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Tränen an den Schulen

Von Barbara Ottawa

Politik

3.000 Lehrer und Lehrerinnen in ganz Österreich sind heute in der Früh nicht zum Unterricht erschienen - sie sind in Frühpension gegangen. Dutzende weitere standen heute das erste Mal vor ihrer neuen Klasse - sie sind an andere Schulen versetzt worden. Provisorische Stundenpläne und Organisationsprobleme sind die Folge. Die Schuld wird sowohl dem Bund als - wie etwa in Wien - auch dem Land gegeben.


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"Sie hätten sehen sollen, was sich da abgespielt hat." Seit Anfang letzter Woche weiß Ursel Hatzinger-Winkler, Direktorin der Kooperativen Mittelschule in der Dirmhirngasse in Wien 23, dass eine Lehrerin in Pension geht und zwei langjährige Lehrkräfte an andere Schulen versetzt werden.

"Die Kinder haben geweint, die Lehrer haben einander umarmt", schildert sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die emotionale Situation. "Anscheinend dürfen Lehrer aber keine Emotionen haben. Sie dürfen keine Pläne schmieden, denn hier geht es nur um Zahlen. Lehrer werden verschoben wie Kegel." Viele Schüler und Schülerinnen seien heutzutage psychisch labil. Die Lehrkräfte betreuen sie - ohne zusätzliche psychologische Ausbildung - nach Kräften und dann werden sie abgezogen, bedauert die Direktorin. Nachbesetzt wird an der Schule in der Dirmhirngasse kein Posten. "Da kann ich nur lachen." Hatzinger-Winkler würde es nicht wundern, wenn im nächsten Jahr noch mehr Lehrerstellen eingespart würden. "Wir sind für Sparpakete offen, wenn wir sie verkraften können. Aber so können wir nicht arbeiten."

An der Hauptschule in Zwentendorf mussten durch eine Nicht-Nachbesetzung Leistungsgruppen zusammengezogen werden. "Das bedeutet eine Arbeitserschwernis für die Lehrer", sagt Direktor Alexander Jersche. Für die Schüler sei es natürlich auch nicht gerade eine gute Lernvoraussetzung.

Wien ist anders

"Die Lehrer am 1. Dezember in den Ruhestand zu schicken, ist der schlechteste Zeitpunkt, den man sich nur vorstellen kann", beklagt Kurt Nekula vom Österreichischen Verband der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen gegenüber der "Wiener Zeitung". "Täglich erhalten wir besorgte Anrufe von Lehrern und Eltern."

So wie auch viele Lehrkräfte sieht Nekula die Schwerpunktsetzung und die individuelle Betreuung an Schulen gefährdet. "Begleit- und Förderlehrer werden als klassenführende Lehrer eingesetzt und fehlen dann in ihren Bereichen", erläutert Nekula. Eltern, die ihre Kinder in eine spezielle Schule geschickt haben, weil sie hoffen, dass die Schwerpunktsetzung ihrem Kind hilft, seien zu Recht besorgt.

Gerade in Wien, wo durch den multikulturellen und multiethnischen Hintergrund ganz spezielle Betreuungsanforderungen bestehen, fehlen nicht erst seit den Frühpensionierungen hunderte Lehrer.

Verantwortlich für die Misere in der Bundeshauptstadt, darin scheinen sich Lehrer-, aber auch Elternvertreter einig, ist nicht nur der Bund mit seinem Sparpaket, sondern vor allem das Land Wien. Beim vor drei Jahren beschlossenen Finanzausgleich (siehe Infokasten unten) habe Wien zu wenig Dienstposten eingefordert und deshalb seither den Lehrer-Stellenplan immer überzogen. "So hätte es in keinem Fall weitergehen können", ist Walter Riegler von der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft überzeugt.

Die Grünen, die als einzige Partei damals dem Finanzausgleich nicht zugestimmt haben, fordern nun eine Sondersitzung des Wiener Landtags, die noch im Dezember stattfinden soll.