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"Wiener Zeitung": Herr Mahler, Sie haben in diesem Jahr bereits zwei Bücher herausgebracht, im letzten Jahr waren es vier, insgesamt sind es bereits an die 30 Bücher. Geht sich das in einer 40-Stunden-Woche aus?Nicolas Mahler: Ja, locker. Naja, ich notier’ mir die Zeit ja nicht. Also von außen sieht das vielleicht so aus, als würd’ ich nur zeichnen. Aber so ist es natürlich nicht, weil ich oft tageweise auch gar nichts mache . . .
Was ist schwieriger: Einem Vertreter des Kunstbetriebs zu erklären, dass bei Comics auch die narrative Ebene unerlässlich ist, oder einem Vertreter des Literaturbetriebs, dass man auch die visuelle Ebene nicht weglassen kann?
Also mit einem Vertreter des Literaturbetriebs könnte ich darüber reden. Mit einem Vertreter des Kunstbetriebs hingegen gar nicht. Die sind so eingenommen von ihrem Urteil.
Hat sich in dieser Hinsicht inzwischen etwas verändert?
Verändert hat sich das Image, ein bisschen . . .
Durch den Begriff "Graphic Novels"?
Sicher. Der Begriff "Comic" ist für viele noch immer ein Schimpfwort. Ich bin relativ entspannt, was die Begrifflichkeit angeht.
Woher kommt die Berührungsangst vieler Menschen mit dem Comic?
Es ist immer noch so, dass sie ganz einfach Comics nicht lesen können. Und bestimmte Formen gelten nichts, sie werden als Schund eingestuft.
Sie haben zuerst im Ausland Karriere gemacht, bevor Sie in Österreich überhaupt wahrgenommen wurden. Können Sie etwas von Ihren Anfängen als Zeichner erzählen?
Angefangen habe ich 1988, da habe ich maturiert. Da konnte ich gleich eine Serie in der "AZ" ("Arbeiterzeitung", Anm.) unterbringen. Für einen 18-Jährigen war das schon eine Herausforderung, jeden Tag einen Strip zu zeichnen. Es war natürlich schlecht bezahlt, aber das war wurscht, weil sowas gibt’s normal ja gar nicht. Das war ein Glücksfall!
Ein idealer Einstieg.
Ja, schon. Rückblickend war der Anfang gar nicht schlecht. Dafür dass ich keine Ausbildung hatte und auch sonst nichts. Danach habe ich mit meiner Mappe die Redaktionen abgeklappert. Das war sehr lehrreich. Und frustrierend. Da habe ich gelernt: Auf dich wartet niemand. Trotzdem dachte ich damals, dass man mit Zeichnen in Österreich einen Job finden muss. Und zehn Jahre habe ich das auch gemacht, bis 1998: mit Illustrationen, einem Comic für den "Standard", Kinderrätsel für Kindermagazine . . .
Und dann gingen Sie doch an die Akademie.
Ich wollte studieren. Zumindest etwas über Techniken lernen: Welche Feder braucht man, welche Materialien, wie macht man einen Siebdruck . . . Aber die haben mir vermittelt, dass man dort nichts lernt. Die waren ziemlich überheblich: Wir sind keine VHS, bei uns werden Künstler ausgebildet. Was ja ein Blödsinn ist.
Und wie kam der Sprung ins Ausland?
Durch das Tief, das danach gekommen ist. Als Kommerzzeichner hat es auch nicht mehr funktioniert. Zu dem Zeitpunkt gab es im deutschsprachigen Raum einen absoluten Tiefpunkt, was Comics angeht. 1998 habe ich mit Heinz Wolf den Selbstverlag gegründet. Doch das war eine Enttäuschung. Das hängt mir bis heute noch nach, wie schlecht mich die Buchhändler behandelt haben.
Respektlos?
Ja, sehr. Die Respektlosigkeit ist in Wien schon sehr groß. Das ist mir erst im Ausland aufgefallen.
Ihr erster Verlag war der heute renommierte französische Comicverlag L’Association.
Ja, ich war auf Urlaub in Paris und da habe ich L’Association entdeckt. Denen habe ich meinen ersten Comic, "Lone Racer", geschickt. Und sie haben ihn sofort genommen! In Österreich kriegst du nicht einmal eine Antwort . . .
Danach habe ich mich gleich ans nächste Werk gesetzt. Und die haben so nach und nach - bis auf eines - alle meine Bücher herausgebracht. Ich hatte das große Glück, dass ein Buch von mir zeitgleich mit "Persepolis" (von Marjane Satrapi; Anm.) herausgekommen ist. Da haben manche gesagt, naja, die kann nicht zeichnen, die wird vielleicht 1000 Stück verkaufen. Und kurz darauf hat mir der Verlag geschrieben, dass sie das einmillionste Exemplar von "Persepolis" verkauft haben! Dadurch hatten sie einen unglaublichen Geldpuffer und konnten auch Bücher, die nicht so gut gehen, leichter verschmerzen.
Damals ist man draufgekommen: Aha, man kann mit schwarzweißen "Randgeschichten" auch Geld machen. Jetzt ist es ein Problem.
Warum?
Weil die Produktion angewachsen ist. Andere Verlage haben das Konzept von L’Association kopiert. Der Verlag hat ja auch in Frankreich erst das Buchformat eingeführt, zuvor gab es nur Alben. Dann haben die großen Verlage begonnen, Sublabels zu gründen, und die haben den kleinen Verlagen die Zeichner weggekauft. Das hat dazu geführt, dass ein Verlag wie L’Association jetzt nur noch die Hälfte verkauft wie vor fünf Jahren.
Ihre Arbeiten weisen ein breites Spektrum auf, von autobiografischen Strips über Comichelden-Parodien, Witzen, bis hin zu gezeichneten Gedichten und Roman-Adaptionen. Wie sind Sie dazu gekommen, Thomas Bernhards "Alte Meister" als Comic umzusetzen.

Der Verlag hat bei mir angefragt, ob es mich interessieren würde, ein Buch aus dem Katalog als Comic zu machen.
Und da sind Sie gleich auf Bernhard gekommen?
Das war mein Wunsch. Eigentlich wollten die "Warten auf Godot" von mir. Da haben sie aber die Rechte nicht gekriegt, weil die Rechteverwalterin gegen Adaptionen ist, auch gegen Verfilmungen. Und dann habe ich "Alte Meister" vorgeschlagen.
War auch das Bildhafte ein Grund dafür, weil Bernhards Roman ja im Kunsthistorischen Museum spielt?
Nein, das ist mir erst später aufgefallen. Beim zweiten Lesen ist mir die Idee gekommen, dass man mit den Bildern aus dem Kunsthistorischen eigentlich einen Großteil der Geschichte erzählen kann. Ab dem Zeitpunkt, als mir das klar wurde, machte die Arbeit großen Spaß.
Warum haben Sie ausgerechnet die "Österreichbeschimpfung" bei Bernhard rausgekürzt?
Ich glaube, dass ich so eine Österreichneurose habe, dass ich mich damit gar nicht beschäftigen wollte. Ich bin ja auf Österreich ganz schlecht zu sprechen. Außerdem ist das Thema ohnehin schon zu sehr mit Bernhard verknüpft.
Zuletzt haben Sie ein Stück von Bernhard adaptiert: "Der Weltverbesserer". Ihre Umsetzung wirkt wie eine Inszenierung. Sind Sie als Zeichner auch Regisseur?
Genau das war mein Anliegen. Einerseits habe ich mir gedacht, bei einem Bühnenstück ist es ja sinnlos, das zu zeichnen, andererseits hat es mich auch wieder gereizt. Und so habe ich es richtig mit "Vorhang auf und zu!" und statisch, ohne Ablenkung, gezeichnet.
Die Figurenkonstellation im "Weltverbesserer" - ein diktatorischer Professor und seine Frau - erinnert an Ihren "Flaschko"-Comic, mit Flaschko, seiner Mutter und einem Fernsehgerät als Akteuren.
Ja, deswegen habe ich ihn auch gemacht. Ich habe mir schon bei der Lektüre gedacht, das erinnert mich sehr an "Flaschko", teilweise mit wortwörtlichen Übereinstimmungen.
Ihre Figuren sind oft komisch und tragisch in einem. "Die Komödie ist nur eine Tragödie vom Mond aus betrachtet." Ist das eine Strategie des Humoristen Mahlers, frei nach Büchner, die Welt vom Mond aus zu betrachten?
Ja, wenn man mittendrin steckt, ist alles traurig, man muss nur warten. Bei Woody Allen heißt es: "Komödie ist Tragödie plus Zeit". Für mich ist das normal. Die Tragödie ist mir zu fad. Oder zu einfach, oder zu alltäglich. Das hat man eh immer. Ich habe schon gern eine Gedankenleistung dabei. Ich finde, dass die Komödie eine viel größere Gedankenleistung als die Tragödie erfordert.
Kommen wir zu Ihrer Adaption von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften": Wie schafft man es, 1000 Seiten auf 150 Seiten zu bringen?
Das ist eigentlich ganz leicht. Der Bernhard war schwieriger. Wahrscheinlich, weil mir der Bernhard näher ist als der Musil. In erster Linie ist es einmal ein ausgezeichneter Titel. Als mir das Buch beim Umräumen zu Hause vor die Füße gefallen ist, habe ich es aufgehoben und zuerst einmal quergelesen. Da habe ich Passagen, die mich interessieren, angestrichen. Andere sind rausgeflogen. Da war ich relativ schnell.
Hatte es für Sie auch einen Reiz, einen "heiligen Text" ein bisschen respektlos anzugehen?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin allerdings kein Musil-Verehrer. Der ist phasenweise brillant und dann wieder unerträglich . . .
Was ist unerträglich?
Es ist schon ein extremes Macho-Buch. Einer meiner Arbeitstitel war: "Musil für Maskulinisten", also die Gegenbewegung zu den Emanzen, die auf die Überlegenheit des Männlichen abzielt.
Ich habe mich dann aber doch für jene Motive entschieden, die mich wirklich interessieren. Man könnte jedes Jahr ein Buch zum "Mann ohne Eigenschaften" herausbringen, jeweils mit einem anderen Aspekt.
Sie haben sich u.a. auf die berühmte "Parallelaktion" konzentriert - eine Art Wettrennen mit der Jubiläumsfeier des deutschen Kaisers im Jahr 1918; die österreichische Feier sollte noch größer und pompöser ausfallen.
Das hat mich angesprochen. Das Ganze ist ja wie ein Faschingsball. Und die Figuren sind Archetypen: der General mit der Quaste am Säbel, seine Exzellenz, die Dienerin, die Salondame . . .
. . . und der Frauenmörder Moosbrugger: In Ihrem Buch spielt er eine zentrale Rolle. Da gibt es viele Spiegelungen und Parallelführungen, die Sie zeichnerisch andeuten. Was interessiert Sie an der Figur?
Dass er eine prägnante Figur ist. Im Grunde ist er die einzige Figur im gesamten Roman, die total schlüssig ist. Das ist natürlich verkürzt. In jede Figur kann man viel hineinlegen. Was ich gemacht habe, ist eigentlich keine Adaption, sondern ein Spiel mit Motiven.
Kürzen, Streichen, Weglassen, Überspringen etc. sind Techniken, die Sie ausgiebig nutzen und virtuos beherrschen. Ist Reduktion auch eine Art Lebensstrategie?
Das hat schon etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Wie man das Leben wahrnimmt. Das große Ganze kann ich nicht erfassen, das würde mich überfordern. Also muss ich mich an etwas Kleinem festhalten.
Worin sehen Sie die besondere Spannung in der Kombination von Text und Bild, wie sie in Comics vorkommen?
Schwierig. Ich denke automatisch immer in dieser Kombination. Aber bei den Adaptionen bin ich auf ein paar Dinge draufgekommen, wie Bild und Text zusammen funktionieren. Für die Musil-Adaption hatte ich mir Textpassagen zurechtgelegt, die ich verwenden wollte, tolle Sätze. Die waren schon fertig. Und da hatte ich in der ersten Version viel mehr Text. Musil-Sätze sind ausgesprochen bildhaft. Aber ich habe bemerkt, dass sich Bild und Text gegenseitig die Kraft nehmen. Und da habe ich mir gedacht, ich vertraue auf das Bild. Deshalb habe ich die Texte rausgenommen. Irgendwie schade, aber besser so.
Eines Ihrer jüngsten Bücher heißt "Gedichte". Wie kamen Sie auf diese Idee?
Es "Gedichte" zu nennen, ist natürlich ein bisschen eine Frechheit. Ich wollte etwas Hochtrabendes. Das mache ich ganz gern: Einen Anspruch erheben, der dann vielleicht gar nicht eingelöst wird.
Es ist so ähnlich wie beim "Mann ohne Eigenschaften": Es muss etwas sein, was nicht zusammenpasst. In einer Kritik stand einmal: "Mit Klamaukfiguren nacherzählt" - das hat mich sehr gefreut. Klamaukfiguren, aber trotzdem keine Klamotte.
Das Hehre und das Triviale vermischen?
Ja, es als Rohstoff gleichwertig nutzen, ohne dass man auf etwas herabschaut, weil es keine Hochkultur ist.
Verkaufen sich die Adaptionen eigentlich besser als Ihre anderen Arbeiten?
Das kommt auf die Adaption an. Der Bernhard ist sehr gut gegangen. Der Musil geht auch gut. Der Artmann nicht. Aber dessen war ich mir bewusst. Bei Adaptionen kann man die Regel aufstellen: Verkauft sich nach dem Bekanntheitsgrad des Originals.
Und was kommt als Nächstes?
"Lulu und das Schwarze Quadrat" - Wedekind und Malewitsch.
Martin Reiterer, geboren 1966, ist Germanist und Kulturpublizist, lebt in Wien und befasst sich speziell mit dem Genre Comics.
Zur Person
Nicolas Mahler, geboren 1969, lebt und arbeitet als Comicautor, Zeichner und Illustrator in Wien. Seine Zeichnungen und Cartoons erscheinen in Zeitungen wie "FAZ", "Die Zeit", "NZZ am Sonntag" oder dem Satiremagazin Titanic. Seit Ende der 1990er Jahren hat er rund 30 Bücher veröffentlicht, außerdem Zeichentrickfilme gestaltet.
Gemeinsam mit Heinz Wolf und Rudi Klein gründete Mahler das "KABINETT FÜR WORT UND BILD". Im Wiener MuseumsQuartier betreiben sie seit 2007 die KABINETTpassage mit einem Comicautomaten. Zuletzt hat das Karikaturenmuseum Krems unter dem Titel "Wer alles liest, hat nichts begriffen" Mahler eine Ausstellung gewidmet.
Zuletzt erschienene Bücher (Auswahl):
"Franz Kafkas nonstop Lachmaschine" (Reprodukt 2014), "Der Weltverbesserer nach Thomas Bernhard" (Suhrkamp Verlag/Insel Bücherei, 2014), "Der Mann ohne Eigenschaften nach Robert Musil" (Suhrkamp 2013), "Gedichte" (Suhrkamp/Insel Bücherei, 2013), "Mein Therapeut ist ein Psycho" (Edition Moderne, 2013), "Alte Meister nach Thomas Bernhard" (Suhrkamp 2012).
2010 erhielt Mahler den Max-und-Moritz-Preis als bester deutschsprachiger Comickünstler. Und 2008 den Max-und-Moritz-Preis für den besten Comicstrip ("Flaschko - der Mann in der Heizdecke").
Weiter Informationen unter:
www.mahlermuseum.at
www.kabinett.at