Schuld ist das Bezirksgericht Favoriten. Schuld ist das Rekursgericht, das den Beschluss der Favoritner bestätigt hat. Schuld ist auch eine Reihe anderer Gerichte, die gleichfalls jenem Verdikt des Verfassungsgerichtshofs den Gehorsam verweigert haben, das unzähligen alimentationspflichtigen Elternteilen Erleichterungen in Aussicht gestellt hatte. Erleichterungen durch Anrechnung der Familienbeihilfen auf die Alimentezahlungen. Jetzt hat der Oberste Gerichtshof die Verfassungsrichter aufgefordert, die umstrittene Gesetzeslage endgültig zu bereinigen.
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Der ungute Streit entzündete sich an einem Zwei-Zeilen-Paragraphen des durch seine 60 Novellierungen unlesbaren Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG). Der winzige §12a sagt aus, dass Familienbeihilfen nicht als eigenes Einkommen des Kindes gelten und dass derlei Beihilfen den Unterhaltsanspruch des Kindes nicht vermindern.
Beihilfen als Steuerentlastung
Diese seit 1978 bestehende Aussage ist seither nicht ohne Widerspruch geblieben. Gesetzgeber, Judikatur und Kommentatoren zeigten nämlich auf, dass die Familienbeihilfen (samt ihrem anhaftenden Zuschlag namens "Kinderabsetzbetrag") als "Transferleistungen" des Staates gelten, die die steuerliche Belastung der Familien vermindern sollen.
Diese Überlegung leuchtet ein, solange die Familie eine zusammenhaltende Einheit bildet. Denn dann wird das Familieneinkommen zwar nicht direkt (durch Steuerabzüge), aber jedenfalls indirekt durch diese Transferzahlungen des Staates entlastet. Diese Entlastungsabsicht bzw. dieser Entlastungseffekt wird um so deutlicher, je mehr die Transferzahlungen der steigenden Ertragsteuerbelastung der Einkommen angepasst werden.
VfGH für Beihilfenanrechnung
So sieht das jetzt auch der Oberste Gerichthof: Spätestens seit der Erhöhung der Familienbeihilfe durch das Budget-begleitgesetz von 1998 könne nicht mehr bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber die Familienbeihilfe (zumindestens soweit dies bei höheren Einkommen erforderlich ist) als Steuerrefundierung bzw. als Negativsteuer ansehe, meinen die Richter.
Diese Lesart hatte sich auch der Verfassungsgerichtshof zu eigen gemacht, als er in seinem vielbeachteten (und vielversprechenden) Judikat vom 27.6.2001 (B 1285/00) eine - ab Jahreseinkommen von etwa 14.500 Euro (200.000 Schilling) notwendige - Anrechnung der Familienbeihilfen auf Unterhaltsverpflichtungen als richtig ansah.
Die VfGH-Argumentation: Solange die Familie beisammen ist, entfalten die Transferleistungen ihre Wirkung als QuasiSteuerentlastung des Familieneinkommens. Sobald die Elternteile aber getrennt sind, Kind und Transferleistungen beim kindererziehenden Elternteil verbleiben, fehlt dem anderen, dem unterhaltsleistenden Partner, die steuerliche Entlastung. Er kann die Unterhaltszahlungen steuerlich nicht absetzen, er kann höchstens den mickrigen Unterhaltsabsetzbetrag nutzen, der freilich kein steuerliches Äquivalent darstellt.
VfGH-Bedenken negiert
Dass Familienbeihilfen plus Kinderabsetzbetrag als Transferzahlungen des Staates nicht bloß eine Art sozialer Förderungen bzw. Betreuungshilfen darstellen, sondern jedenfalls die Lasten des familiären Geldunterhalts abgelten sollen, ist also inzwischen unbestritten. Dass diese Abgeltungswirkung dem den Geldunterhalt leistenden - getrennt lebenden - Partner zu unrecht vorenthalten wird, ist seit dem Erkenntnis der Verfassungsrichter dokumentiert.
Wieso die mit der Klärung von Unterhaltsansprüchen befassten Zivilgerichte an den Bedenken des Höchstgerichts vorbeijudizieren konnten, ist freilich auch klar. Sie konnten es, weil die Meinung der Verfassungsrichter über den an ihn herangetragenen Einzelfall hinaus zu keiner Gesetzesänderung führte. §12a FLAG blieb unangetastet.
Fast entschuldigend stellt der Oberste Gerichtshof dazu fest: "Die Korrektur einer als unbefriedigend empfundenen Regelung des Gesetzes ist nach herrschender Auffassung nicht Sache der Rechtsprechung, sondern Aufgabe des Gesetzesgebers". Da man den ärgerlichen §12a nicht "teleologisch reduzieren" kann, müsste sogar der Oberste Gerichtshof seiner punktgenauen Anwendung zustimmen. Etwa so, wie es - neben einigen anderen - auch das Bezirksgericht in Favoriten tat.
OGH: Gesetzesprüfung
Das wollen die "Obersten" auch wieder nicht. Sie forderten den Verfassungsgerichtshof deshalb auf, nicht bloß Bedenken zu äußern, sondern den §12a mit seiner jetzigen Aussage als verfassungswidrig aufzuheben: wegen Ungleichbehandlung bei der steuerlichen Entlastung. *)
"Die Ungleichbehandlung liegt darin, dass die Transferleistungen, die der Gesetzgeber zur Erleichterung der Kinderlast vorgesehen hat (nämlich Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag), nach den Bestimmungen des FLAG dem haushaltsführenden Elternteil allein zustehen, während der geldunterhaltspflichtige Vater nur den Unterhaltsabsetzbetrag geltend machen kann, ohne dass ein Teil der Transferleistungen angerechnet wird", heißt es in dem OGH-Antrag an den VfGH.
Entscheidung im Sommer?
Kann der Verfassungsgerichtshof zweimal in der selben Rechtsfrage entscheiden? Unter Juristen war diese Frage sofort diskussionsreif. Im vorliegenden Fall ist es möglich, weil das VfGH-Erkenntnis vom 27.6.2001 einen Einkommensteuerbescheid als Beschwerdegrundlage hatte. Nun geht es aber darum, dem Gesetzesprüfungsantrag eines anderen Höchstgerichtes nachzukommen. Ein anderer Zugang. Eine Kasuistik für Feinspitze.
Und eine spannende Wartezeit für viele unterhaltsverpflichtete Ex-Partner, die sich durch die VfGH-Gesetzesprüfung eine Reduktion ihrer Zahlungsverpflichtungen ausrechnen. Schon in der eben beginnenden Sommersession wollen sich die Verfassungsrichter beraten. Bis dahin bleibt auch der Streitfall aus Favoriten gestoppt.
*) GZ 2 Ob 36/02 m v. 28.2.2002