Zum Hauptinhalt springen

Transatlantischer Zwist entschärft

Von Martyna Czarnowska aus Brüssel

Politik

Nach US-Entscheidung über Wegfall von Strafzöllen für Europäer vertagt EU-Gipfel Debatte über Vergeltungsmaßnahmen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel. Normal hätte es wieder werden sollen. Und fast schien es so, als hätte die Europäische Union tatsächlich langsam aus dem Krisenmodus herausgefunden. Die Finanz- und die Flüchtlingskrise sind abgeebbt. Befürchtungen vor einem Erstarken des Rechtspopulismus, aufgeflammt vor entscheidenden Wahlen in mehreren Mitgliedstaaten, sind nur teilweise eingetreten. In Berlin gibt es wieder eine Regierung, und Paris will den deutsch-französischen Motor anwerfen. Bei ihrem Frühlingsgipfel hätten die Staats- und Regierungschefs über anstehende Reformen in der Union beraten können, über die Vertiefung der Eurozone, über die Besteuerung von Internetkonzernen.

Das stand zwar sehr wohl auf der Agenda des zweitägigen Treffens in Brüssel, das am heutigen Freitag fortgesetzt wird. Doch erneut war die Zusammenkunft überschattet von aktuellen Ereignissen, die den Spitzenpolitikern Anlass zu Sorge gaben. So fand sich sowohl das Thema des Giftanschlags im britischen Salisbury und die Verknüpfungen mit Russland als auch jenes des Konflikts zwischen der Türkei und Zypern rund um die Gaserkundung im Mittelmeer auf der Tagesordnung.

Vor allem aber waren die Staats- und Regierungschefs schon darauf eingestellt, über den drohenden Handelskrieg mit den USA zu diskutieren, den US-Präsident Donald Trump mit der Verhängung von Strafzöllen auf Stahl- und Aluminium-Importe heraufbeschwören könnte. Doch noch bevor die Minister- und Staatspräsidenten sich zusammensetzten, schien der transatlantische Zwist entschärft. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, plant Washington nun doch Ausnahmen für die Europäer. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer erklärte bei einer Anhörung im Kongress, die Europäische Union werde ebenso wie mehrere andere Länder vorläufig von den neuen Tarifen ausgenommen. Auf der Liste steht die EU nun neben Argentinien, Australien, Brasilien und Südkorea. Kanada und Mexiko waren schon zuvor von den Strafzöllen befreit, da die USA mit den zwei Nachbarn über eine Neufassung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta verhandeln. Für andere Länder sollen die Abgaben - 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium - heute, Freitag, in Kraft treten.

Digitale Steuer

Die Entscheidung der US-Regierung ist jedenfalls ein Etappenerfolg für die Europäer. Diese hatten bis zuletzt auf die Milde Trumps gesetzt. "Wir hoffen, die Zölle noch abwenden zu können", hatte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström im Vorfeld des Gipfels erklärt. Mit dem Ziel, eine Ausnahmeregelung für die Union zu erhalten, war sie diese Woche nach Washington gereist - ebenso wie der neue deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Parallel dazu bereitete die EU mögliche Gegenmaßnahmen gegen die USA vor. Im Gespräch waren unter anderem Vergeltungszölle auf amerikanische Produkte wie Whiskey, Jeans und Motorräder.

Allerdings könnten auch andere Maßnahmen der EU die Beziehungen zu Washington wieder trüben. So hat die EU-Kommission erst am Mittwoch ihre Vorschläge zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorgelegt. Damit rücken auch US-Unternehmen wie Facebook oder Google in den Fokus, die sich die bisherigen Regelungen zunutze machten, um ihre Steuerlast zu verringern. Mit der Definition einer "digitalen Betriebsstätte" will die Gemeinschaft künftig ein Schlupfloch schließen. Die Kommission plädiert fürs Erste für eine Übergangslösung: Online-Firmen sollen Umsätze aus bestimmten Geschäften - etwa Erträge aus dem Verkauf von digitalen Anzeigen oder von Daten, die aus Nutzerinformationen generiert werden - versteuern. Das würde ebenso für Umsätze aus der Bereitstellung von Handelsplattformen gelten. Der Steuersatz soll drei Prozent betragen.

Vor allem Frankreich hatte auf die Maßnahme gedrängt. Daher war es auch Präsident Emmanuel Macron, der beim Gipfel das Vorhaben der Brüsseler Behörde lobte. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz signalisierte ebenfalls Zustimmung. "Ich unterstütze die Vorschläge der Kommission", erklärte er. Es könne nicht sein, dass ein paar kleine Staaten von der Steuervermeidung profitieren. Denn Länder wie Luxemburg und Irland haben etliche internationale Konzerne mit für diese günstigen Steuerabsprachen zu sich gelockt.

Solidarität mit Großbritannien

Andere Staaten hatten beim Gipfeltreffen ebenfalls ihre Anliegen. So wollte die britische Premierministerin Theresa May den Giftanschlag auf einen ehemaligen Doppelagenten und dessen Tochter in Salisbury angesprochen wissen. Sie warf Russland, dem London die Verantwortung für den Angriff zuweist, eine "dreiste und rücksichtslose Attacke" vor. Ihre Solidarität mit Großbritannien drückten denn auch gleich mehrere Amtskollegen Mays aus, und ins Schlussdokument des Gipfels fand dies ebenfalls Eingang. Darin verurteilen die Politiker den Anschlag "auf das Schärfste". Eine direkte Schuldzuweisung an Russland war ursprünglich allerdings nicht enthalten.

Doch wird Großbritannien die EU auch in einem anderen Zusammenhang beschäftigen. Am heutigen Freitag werden die Mitgliedstaaten über den Stand der Verhandlungen über den EU-Austritt des Königreichs informiert. Sie sollen ebenso über die künftigen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent beraten. Den Briten schwebt ein umfassendes Handelsabkommen vor, das über die Verträge hinausgeht, die die EU mit anderen Drittstaaten abgeschlossen hat. Das könnte in der Übergangszeit nach dem Brexit fixiert werden. Diese Frist läuft Ende 2020 aus. Eine grundsätzliche Einigung auf die Übergangsperiode gibt es bereits. Sie soll nun bestätigt werden.