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Traum und Wirklichkeit

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Wien ist erneut von einer Zeitschrift zu einer der lebenswertesten Städte gekürt worden. Wien zählt zu den am schnellsten wachsenden Hauptstädten Europas und kommt damit ganz gut zurecht. Die Infrastruktur funktioniert, die Angebote ebenfalls, es ist möglich, nachts durch die Stadt zu gehen, ohne ausgeraubt zu werden. Skandale gibt es, sie halten sich im Vergleich mit anderen europäischen Hauptstädten aber in Grenzen. Mafiaverstrickungen wie in Rom? Ein Desaster wie der Flughafen Berlin? Gibt es nicht. Die umliegenden Bezirke Niederösterreichs verdanken ihren Wohlstand einer Hauptstadt, die im Großen und Ganzen toll funktioniert.

Die seit 1945 regierende SPÖ sollte also problemlos wiedergewählt werden. Wird sie aber nicht, wenigstens nicht den aktuellen Umfragen zufolge.

Das hat mehrere Ursachen. Erstens werden in Wien Irritationen zu Skandalen hochgejazzt, siehe Mariahilfer Straße. Wenn der 13A im Verkehr stecken bleibt, ist das Rathaus unfähig, was natürlich Unsinn ist.

Zweitens ist die regierende SPÖ der unerschütterlichen Meinung, dass sie alles super macht. Das stimmt über weite Strecken, hat die Partei aber sehr träge gemacht. Heute lebt sie von den Umfragewerten des Bürgermeisters, nicht von ihrer Lebendigkeit. Von gesellschaftlicher Avantgarde ist wenig geblieben, es werden die (herzeigbaren) Leistungen verwaltet.

Diese Verkrustung, die sich bei den oftmals familiären Funktionärsverbindungen fortsetzt, kommt bei den Bürgern nicht gut an. Das ist kein Privileg der Wiener SPÖ, es geht auch anderen Parteien so. Doch die Wiener Sozialdemokratie steht auch mehr in der Auslage als andere. Sie ist - neben den Gewerkschaften - das Machtzentrum der Sozialdemokratie in Österreich. Man stelle sich das politische Beben vor, sollte die ÖVP in Niederösterreich den Landeshauptmann verlieren. So geht es der SPÖ in Wien.

Wenn also am 11. Oktober in Wien gewählt wird, geht es nicht um die Qualität der Stadt Wien. Die ist unbestritten. Es geht darum, dass sich diese Welt verdammt schnell wandelt, und einer Partei, die alt ausschaut, wird weniger zugetraut, die Zukunft zu meistern. Vor allem von Jungen, die mit dem glorreichen "roten Wien" wenig anfangen können. Ob die SPÖ das Steuer noch herumreißen kann, hängt daher nicht von den politischen Gegnern ab, sondern von ihr selbst.