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Trauma Afghanistan: Von der Waffe zur Flasche

Von WZ-Korrespondentin Anna van Ommen

Politik

Kriegsteilnehmer werden in der Heimat zum Problem. | Sucht und Kriminalität. | London. Bei der jüngsten Ehrenparade der 100-Mann starken Truppe des 2. Rifles Battalions aus Nordirland fehlten 13 Soldaten. Sie waren beim Einsatz in der Helmand-Provinz umgekommen. Weitere elf erlitten schwere Verletzungen mit Amputationen. 51 wurden verwundet. Während die Verstorbenen mit großem Pomp beerdigt werden, stehen den Rückkehrern alles andere als eine rosige Zukunft bevor. Einer neuen britischen Studie zufolge neigen immer mehr Truppen, die aus dem Irak und Afghanistan zurückkehren, zu Alkoholmissbrauch und Depressionen.


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Die Untersuchung des psychiatrischen Institut für militärische Gesundheitsforschung am Londoner King’s Center ergab, dass mehr als 27 Prozent der Soldaten an psychischen Erkrankungen leiden. Entgegen der allgemeinen Annahme trete die viel zitierte post-traumatische Belastungsstörung allerdings nur bei fünf Prozent der Untersuchten auf. Die Leiterin der Studie, Amy Iversen, erklärte daher, "Alkoholmissbrauch und depressive Störungen sollten bei der Aufklärung, Prävention und Behandlung von Soldaten besonders berücksichtigt werden."

Die Studie dürfte führende Militärexperten bestätigen. Sie beschuldigen die britische Regierung, nicht genug für die traumatisierten Rückkehrer aus dem Irak und Afghanistan zu tun. Seit 2001 waren dort rund 170.000 britische Soldaten stationiert.

821 Militärs beteiligten sich an der Untersuchung. Dabei wurden auch Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung untersucht: Immer wieder kehrende Bilder von dem Geschehenen, der Versuch, Situationen zu vermeiden, die an die Erlebnisse erinnern, ein Gefühl der Betäubung sowie eine ständige Alarmbereitschaft und Nervosität. Bei der telefonischen Befragung gaben 18 Prozent der Soldaten an, vermehrt zur Flasche zu greifen, 13,5 Prozent leiden unter Depressionen. Irak-Stationierte tendierten eher zu psychiatrischen Störungen als anderswo stationierte Militärs. Auch die Selbstmordtendenz von jungen britischen Soldaten ist dreimal so hoch wie die der übrigen Bevölkerung.

Soldaten als Häftlinge

Der Einsatz in Krisengebieten hat in Großbritannien auch zu Rekordzahlen in der Gefängnisbevölkerung geführt. So sind inzwischen 20.000 Kriegsveteranen im Strafrechtssystem erfasst. Mehr als 8500 sitzen hinter Gittern. Nahezu jeder zehnte Inhaftierte hat in Irak, Afghanistan, Bosnien oder Nordirland gedient. Eine Studie der Bewährungshelfer-Gewerkschaft Napo ergab, dass die Mehrheit der Ex-Soldaten chronisch Alkohol und Drogen missbrauchten. Nahezu die Hälfte litt an posttraumatischen Störungen und Depressionen. Die Studie lieferte den Beweis für den direkten Zusammenhang zwischen der geistigen Verfassung der Rückkehrer aus Kriegsgebieten, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie häuslicher Gewalt.

Die zunehmende Zahl der Särge aus Afghanistan erhöht den Druck auf die Regierungen in Washington, Berlin und London. Dabei sieht es ganz so aus, als könnten ihnen die Überlebenden künftig noch größere Sorgen bereiten.