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Die deutsch-schweizerische Künstlerin Meret Oppenheim (1913-1985) inspirierte sich am Surrealismus und kämpfte für Gleichberechtigung. Das Bank Austria Kunstforum präsentiert ihr avantgardistisches Werk.
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"Ruhig nagten die Narzissen und die Dächer waren gut / gedeckt. Bürger, Bauer und Bettelmann schliefen." Als Meret Oppenheim diese ironischen Verse aufschreibt, im Jahr 1934, mit gerade einmal 21 Jahren, hat sie ihre Geburtsstadt Berlin längst hinter sich gelassen. Die Tochter eines aus Hamburg stammenden Vaters und einer Schweizer Mutter wird im Alter von nicht einmal einem Jahr in die Schweiz verpflanzt, nach Delémont im Berner Jura. Die Mutter übersiedelt mit Meret zu ihren Eltern; 1915 wird ihre Schwester Kristin geboren, 1919 der Bruder Burkhard, zu beiden hält Meret lebenslang engen Kontakt.
Als Vater Erich Oppenheim aus dem Krieg zurückkehrt, geht es für die nächsten 18 Jahre in die Kleinstadt Steinen im südwestdeutschen Baden (heute steht die denkmalgeschützte "Villa Oppenheim" mitsamt dem alten großen Garten zum Verkauf). Als man sie fragt, was sie werden will, sagt Meret: "Künstlerin." Schon früh interessiert sie sich für Kunst, studiert das Werk von Alfred Kubin und George Grosz, von Picasso, Braque und Matisse. Im Jahr 1929 gibt der Besuch einer Bauhaus-Schau in der Kunsthalle Bern den letzten Ausschlag. Staunend steht Meret vor Gemälden Paul Klees.
Paris der Surrealisten
Nach der Matura vor die Wahl gestellt: München oder Paris, entscheidet sie sich für die französische Hauptstadt. Dort ist der Surrealismus auf dem Höhepunkt seiner Wirkmacht. Viele junge Künstler strömen in die Stadt an der Seine, entschlossen, die von den Theorien Sigmund Freuds unterfütterten Traum- und Anderswelten auf den Bildern Max Ernsts, Joan Mirós, Salvador Dalís und Marcel Duchamps selbst fortzuführen. Sie suchen Anerkennung und Aufnahme im Surrealisten-Kreis um André Breton.
Im Mai 1932 trifft Meret Oppenheim in Paris ein, begleitet von ihrer Freundin, der Malerin und Tänzerin Irène Zurkinden. Während der Bahnfahrt trinken die beiden zu viel Pernod, steigen in Paris berauscht aus und wanken vom Bahnhof direkt zum legendären Künstlertreff Café du Dôme. Die junge Schweizerin sorgt mit ihrem Aussehen für Furore - die feinen, fast statuarisch regelmäßigen Gesichtszüge und der dichte, nach hinten schwarze Haarschopf, ihre grazil-sinnliche, makellose Erscheinung faszinieren. Meret feiert in Kurt Seligmanns Atelier Künstlerfeste mit, lernt ihren Landsmann Alberto Giacometti kennen und Hans (Jean) Arp, beide ihre ersten Förderer, ferner Arps Frau Sophie Taeuber sowie Max Ernst. Schon 1933 wird sie, die Studentin, eingeladen, zusammen mit dem Kern der Surrealisten auszustellen. Und schon damals zeigt sich, was ihre Lebensführung maßgeblich prägen wird: Unabhängigkeit, Freiheit.
"Die Freiheit", so eine jener Bemerkungen Oppenheims, die für viele weitaus jüngere Künstlerinnen inspirierend wirken, "wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen". Noch aber wird Meret mehr als beauté wahrgenommen, als Muse denn als Künstlerin. In einer berühmt gewordenen Fotosequenz ("Aufnahme mit dem Druckerpresse-Rad", siehe Abb. unten) steht sie Man Ray nackt Modell. Die Aufnahme wird eine Inkunabel surrealistischer Fotokunst.
Die schleppende Anerkennung als Künstlerin schlägt sich in ersten Depressionen nieder. Doch dann verfällt Meret, eher durch Zufall, auf die Idee, eine Tasse vollständig mit Pelz zu verkleiden. Das Objekt wird zu ihrer bekanntesten Arbeit, sie wird Segen und Fluch zugleich. Als Alfred J. Barr die "Pelztasse" 1936 für das neu gegründete Museum of Modern Art in New York ankauft, erregt diese auch in Amerika Aufsehen. Meret Oppenheim gerät in die Falle des frühen Ruhms und erkennt die Gefahr, durch diesen festgelegt zu werden. Noch 1984 spielt sie gegenüber der Freundin, Lektorin und Herausgeberin ihrer Gedichte, Christiane Meyer-Thoss, scherzhaft auf diese Komplettvereinnahmung durch ein einziges Werk an: "Zur Abwechslung könntest Du auch schon mal erwähnen, daß die Pelztasse jetzt Junge bekommen hat - kleine weiße, flaumige Mottenkugeln."
Max Ernst hält 1936 die Eröffnungsrede zu Meret Oppenheims erster Einzelausstellung. Bezeichnend für den Surrealistenzirkel, der Frauen als Ehefrauen oder Geliebte ernst nimmt, nicht aber als Künstlerinnen, sagt er halb ironisch, halb despektierlich: "Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein." Ab jenem Jahr fällt die elterliche Unterstützung weg, und Meret beginnt, Mode und Schmuck zu entwerfen. In surrealistischer Manier.
Neustart in Basel
Als 1940 viele Surrealisten vor den Nazis nach Amerika oder in die Provinz fliehen, ist Meret Oppenheim schon seit zwei Jahren in Basel. Die Familie verzehrt das mittelgroße Vermögen der Großmutter, Meret, der der Ruf des Skandalmodells anhängt, lebt mäßig vom Bilderrestaurieren. Eine lange Phase depressiver Lähmung folgt, ein "andauerndes Gefühl der Zermürbung", wie sie sagt. Meret Oppenheim später über diese bedrückenden Jahre: "Es war mir vielmehr, als würde die jahrtausendealte Diskriminierung der Frau auf meinen Schultern lasten, als ein in mir steckendes Gefühl der Minderwertigkeit".
Erst 1954 endet diese Krise, buchstäblich über Nacht. "Ich konnte", schreibt Meret, "in jener Nacht nicht schlafen, weil ich wusste, dass fortan alles anders wird." Davor entstanden nur wenige Arbeiten, eher tiefenpsychologische Seelenbohrungen. C. G. Jung zählt zu ihren Lieblingsautoren. 1943 folgt ein Drehbuch, das nie verfilmt wird: "Kaspar Hauser oder die goldene Freiheit".

Im Jahr 1949 heiratet Meret Wolfgang La Roche aus alteingesessener Basler Familie. Das Paar zieht nach Bern. Meret Oppenheim mietet ein Atelier an und schafft eine Vielzahl an Arbeiten, stilistisch zwischen allen Schulen, allen Richtungen oszillierend. Nicht ganz abstrakt. Nicht mehr surrealistisch. Ihre Arbeiten zeigen zusehends archaischere Züge, es entstehen Werke, die quer zu Moden wie Op Art, Pop Art, Fluxus, Neuem Realismus, geometrischer Abstraktion oder Figuration stehen: Himmels- und Wolkenbilder, vegetale Formen. Auch kombiniert Meret, die lebenslang verspielte Gedichte schreibt und ein Traumtagebuch führt, nun Sprache mit Malerei. Stets garniert mit verschmitztem Humor, mit einer Brise Ironie.
Nachdem das Stockholmer Moderna Museet 1967, dem Jahr, in dem Merets Mann stirbt, der Künstlerin eine umfassende Schau widmet, folgen weitere große Ausstellungen in Museen und Galerien, 1982 schließlich die Teilnahme an der Kasseler documenta.
Mit Verve engagiert sich Meret Oppenheim auch für Feminismus und Gleichberechtigung. Und für die Jugend. So erklärt sie 1975 in ihrer berühmt gewordenen Rede anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Basel:
"Es ist nicht leicht, ein junger Künstler zu sein . . . Wenn einer aber eine eigene, neue Sprache spricht, die noch niemand versteht, dann muss er manchmal lange warten, bis er ein Echo vernimmt. Noch schwieriger ist es ... für einen weiblichen Künstler. Es fängt bei scheinbar Äußerlichem an. Bei den Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt - und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das gleiche tut, dann sperren alle die Augen auf. Das und viel anderes mehr muss man in Kauf nehmen. Ja, ich möchte sogar sagen, dass man als Frau die Verpflichtung hat, durch seine Lebensführung zu beweisen, dass man die Tabus, mit welchen die Frauen seit Jahrtausenden in einem Zustande der Unterwerfung gehalten wurden, als nicht mehr gültig ansieht."
Gebündelte Motive
Die zu Schalk und Albernheit aufgelegte Künstlerin bündelt im Spätwerk viele Lebensmotive - die Natur als Union von Gegensätzen, Rationalität und Tiere, Schamanistisches (etwa ihr Porträt mit Tätowierung, siehe Abb. oben) und Gefundenes, Spielerisches und Konzeptuelles.
Anlässlich ihrer Retrospektive 1984 in der Kunsthalle Bern bekennt sie: "Ich verabscheue Etiketten. Vor allem wehre ich mich gegen die Bezeichnung ‚surrealistisch‘, weil sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr die gleiche Bedeutung hat wie früher. Was Breton im Ersten Manifest 1924 über Poesie und Kunst geschrieben hat, gehört für mich zum Schönsten, was über dieses Thema geschrieben wurde. Hingegen wird mir übel, wenn ich an all das denke, was sich heute auf den Surrealismus beruft."
Am 15. November 1985 stirbt Meret Oppenheim in Basel. An jenem Tag, da sie ihr Künstlerbuch "Caroline", eine Hommage an die romantische Dichterin Karoline von Günderrode, öffentlich vorstellen wollte. "Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft", hat Meret Oppenheim einmal gesagt. Ein Vermächtnis.
Alexander Kluy, Journalist, Kritiker, Autor. Lebt in München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu literatur-, kunst- und kulturhistorischen Themen. Im März erschien in der edition atelier "Richard von Schaukal – Leben und Meinungen des Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten" und im April erscheint bei Mandelbaum "Jüdisches Marseille und die Provence".
Meret Oppenheim Retrospektive: Bank Austria Kunstforum, Freyung 8, 1010 Wien. 21. März - 14. Juli 2013. Ausstellungseröffnung: 20. März, 18.30 Uhr.
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