Im späten 19. Jahrhundert wurden berühmte Tote, die auf diversen Wiener Friedhöfen begraben waren, exhumiert und in Ehrengräbern auf dem neuen Zentralfriedhof ein zweites Mal feierlich bestattet.
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Schubert:Hast schon gehört, unsere Gebeine werden vom Währinger Friedhof auf den Centralfriedhof übertragen.
Beethoven: "Wozu?
Schubert: Das weiß ich selbst nicht!
Beethoven: "Nicht einmal im Grab läßt man uns Ruhe, und das nennt die kurzsichtige Welt - Pietät!
Dieser Dialog, betitelt mit "Im Olymp", findet sich in der satirischen Wochenschrift "Die Bombe" vom 3. August 1884 und hat nur allzu reale Hintergründe. Tatsächlich wurden beide Komponisten vier Jahre später exhumiert und bekamen neuerlich ein Begräbnis, das - so wie schon das erste - "a schöne Leich" war. Wobei im Wienerischen "Leich" keineswegs für Leichnam, sondern für Begräbnis steht. Ein Ausdruck, der wohl vom "Leichenbegängnis", einem Terminus des 19. Jahrhunderts für Begräbnisse, kommt.
Bekanntlich wurde und wird in Wien die Bedeutung eines Menschen am Begräbnis gemessen. Je größer die Zahl der Trauergäste, je mehr Reden gehalten werden, je mehr Kränze am Grab liegen, kurzum, je bombastischer der letzte Weg ist, desto schöner ist die "Leich" und desto höher die posthume Wertschätzung. Getoppt wird das Begräbnis vom Grab; das höchste der Gefühle ist ein Ehrengrab. Darüber freuen sich auch Angehörige und Erben, zumal Ehrengräber von der Gemeinde Wien auf Friedhofsdauer betreut und gepflegt werden und keine Erhaltungskosten anfallen.
Exhumierungen
Zu finden sind die rund 1000 Wiener Ehrengräber unter den 330.000 Gräbern auf dem Zentralfriedhof im Südosten Wiens. Im Arbeiterbezirk Simmering sind heimische Granden im eiszeitlichen Staub (Löss) vereint. Musiker, Dichter, Wissenschafter, Architekten, Erfinder, Schauspieler, Politiker und Sportler ruhen hier. Manche sind lange vor der Eröffnung des Wiener Zentralfriedhofs am 1. November 1874 verstorben. Künstler wie Beethoven, Schubert, Nestroy, Strauß (Vater), Lanner, aber auch Wissenschafter wie Wilhelm Haidinger ("der Begründer des naturwissenschaftlichen Lebens in seinem Vaterlande") oder die Forschungsreisende Ida Pfeiffer exhumierte man andernorts, um sie hier abermals zu begraben.
Derartige Wiederbestattungen wurden vielfach mit großem Pomp inszeniert, um die Toten, abermals "hoch leben" zu lassen. Hatte mancher in seinem Testament Verfügungen über sein Begräbnis getroffen, so hatte wohl keiner an ein zweites Begräbnis gedacht und musste sich nun dem Willen späterer Generationen fügen. Angesichts der Tatsache, dass etwa Schubert und Beethoven gar dreimal begraben wurden, ließe sich auf gut Wienerisch sagen: "Was kann einem Schöneres passieren?"
Die erwähnten Tonkünstler ruhten am Währinger Ortsfriedhof, dem heutigen Schubertpark, nur durch ein Grab voneinander getrennt. Der Friedhof war, nachdem der alte Gottesacker rund um die Währinger Pfarrkirche St. Gertrud aufgelassen worden war, am 24. Februar 1769 geweiht worden. In den Jahren 1840/41 erfolgte eine Erweiterung; ab 1873 wurde er nicht mehr belegt. Die endgültige Auflassung erfolgte in den 1920er Jahren.
Dass Schubert neben Beethoven bestattet wurde, war ausdrücklicher Wunsch des Liederfürsten, der beim Begräbnis Beethovens am 29. März 1827 "um 3 Uhr Nachmittags" einer der Fackelträger gewesen war. Eine Beerdigung hätte kaum pompöser sein können als diejenige Beethovens. Franz Grillparzer schrieb die Trauerrede, der Schauspieler Heinrich Anschütz rezitierte sie, Ignaz Franz Castelli und Franz von Schlechta verfassten Gedichte und trugen sie vor.
Ein Massenereignis
"Bäuerles Theaterzeitung" resümierte am 12. April 1827: "Die vorzüglichsten Künstler der Kaiserstadt trugen und umgaben den Sarg, hinter welchen nebst des Verstorbenen Bruder, als erste Leidtragende, die Herren Anschütz und Lablache, beyde unstreitig Heroen der Kunst, nebst vielen hiesigen Schauspielern, Sängern, Componisten und Musikern, hiesigen Kunst - und Musikalienhändlern und Dichtern folgten, im Ganzen begleiteten an 15.000 Menschen aus allen Ständen die Überreste des genialen Compositeurs, auf ihrem letzten Erdenwege."
Schubert selber sollte, keiner ahnte es damals, im nächsten Jahr folgen, er verstarb am 19. November 1828 und wurde zwei Tage später ebenfalls am Währinger Ortsfriedhof begraben.
Über die abermalige "Leichenfeier Beethoven’s" liest man in der "Presse" vom 23. Juni 1888: "Die Stimmung, welche die Todtenfeier charakterisirte, war eine ruhig-ernste, nicht durchzittert von dem momentanen Leide, das unmittelbar nach dem Tode die Herzen Trauernder ergreift, wenn sie Einen zu Grabe tragen sehen, der kurz vorher noch in ihrer Mitte gelebt und gewirkt, an dessen lebendigem Wirken wir uns noch begeistert."
Der Sarg befand sich auf einem achtspännigen Glasgalawagen, der Kondukt selber setzte sich wie folgt zusammen: an der Spitze ein berittener Standartenträger, ihm folgten zwei Reiter mit Laternen, dann kamen der erste Blumenwagen, der Leichenwagen, der zweite Blumenwagen und schließlich die Wägen mit den Trauergästen. Von Währing über den Ring und den Schwarzenbergplatz bis zum Zentralfriedhof benötigte der Zug zwei Stunden und "eine zahlreiche Menschenmenge bildete Spalier." Die Sicherheitswache längs der Route trug Galauniformen und sämtliche Gaslaternen waren illuminiert.
Es war eine "edle musikalische Gemeinde, die sich hier am Grabe Beethoven’s versammelt hatte". Die Grabrede hielt Joseph Lewinsky, seines Zeichens "Wirklicher Hofschauspieler"; verfasst wurde sie von Hofrath Joseph Ritter v. Weilen, Direktor der Schauspielschule am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und Präsident des Schriftstellerverbands Concordia. Zumindest bis zum heutigen Tag sollte sich der damals ausgesprochene Wunsch bewahrheiten:
" . . . hier (heute: Zentralfriedhof: Gruppe 32 A, Nummer 29) möge künftig, was irdisch ist von Ludwig van Beethoven, die letzte Ruhestätte finden, umgeben von Tausenden und aber Tausenden, die, als sie noch auf Erden gewandelt, seinen Namen voll Ehrfurcht genannt und die seligsten und erhebendsten Stunden ihres Lebens seinen Schöpfungen verdankten."
Schuberts Begräbnis, dessen Grab wiederum an der Seite Beethovens (Zentralfriedhof: Gruppe 32 A, Nummer 28) war, folgte drei Monate später, am Sonntag den 23. September 1888, bei prachtvollem Wetter. Es war nicht minder prunkvoll. Mit den Worten "Feierlich ernst und imposant" beginnt die "Presse" am nächsten Tag einen Artikel über die "Wiederbestattung der Gebeine Franz Schuberts".
Ein riesiger Chor
Abermals kam der achtspännige große Galaglaswagen zum Einsatz. Die Route war ident. Vor der Votivkirche warteten rund 1200 Sänger, deren Ansammlung - folgt man den damaligen Schilderungen - ein eindrucksvolles Bild geboten haben muss: "Diese rangirten sich nach Stimmgattungen. Der Conduct hielt längs der Ringstraße. Dem Componisten und Dirigenten des ‚Schubertbundes‘, Franz Mair, wurde die Ehre zu Theil, den Gesammtchor zu dirigiren. Der tausendstimmige Sang brauste mächtig hinaus." Mit einem Wort, ein Event, über den man noch lange sprach.
Die zahlreichen Exhumierungen in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts wurden zum Anlass genommen, um den Zustand der jeweiligen Leichen wissenschaftlich zu untersuchen. Das Interesse galt neben einer Gesamtbeurteilung vor allem der Vermessung des Schädels (Kraniometrie), um - im Sinne der Schädellehre (Kraniologie) - Rückschlüsse auf den Menschen ziehen zu können.
Zu Schuberts Exhumierung am 22. September 1888 war nur wenigen Auserwählten Zutritt gewährt worden. Die Verwesung war bereits stark vorgeschritten. Den Schädel Schuberts bezeichnete der untersuchende Anatom, Professor Carl Toldt, als klein, "das Gesicht im Verhältniß zur Stirne sehr entwickelt, die Stellung der Kiefer als eine orthognate [=parallel zueinander]." (Die Presse, 23. September 1888). Das Kranium wurde fotografiert und im Detail (51 Messungen) untersucht.
Bei der Exhumierung Beethovens am 22. Juni 1888 galt das spezielle Augenmerk der Wissenschafter dem Kopf des Künstlers.
Beethovens Schädel
Zunächst muss man aber wissen, dass im Oktober 1863 auf Betreiben des "Musikvereins-Comités" Schubert und Beethoven bereits ein erstes Mal exhumiert worden waren, um "Gypsmodelle" von deren Schädeln zu machen. Dem Untersuchungsbericht der damaligen Anatomen ist zu entnehmen, dass ein Stück der Kalotte "mitten heraus [. . .] aus der Scheitelgegend" verloren gegangen war und dass das bei der Obduktion im Todesjahr 1827 entnommene Felsenbein fehlte. Die Exhumierung im Zuge der Überführung auf den Zentralfriedhof nutzte man, um zu klären, ob und inwieweit der Abguss von 1863 wissenschaftlich verwertbar, bzw. glaubwürdig war, zumal "dessen Genauigkeit und Verwendbarkeit zur Feststellung der Schädelform Beethoven’s" - so Toldt - "von mehreren Seiten angezweifelt worden ist."
Man ging 1888 auch der Frage nach, ob die Schädelnähte Beethovens frühzeitig verwachsen waren, was 1863 nicht beachtet worden war. Dies konnte 1888 definitiv verneint werden. Im Zuge der Untersuchungen tauchten Meldungen auf, dass zwei Zähne Beethovens verschwunden seien. Toldt gab dem Magistratsdirektor zu Protokoll, dass jede "Entnahme eines Bestandtheiles der Leiche" ausgeschlossen sei.
Natürlich folgte auch im Oktober 1863 eine würdevolle Bestattung der beiden Musiker. Die Einsegnung nahm Pater Hermann Schubert, Prediger des Stiftes Schotten und jüngster Stiefbruder des Komponisten, vor. Beim gemeinsamen 1863er Begräbnis trug der Wiener Männergesangsverein Choräle von Beethoven und Schubert vor.
So bekommen die eingangs zitierten Worte von Schubert und Beethoven "Nicht einmal im Grab läßt man uns Ruhe" eine tiefere Bedeutung, denn schon nach der Exhumierung von 1863 "wussten" sie, was auf sie zukam.
Thomas Hofmann, geboren 1964, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen zu geologischen und regionalen Themen.