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Transformation der Demokratie?

Von Barbara Zehnpfennig

Gastkommentare

Wie Populisten unsere politischen Systeme verändern - ein Warnzeichen für etablierte Parteien.


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Lange Zeit hatten wir in den westlich geprägten liberalen Demokratien geglaubt, es würde ewig so weitergehen: Die Parteien kämpfen um die Wählergunst, die Bürger entscheiden im Wahlakt, welcher Partei sie ihre Stimme anvertrauen, und die daraufhin gebildete Regierung gebraucht die ihr verliehene Macht solange zur Umsetzung ihrer Programme, bis sie vom Wähler bestätigt oder abgewählt wird. Das alles geschieht im Einverständnis, und zwar mit den demokratischen Verfahren, nicht unbedingt im Einverständnis mit den konkreten Ergebnissen. Diese zu korrigieren, bieten die nächsten Wahlen eine Chance.

So war es bisher. Doch die Veränderungen, die wir gegenwärtig in vielen liberalen Demokratien erleben, erschüttern die Gewissheit, dass die eingespielten demokratischen Verfahren noch die frühere Akzeptanz finden. Wo bisher ein breiter gesellschaftlicher Konsens bestand wie in Deutschland, tun sich auf einmal tiefe Gräben auf - Spaltungen innerhalb der Gesellschaft, die sich auch in politischer Spaltung niederschlagen. Und wo die gesellschaftlichen Unterschiede immer schon groß waren wie in den USA, werden sie nun nahezu unüberwindlich, sodass auch die politische Gegnerschaft immer unversöhnlicher wird. Überraschend ist, dass die liberalen Demokratien, trotz nach wie vor bestehenden nationalen Unterschieden, sehr ähnliche Entwicklungen durchzumachen scheinen.

Misstrauen gegenüber Parteien

Zu diesen Ähnlichkeiten gehört ein generelles Misstrauen gegenüber den Parteien. Parteienkritik war schon immer Bestandteil der demokratischen Kultur, das ist an sich nicht neu. Doch die nun beobachtbare Neigung, ganz grundsätzlich mit den Parteien abzurechnen, sie nicht einzelner Verfehlungen zu beschuldigen, sondern ihnen überhaupt nicht mehr zuzutrauen, im Sinne des Bürgers zu handeln, stellt eine neue Dimension dar. Der Fokus verschiebt sich von den Parteien auf Bewegungen: In Frankreich hat En Marche das ganze Parteiensystem durcheinandergewirbelt; in Italien hat die linke Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit der äußersten Rechten die Macht erobert; in Österreich hat der charismatische Jungpolitiker Sebastian Kurz, versehen mit Schwung und Stimmen einer großen Anhängerschaft, die ÖVP sozusagen gekapert und von innen her umgekrempelt; in Deutschland marschiert die in großen Teilen ausländerfeindliche Pegida und hat als Gegenreaktion die von Sarah Wagenknecht gegründete linke Sammelbewegung "Aufstehen" zumindest mithervorgerufen.

Was sich jenseits der etablierten Parteien entwickelt, ist in den meisten Fällen politisch extremer als die Parteien. Auf jeden Fall aber ist es populistisch. Populistisch bedeutet bei freundlicher Deutung: volksnah. Und die Entfernung vom Volk ist ja der Vorwurf, der den Parteien vor allem gemacht wird. Kritischer verstanden, bedeutet populistisch aber: die Berufung auf einen einheitlichen Volkswillen, den es tatsächlich gar nicht gibt; das Anheizen von Stimmungen und Gefühlen anstelle einer sachlich geführten Diskussion; grobe Vereinfachung komplexer Zusammenhänge; ein starkes Schwarz-Weiß-Denken, das aus dem politischen Gegner einen persönlichen Feind macht.

Nun kann das Auftreten populistischer Bewegungen, linker wie rechter Couleur, ein wichtiges Warnzeichen für die etablierte Politik sein: Ihr nehmt nicht hinreichend wahr, was das Volk umtreibt! So waren die Probleme, die sich durch die massenhafte Zuwanderung von Kriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und Armutsmigranten in Europa ergeben haben, lange Zeit in ihrem Gewicht nicht wirklich erkannt worden. An solchen Stellen könnten die Populisten die Demokratie sogar stärken, indem sie die Parteien auf Versäumnisse hinweisen, die in der Bevölkerung als massiver empfunden werden als von der politischen Klasse vermutet.

Doch wenn sich immer mehr Bürger von Populisten besser vertreten fühlen als von etablierten Parteien, wird es für die Demokratie problematisch. Populisten polarisieren, sie tragen mit ihrer extremen Weltsicht zur Spaltung der Gesellschaft bei. Sie können sich Unversöhnlichkeit erlauben, weil sie sich im Allgemeinen auch nicht um praktikable Lösungen kümmern müssen. Es genügt, Ankläger zu sein. Auf diese bequeme Rolle können sich Parteien, zumindest in Regierungsverantwortung, nicht zurückziehen.

Direkte Demokratie mit Risiken

Populisten verändern aber auch langsam und unmerklich die Maßstäbe. Mit ihren Maximalforderungen lassen sie die normale Politik, die sich um das Machbare bemühen und in Koalitionen Kompromisse finden muss, als halbherzig, unentschlossen und kompromisslerisch erscheinen. Zudem tragen sie dazu bei, das für die Demokratie so wichtige Prinzip der Repräsentation in Frage zu stellen: Warum soll man sich von Volksvertretern repräsentieren lassen, wenn man doch direkt in die Politik eingreifen kann? Warum soll man die langwierige, vielleicht auch langweilige Parlamentsarbeit über sich ergehen lassen, wenn man als Bürger auf der Straße oder im Internet doch viel unmittelbarer etwas bewirken kann? Die Rolle der digitalen Medien ist bei dieser Entwicklung nicht zu unterschätzen. Die Suggestion, die direkte Demokratie sei doch die viel bessere Demokratie, erhält durch das Internet massive Unterstützung.

Doch die direkte Demokratie ist eine Demokratie, die Gefahr läuft, sich aktuellen Stimmungen auszusetzen, Minderheiten das Gehör zu verweigern und die nötige Differenziertheit in der Beurteilung politischer Sachverhalte vermissen zu lassen. Die Arbeit der Parteien, des Parlaments soll all das verhindern. Sie soll Sachkenntnis, die Kraft des Arguments und die Fähigkeit, zwischen unterschiedlichen Positionen zu vermitteln, in sich vereinen und damit zur Läuterung der in der Bevölkerung umlaufenden politischen Meinungen beitragen. Dass die etablierte Politik sich damit von der Bevölkerung entfernt, ist eine ungewollte, aber wohl unvermeidliche Folge.

Parteien müssen sich erneuern

Doch warum haben in jüngster Zeit so viele Menschen in liberalen Demokratien derart entschieden Parteien und Parlamenten das Vertrauen entzogen? Was hat die immer schon vorhandene Parteienkritik so radikal werden lassen? Eine Vermutung ist, dass die Globalisierung und die Verlagerung von politischen Entscheidungen auf supra-nationale Zusammenschlüsse wie die EU in der Bevölkerung das Gefühl aufkommen lassen, von nicht mehr steuerbaren Prozessen überrollt zu werden. Die Welt ist unübersichtlich geworden. Alles hängt mit allem zusammen, der Krieg in Syrien betrifft uns auf einmal ebenso wie das, was direkt vor unserer Haustüre geschieht. Es ist ein Gefühl der Entgrenzung. Und das macht Angst, weil das Unbegrenzte auch das Unbeherrschbare ist.

Das mag eine Erklärung dafür sein, dass der Rechtspopulismus zurzeit stärker zu sein scheint als der Linkspopulismus. Rechtspopulisten beschwören statt einer Zukunftsvision eine heile Vergangenheit herauf: eine in sich geschlossene, selbstbestimmte, homogene Nation, die sich gegen alles von außen kommende Böse abschottet. Sie versprechen die Wiedererrichtung der Grenzen, die in der entgrenzten Welt verloren gegangen sind und Schutz, Geborgenheit und Orientierung verheißen. Natürlich ist das in der modernen Welt eine Illusion.

Die liberale Demokratie muss auf diese Herausforderungen reagieren. Das Dahinschwinden der ehemaligen Volksparteien, ganz dramatisch bei der Sozialdemokratie beobachtbar, und die Zersplitterung der Parteienlandschaft sind ein deutliches Signal, dass die Parteien sich erneuern müssen, um das Vertrauen der Wähler wiederzugewinnen. Verzweifeln muss man deshalb nicht. Es ist eine alte Wahrheit, dass sich selbst verändern muss, wer in der sich verändernden Welt bestehen will. Das ist auch der Demokratie zuzumuten und zuzutrauen. Warum sollte ihr das nicht gelingen? Wenn wir als Bürger uns für diesen Erneuerungsprozess mitverantwortlich fühlen, trägt schon das zur Stärkung unserer Demokratie bei.

Barbara Zehnpfennig spricht im Rahmen des
2. Public Affairs Kongresses
am 9. November 2018, 9 bis 15 Uhr,
im Haus der Industrie, Schwarzenbergplatz 4, 1030 Wien.