die persönliche Begegnung mit dem Fremden, den Flüchtlingen, die ermöglicht, dass Vorurteile revidiert und Ängste nachhaltig abgebaut werden. Die Angst vor dem Fremden ist kein genuin ostdeutsches Phänomen, sie ist bloß hier aufgrund der Unmöglichkeit, sich vor Ort vielfach eines Besseren belehren zu lassen, flächendeckender verbreitet. Dies hat historische Ursachen, die weit in die Geschichte der DDR und die Wendezeit der 1990er zurückreichen. Eine auf die Mentalität der Akteure bezogene manichäische Aufteilung der deutschen Gesellschaft in eine vermeintlich helle und dunkle Sphäre, wie sie Bundespräsident Joachim Gauck vorgenommen hat, entspricht faktisch nicht den Tatsachen. Eine derartige verkürzte Sichtweise baut unnötigerweise Barrieren dort auf, wo ein weitsichtiger Blick durchaus in der Lage wäre, Blockaden rechtzeitig zu erkennen und diese im Dialog abzubauen.
Auch im Fall Heidenau wäre es ratsam, wenn sich die Politiker den Ängsten der Bürger unvoreingenommen stellten und nicht in eine bipolare Schwarz-Weiß-Rhetorik verfielen, die der Komplexität der Vernetzung von deutscher Außenpolitik, Rüstungsindustrie, Bürgerkriegen in Nahost, dem demografischen Wandel in Deutschland, den anhaltenden Flüchtlingsströmen über den Balkan und der Angst vor Überfremdung nicht gerecht wird.