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Traditionsbetrieb ohne Staubschicht

Von Heike Hausensteiner

Wirtschaft

Rachinger leitete Reorganisation der Nationalbibliothek.
| "Netzwerke ersetzen nicht die Tüchtigkeit."


Wien. Johanna Rachinger, Generaldirektorin der mehr als 500 Jahre alten Österreichischen Nationalbibliothek, bezeichnet ihren Führungsstil als zielorientiert und nicht konfliktscheu. Sie sieht es als Aufgabe von Frauen in Führungspositionen, Frauen zu fördern.

"Wiener Zeitung":Sie sind im Juni 2001 als Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek angetreten. Was hat sich seither für Sie als Managerin geändert?

Johanna Rachinger: Wir haben viel reorganisiert und die Nationalbibliothek fit gemacht für das 21. Jahrhundert. Sämtliche Kataloge sind online abrufbar, die Digitalisierung und Langzeitarchivierung wurden vorangebracht und wir haben stark wachsende Besucherzahlen. Das alles ist einhergegangen mit großen Sanierungsprojekten, sämtliche Lesesäle wurden renoviert, ein zusätzlicher Lesesaal gebaut und eine Lounge eingerichtet. Früher hat man oft gesagt, die Nationalbibliothek sei eine "verstaubte" Institution - diesen Begriff nimmt jetzt niemand mehr in den Mund.

Hat sich auch in puncto Management etwas geändert?

Ich habe einen klaren, zielorientierten und umsetzungsstarken Führungsstil, der nicht konfliktscheu ist, das hat bei der Verwirklichung der vielen Vorhaben geholfen.

Sie waren Geschäftsführerin des Ueberreuter Verlages. Inwieweit unterscheidet sich die Führung eines Kulturbetriebes von einem privatwirtschaftlichen Betrieb?

Es gibt Unterschiede bei den Zielen. Bei einem privatwirtschaftlich orientierten Unternehmen geht es um den Gewinn und letztendlich um die Steigerung des Werts des Unternehmens. Ökonomisch orientierte Ziele wie Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit sind auch für uns relevant, aber es geht darüber hinaus auch um kulturpolitisch wichtige Aufgaben wie die Erhaltung des Kulturerbes, wissenschaftliche Forschung, Zugänglichmachung der Bestände unter maßgeblicher Einbeziehung der modernen Informationstechnologien.

Was haben Sie aus Ihrem geisteswissenschaftlichen Studium mitgenommen für Ihre Management-Funktion?

Ich habe immer schon eine hohe Affinität zum Buch gehabt. In meinen früheren Tätigkeiten musste ich Bücher verkaufen und Umsätze steigern. Als Generaldirektorin der Nationalbibliothek muss ich zwei Komponenten verknüpfen, den kulturpolitischen Auftrag und die wirtschaftliche Orientierung. Die geisteswissenschaftliche Ausbildung war auch ein Kriterium bei der Ausschreibung.

Greifen Sie auf Literatur für Ihre Managementfunktion zurück, zum Beispiel auf Macchiavellis "Der Fürst"?

Ich habe mich nie auf Ratgeberliteratur verlassen. Vieles ist "learning by doing". Ich praktiziere "management by objectives", Management anhand von Zielen.

Dazu gehört offenbar auch, dass Sie Ihre Mitarbeiter mit einem Mindestlohn ausgestattet haben.

Ja, als ich hier als Generaldirektorin angetreten bin, habe ich 1400 Euro als Mindestlohn für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - auch in den Magazinbereichen - festgelegt, weil ich der Meinung bin, dass man von seinem Einkommen auch den Lebensunterhalt bestreiten können soll.

Würden Sie sich als erfolgreiche Managerin einschätzen?

Wenn ich zurückblicke auf das, was ich erreicht habe, würde ich sagen, dass ich meine Arbeit bisher gut gemacht habe. Aber alleine wäre das nicht möglich, dazu braucht es gute und engagierte Mitarbeiter.

Und wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir sind gerade dabei, unsere strategischen Ziele für 2012 bis 2016 festzulegen. Diese Ziele werden nicht von oben verordnet, sondern "bottom up" formuliert. Das heißt, wir haben im Haus Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Zielsetzungen erarbeiten. Das gibt ihnen das Gefühl, "meine Ideen werden hier umgesetzt".

Sie selbst haben die gläserne Decke für Frauen durchstoßen. Sie haben aber auch in der Nationalbibliothek einen fast 50-prozentigen Frauenanteil geschaffen.

Das ist mir ein Anliegen, dass Frauen die gleichen Chancen haben. Ich sehe es auch als Verantwortung von Frauen in Führungspositionen, Frauen zu fördern. Ich bestelle bei gleicher Qualifikation eine Frau.

Ist das Kulturmanagement in Österreich weiblich dominiert?

Das sehe ich nicht so. Zum Beispiel die großen Theater oder Festivals werden von Männern geleitet. Wiewohl in den letzten Jahren viele Frauen in die Führung der Bundesmuseen berufen wurden. Es ist schon viel passiert unter den Ministerinnen Claudia Schmied und Elisabeth Gehrer.

Wie wichtig sind für Sie politische Netzwerke?

Sie sind wichtig, aber sie ersetzen nicht die Tüchtigkeit und das eigene Engagement. Wir haben viele Sponsoren und Drittmittelgeber, da sind die Netzwerkkontakte wichtig, um die Anliegen des Hauses zu unterstützen.

Sie sind eine Kooperation mit dem US-Technologiekonzern Google eingegangen, der 40 Millionen Euro für die Digitalisierung zahlt. Bringt das auch Nachteile?

Es kann keine Nachteile geben. Denn es werden 600.000 urheberrechtsfreie Bücher im Volltext digitalisiert und kostenlos zur Verfügung stehen. Wenn wir von Demokratisierung des Wissens sprechen, dann ist das seit der Aufklärung das größte Projekt. Für die Wissenschaft ist das eine enorme Hilfe. Und im Falle einer Katastrophe - erinnern Sie sich an den Brand der Hofburg 1992 - sind zumindest die Inhalte gesichert.

Der geplante Tiefspeicher unter dem Heldenplatz liegt auf Eis. Können Sie sich einen kompletten Neubau der Nationalbibliothek als Prestigeprojekt vorstellen, um die Platzprobleme zu lösen?

Das ist keine Zielsetzung. Wir brauchen keine neue Bibliothek, wir brauchen lediglich einen neuen Bücherspeicher. Leider ist im Moment die Finanzierung noch nicht gesichert. Wir behelfen uns kurzfristig, indem wir durch die Digitalisierung der Zeitungen Platz schaffen. Tatsache ist, dass wir zum Sammeln verpflichtet sind.

Johanna Rachinger (51) studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien. Mit 35 Jahren wurde sie Geschäftsführerin des Ueberreuter Verlages. Seit 2001 steht sie an der Spitze der Österreichischen Nationalbibliothek.

Wie Johanna Rachinger die Österreichische Nationalbibliothek fit fürs 21. Jahrhundert machte