Kuwait-Stadt - Die ersten siegesgewissen Voraussagen der US-Strategen über das baldige Zusammenbrechen der irakischen Armee sind grimmiger Entschlossenheit gewichen. Knapp zwei Wochen nach Kriegsbeginn bittet US-Präsident George W. Bush sein Volk um Geduld, statt den militärischen Sieg über eine Diktatur zu verkünden. Der Kampf werde eben so lange dauern, wie es zum Sieg brauche.
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Es ist nicht nur der unerwartet heftige Widerstand der Gegner, der eine Revision des Zeitplans erfordert. Besonders demoralisierend wirken auf die alliierten Soldaten die irakischen Guerilla-Taktiken. Die bisherigen Rückschläge in der Wüste wecken böse Erinnerungen an ein nationales Trauma der Amerikaner: den Vietnamkrieg.
Noch will niemand so weit gehen und den US-Truppen in Irak ähnlich traumatische Erfahrungen prophezeien. Doch die Parallelen drängen sich auf: Wie in Vietnam verbreitete das US-Militär zu Beginn des Irak-Kriegs unerschütterlichen Optimismus. Die mit modernster Waffentechnologie ausgestatteten Truppen würden die schlecht ausgerüsteten Gegner in kürzester Zeit überrennen, hieß es. Galt in Vietnam noch der Allzweck-Hubschrauber vom Typ "Huey" als taktisches Wundermittel, sind es dieses Mal "schlaue" Waffensysteme und hochgeheime Methoden elektronischer Kriegführung.
Doch schon nach wenigen Kriegstagen im Irak ist klar, dass sich die Alliierten verschätzt haben: Der Gegner befolgt nicht die Regeln. Lange Nachschublinien werden von Guerilla-Kämpfern attackiert, Soldaten tarnen sich als Zivilisten, um dann anzugreifen, Scharfschützen schießen aus dem Hinterhalt, und am Wochenende kam es zum ersten Selbstmordanschlag. Die Fernsehbilder von gefangenen und getöteten US-Soldaten wurden der amerikanischen Öffentlichkeit lieber gleich fast vollständig vorenthalten. Solche Bilder gab es auch schon im Vietnamkrieg und sie haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben.
Der Kommandant der US-Bodentruppen in Irak, General William Wallace, räumte in Zeitungsinterviews ein, dass die irakischen Feinde, was die "Entwicklung der Umstände" angehe, auch "ein Wörtchen mitzureden haben". Wie ein Eingeständnis wirkt da auch die Meldung, dass rund 120.000 zusätzliche Soldaten in die Golfregion verlegt werden sollen. Daraus wollen die Militärstrategen allerdings keinesfalls schließen, dass sie den Gegner unterschätzt haben - wie dies schon ihre Vorgänger im Vietnamkrieg nie eingestehen wollten. "Wir wissen, dass wir uns taktisch in Geduld üben müssen", beschwichtigt Brigadegeneral Vincent Brooks vom Zentralkommando in Katar. Generalstabschef Richard Myers verteidigt vor der immer lauter werdenden Kritik die US-Strategie als "brillanten Plan".
Die Standardphrase aus dem Vietnamkrieg, man bemühe sich um die "Herzen der Bevölkerung", hat auch im Irak-Zusammenhang wieder Konjunktur bei Top-Militärs und in der Regierung. Und die einstige Rolle des kommunistischen Vietkong scheinen nun irakische Guerillakämpfer eingenommen zu haben, die auch vor Selbstmordattentaten nicht zurückschrecken. Auf die direkte Frage nach einem Vergleich zwischen dem schmachvoll verlorenen Vietnamkrieg und dem Angriff auf den Irak beeilte sich Generalmajor Victor Renuart zu sagen: "Ich glaube wirklich nicht, dass es irgendeine Parallele gibt."
Noch stehen die US-Bürger Umfragen zufolge mit großer Mehrheit hinter "ihren Soldaten" im Irak. Mittlerweile fürchten allerdings viele, dass die Kämpfe länger und blutiger sein könnten als erwartet. Je mehr Zinksärge aus der Wüste in die Heimat zurückkehren, desto mehr Mühe dürfte das Weiße Haus haben, Kritik einzudämmen. Regierungsvertreter und Beobachter richten sich dann auf zunehmende Ablehnung in der Bevölkerung ein - wie im Vietnamkrieg.