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"Trauer, Angst, Verzweiflung"

Von Thomas Seifert

Politik

Zahl der Kriegsopfer und Flüchtlinge droht die Helfer zu überfordern.


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Wien. Die Diplom-Krankenschwester Karin Taus ist eben von ihrem Einsatz mit der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" aus Syrien zurückgekehrt. Sie berichtet bei ihrer Pressekonferenz von ihren Erinnerungen, und die Emotionen kommen wieder hoch, die Augen werden glasig und auf die Stimme legt sich diese Schwere, die mitschwingen lässt, dass das Erlebte wohl noch nicht ganz verdaut ist.

Karin Taus, die in Österreich im Spital in Wiener Neustadt arbeitet, war nicht das erste Mal für "Ärzte ohne Grenzen" auf Einsatz. Seit 2003 hat sie immer wieder in Krisengebieten geholfen, Angola, Sambia, Sudan. In einem Spital in der Provinz Aleppo unweit der türkischen Grenze war ihr erster Einsatz in einem Kriegsgebiet.

Sie erinnert sich an diesen "wunderschönen Sonntag im Jänner, blauer Himmel, strahlendes Wetter, saukalt". Doch wunderschönes Wetter bedeutet in diesem Teil Syriens einen unschönen Tagesverlauf. Denn ein strahlend schöner Tag bringt gutes Flugwetter und die Kampfflugzeuge der syrischen Luftwaffe bombardieren das von Rebellen kontrollierte Gebiet. "Am Nachmittag gab es dann nicht allzu weit entfernt eine Riesendetonation, wir haben die Rauchsäulen am Himmel gesehen", erzählt Taus.

Im Spital wurde getan, was in so einer Situation getan werden muss: den Routinebetrieb einstellen und Vorbereitungen auf einen "Mass Casualty Event" treffen. Das Spitalsteam erwartet eine Anzahl schwer und schwerst Verwundeter, der Notfallplan tritt in Kraft. "Eine Bombe war auf einem Marktplatz abgeworfen worden, die ersten Ambulanzen sind schon eingetroffen und der Strom an Ambulanzfahrzeugen ist längere Zeit nicht abgerissen", erzählt die niederösterreichische Krankenschwester.

Zahl der Opfer: 28 Menschen, davon fünf Kinder.

28 Menschen, für die dieser wunderschöne, saukalte Tag im Jänner eine tragische Wendung in ihrem Leben bedeutet, ein Tag, an dem danach nie mehr etwas so sein wird wie zuvor.

"Als es dann etwas ruhiger geworden ist, habe ich mir versucht, einen Überblick zu verschaffen und wie ich dann in die Gesichter der Mitarbeiter geblickt habe, da konnte ich meine Professionalität nicht mehr ganz aufrechterhalten", erzählt Taus. Meist junge Männer, Mitte bis Ende 20, seien da mit Tränen in den Augen dagestanden und die Emotionen seien hochgekommen: Trauer, Angst, Verzweiflung, Resignation. "Diese jungen Menschen stehen mitten im Leben, könnten es eigentlich ganz gut haben", sagt sie. Aber es ist Krieg und so bleibt nur ein Leben im Ausnahmezustand, ein Leben in der Dauerkrise.

Die Geburtenstation war überlastet, acht oder neun Geburten pro Tag, aufgrund der Stress-Situation habe es auch viele Frühgeburten gegeben. Dinge, die man leicht in den Griff bekommen könnte wie etwa Diabetes, werden lebensbedrohlich.

"Wir brauchen Zugang"

Die "Ärzte ohne Grenzen" helfen in Syrien, die Hilfsorganisation "Worldvision" bereitet ebenfalls den Einsatz in Syrien vor. "Zuerst haben die Hilfsorganisationen gedacht, die Krise in Syrien geht rasch zu Ende, so wie in Libyen. Doch der Konflikt hat sich ausgeweitet und nun ein Ausmaß erreicht, das uns alle zu überfordern droht", sagt Conny Lenneberg, die bei "Worldvision" für den Nahen Osten und Osteuropa zuständig ist. "4,5 bis 6 Millionen Menschen sind in Syrien auf der Flucht, diese Menschen sind die verwundbarste Gruppe und es ist sehr schwer, Hilfe zu diesen Flüchtlingen zu bringen." Mehr als 1,5 Millionen Syrer haben das Land bis jetzt verlassen - und das sind nur die offiziellen Zahlen. "Worldvision" baut gerade ein neues Flüchtlingslager in Jordanien auf, Lenneberg befürchtet einen massiven Flüchtlingszustrom in dieses Land. Die zur Verfügung stehenden Mittel hält sie für "völlig unzureichend". Man brauche dringend mehr Geldmittel.

"Die internationale Staatengemeinschaft muss alles tun, um ein Ende der Kampfhandlungen oder zumindest einen humanitären Korridor zu erreichen", sagt Lenneberg. Aber ist das denn auch realistisch? Ihre lakonische Antwort: "Nein."

Spenden

Ärzte ohne Grenzen, PSK, BLZ 60.000, Kontonummer:

930.40.950, SMS mit Spendenbetrag an 0664 660 1000

www.aerzte-ohne-grenzen.at/

syrien

Worldvision, PSK,

BLZ 60.000, Kontonummer: 90.890.000, Kennwort: Syrien

www.worldvision.at