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Tragödie eines Niedergangs

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Mitunter schmerzt Lob mehr als jede Kritik. Vor allem in der Politik. Das wird dieser Tage der deutschen SPD besonders bewusst, die demnächst bestimmen muss, wer an ihrer Spitze nächstes Jahr in die Wahlen zieht. Vor Jahresfrist rechneten sich noch drei Männer realistische Chancen auf die Kanzler-Kandidatur aus; jetzt dürfte wohl derjenige das Rennen machen, der den schlechtesten Grund hat abzusagen.

Die Ironie dabei ist: Die triste Lage der SPD ist nicht das Verdienst der deutschen Kanzlerin. Dass Angela Merkel innenpolitisch derzeit unangreifbar erscheint, hat sie den Sozialdemokraten zu verdanken. Und zwar, weil diese - aktuell und in der Vergangenheit - einiges, tatsächlich sogar Entscheidendes, richtig gemacht haben.

Bei der Rettung des Euro etwa versagt sich die SPD den natürlichen Beißreflex jeder Opposition und hält Merkel aus Staatsräson den Rücken frei; statt die brüchige schwarz-gelbe Koalition vor sich her zu treiben, agiert die SPD als Merkels "most loyal opposition".

Noch entscheidender für ihr heutiges Unglück waren die Hartz-Gesetze der rot-grünen Koalition zur Reform des verkrusteten deutschen Arbeitsmarkts vor zehn Jahren. Diesen ist es wesentlich zu verdanken, dass Deutschland heute verhältnismäßig gut durch die Krise kommt.

Doch für die SPD begann damit ein brutaler Abstieg. Aus dem Widerstand gegen Hartz entstand eine neue populistische Protestpartei links der SPD, der sich viele anschlossen, die zuvor zum Kern der Sozialdemokratie zählten: Gewerkschafter, Sozialarbeiter etwa. Und noch heute spaltet die Reform die Partei.

Der Kern der Tragödie liegt allerdings nicht im Einzelschicksal der SPD; er liegt in der fatalen Vorbildwirkung für alle anderen Parteien rechts und links der Mitte. Die einfache Lektion aus der Sicht professioneller Politiker lautet nämlich: Wer der eigenen Klientel schmerzhafte, aber notwendige Reformen zumutet, muss damit rechnen, für zehn, fünfzehn, vielleicht sogar noch mehr Jahre alle Chancen auf die Eroberung der Macht abzuschreiben.

Welcher Spitzenpolitiker wird dazu künftig bereit sein? Und wenn doch: Welche Partei, die notwendigerweise in längeren Horizonten denkt, wird ihm dafür noch eine Mehrheit zur Verfügung stellen? Genau darin liegt die Tragödie der Geschichte vom Niedergang der SPD.