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Die Kopten in Ägypten sind tief getroffen - Pater macht Regime Mursi für Radikalisierung verantwortlich.
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Kairo. Sie sind gekommen, um zu trauern. Sie beugen sich über den Sarg ihres verstorbenen Papstes Schenuda und lassen den Tränen freien Lauf. Manche schreiben kleine Zettel und stecken sie in das dafür vorgesehene Körbchen auf dem Sarkophag. Darauf sind Wünsche vermerkt, die der Tote erhören werde und die dann in Erfüllung gehen. In diesen Tagen gibt es nur einen Wunsch: Möge Gott uns beistehen!
Die Kopten in Ägypten sind tief getroffen. Der Doppelanschlag am Palmsonntag, als zuerst in der Stadt Tanta im Nildelta, in der größten Kirche der Region, eine Bombe explodierte, die unter einem Sessel angebracht war. Dann wenig später in der Mittelmeermetropole Alexandria, als ein Selbstmordattentäter sich am Eingang zur koptischen Kathedrale in die Luft sprengte. 45 Menschen wurden getötet, über 100 verletzt.
Auf der Wüstenstraße von Kairo nach Alexandria liegen vier der ältesten Klöster der Welt. Das Wadi an-Natrun bekam seinen Namen bereits in der Antike. Nach dem Abbauort von Natron, das etwa zur Mumifizierung und Glasherstellung genutzt wurde. Das Kloster Pischoi stammt aus dem vierten Jahrhundert. Sein Gründer gleichen Namens ging als "Stern der Wüste" in die ägyptische Geschichte ein. Unter dem inzwischen verstorbenen Papst der koptisch-orthodoxen Kirche, Schenuda III. begann das Pischoi-Kloster zu expandieren, indem neues Land rund um das Kloster gekauft und entwickelt wurde. Viehzucht, Geflügel- und Milchviehhaltung wurden aufgebaut.
Schwindende Minderheit
Schenudas Wunsch war es, hier begraben zu werden. Seit fünf Jahren liegt sein Sarg in einem für ihn reservierten Raum bereit. Schon immer pilgerten Kopten und Christen aus aller Welt in die Klöster von Wadi Natrun, verneigten sich vor der Geschichte der Ur-Christen des Orients. Doch noch nie hatte ihr Besuch in der Wüste einen derart symbolischen Charakter wie heute. "Wenn es so weitergeht", sagt eine junge Koptin mit verweinten Augen, "müssen wir alle bald hierhin zurück in die Wüste, weil wir woanders bedroht sind und keinen Platz mehr finden."
Offizielle Schätzungen besagen, dass zehn Prozent der mehr als 90 Millionen Bewohner Ägyptens koptische Christen sind. Doch die Kopten selbst sind da skeptisch. Viele haben in den letzten Jahren Ägypten verlassen. Wie überall im Nahen und Mittleren Osten sterben die Christen auch hier aus. Hinter vorgehaltener Hand sprechen sie von nicht mehr als fünf Millionen Glaubensgeschwistern, die noch in Ägypten beheimatet sind, und etwa zwei Millionen andere christliche Minderheiten wie Katholiken, griechisch Orthodoxe, russisch Orthodoxe und Armenier. Sie alle lebten trotz vereinzelter Spannungen weitgehend friedlich mit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit zusammen. Jetzt aber sehen sie sich zunehmend gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt.
Die Anschläge in Tanta und Alexandria sind die zweiten auf Ägyptens Kopten innerhalb von sechs Monaten. Im Dezember waren bei einem Attentat nahe der größten Kathedrale der Kopten in Kairo fast 30 Menschen getötet worden. Damals wie auch am Palmsonntag bekannte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu der Tat. Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel treibt ein Ableger des IS seit gut zwei Jahren sein Unwesen. Mitglieder der Terrorgruppe kündigten in mehreren Propagandavideos Angriffe auf Christen an.
Im Februar flohen hunderte ägyptische Christen aus dem Norden des unsicheren Gebiets. Vorangegangen war eine Mordserie an Mitgliedern der religiösen Minderheit, hinter der ebenfalls der IS vermutet wird. Für Ende April ist ein Besuch von Papst Franziskus in Kairo angekündigt. Nach dem schweren Anschlag in Ägypten bekundete der Papst den Kopten und dem ägyptischen Volk sein Beileid.
Kaum Schutz für Christen
Koptenpapst Schenuda habe seine Gläubigen zusammenhalten können, sagt ein älteres Ehepaar unter den Trauernden in Wadi Natrun. "Als er unser Oberhaupt war, ging es uns besser als heute unter seinem Nachfolger", meint Colette, die Tochter. "Wir konnten in Ruhe leben." Es habe immer wieder mal Scharmützel zwischen Kopten und Muslimen gegeben, besonders in Oberägypten, wo beide Gruppen eng beieinander leben. Doch seien dies zumeist Familienfehden gewesen, aber kein Terror. "So etwas wie heute gab es noch nie in Ägypten", nicken die Eltern.
Abgesehen von der Kritik an der Regierung, die es nicht vermag, die christliche Minderheit ausreichend zu schützen, wird auch Kritik an der Haltung des gegenwärtigen Papstes Tawadros II. laut, der sich offen in die Politik des Landes einmische. Bei den Präsidentschaftswahlen habe er für Abdel Fattah al-Sisi geworben. Die einflussreiche Koptenfamilie Sawiris hätte die Unterschriftenkampagne "Tamarod", die zum Sturz des Islamistenpräsidenten Mohammed Mursi führte, finanziert und bei den Parlamentswahlen habe sich Tawadros gegen Kopten gestellt, die zusammen mit Islamisten kandidierten.
"Es ist eine abnormale Situation für Kopten einer islamischen Partei beizutreten", sagte Tawadros im Oktober 2015 der ägyptischen Tageszeitung "Al Ahram". "Wohin das führt, sehen wir jetzt", kommentiert Youssef die Konsequenzen. Von Alexandria über Kairo bis nach Luxor wird derzeit die Kritik an der Staatsführung lauter. Niemand will al-Sisi gewählt haben, der mit fast 97 Prozent der Stimmen als klarer Sieger aus den Wahlen hervorging. "Es waren Frauen und Kopten", bekommt man als Antwort. Staatspräsident al-Sisi hat nach den Anschlägen vom Sonntag nun einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. "Damit noch mehr Menschen im Gefängnis landen", sagt Youssef zynisch.
"Europa ist verdorben"
In einer Seitenstraße des Alexandriner Bezirks Sidi Geber befindet sich die Jesuitengemeinde, deren "Oberer" Henri Boulad lange Jahre war. Seit 2004 ist er Rektor des Jesuitenkollegs in Kairo. Im Innenhof des Konvents versammeln sich abends junge Menschen zu Kulturveranstaltungen oder einfach nur, um einen Tee zusammen zu trinken. Boulad ist für sie eine Ikone, eine Leitfigur in diesen unruhigen Zeiten. Denn der in Alexandria geborene Ägypter mit italienischen Wurzeln nennt die Dinge beim Namen ohne Angst vor Repressalien. "Die Repressionen gegen die Muslimbrüder sind schrecklich", sagt er. Es sei unverhältnismäßig, was ihnen seit dem Sturz Mursis im Sommer 2013 widerfahre. Gleichwohl hätte Mursi Ägypten verkauft, weil er eine Ideologisierung vorangetrieben habe, die hier niemand wollte. Als Folge sieht Boulad eine Radikalisierung hin zum Salafismus und in letzter Konsequenz zum Terror. Er sieht aber auch eine Abkehr vieler Jugendlicher vom Islam. Der Atheismus unter Muslimen in Ägypten nehme enorm zu. "Die haben die Nase voll von der Ideologie von Daesh", wie er die Terrormiliz IS mit dem arabischen Ausdruck nennt.
Es sei komplett widersinnig: "Mehr und mehr Atheismus in Ägypten, mehr und mehr Fundamentalismus in Europa." Boulad sieht schwarz für den alten Kontinent. Europa werde islamisch, nicht zuletzt durch die Muslimbrüder, die sich dort jetzt austobten. "Ich habe Angst um Europa." Der Kontinent steuere auf einen Bürgerkrieg zu. "Was sich früher mit dem Marxismus produziert hat, produziert sich jetzt mit dem Islamismus." Die eine Ideologie ersetze die andere. "Das macht mich wütend." Boulad verbreitet seine Botschaften auch per Video, mahnend, anklagend: "Europa ist verdorben."